Sieg in der Zelle:
Marwan Bargouti gewann Wahlen in Ramallah
Von Ulrich W. Sahm, Ramallah
Marwan Bargouti, 46, wurde schon als Nachfolger Arafats
gehandelt und gilt als Initiator der Intifada. Bei den innerparteilichen
Wahlen der Fatah-Partei in Palästinas heimlicher Hauptstadt Ramallah erhielt
er die Mehrheit der Stimmen. Doch Bargouti wird so schnell nicht Ämter in
der Fatahpartei aufnehmen können. Er sitzt mit fünffacher lebenslänglicher
Haftstrafe im israelischen Hadarim-Gefängnis.
Ein Tel Aviver Friedensgericht hatte ihn wegen Mordes an fünf Menschen
verurteilt, darunter einem griechischen Mönch auf dem Weg zum Elias-Kloster
nahe Jericho. Die palästinensischen Kämpfer, von Bargouti mit Schusswaffen
ausgestattet, hielten den bärtigen Priester für einen israelischen Siedler.
Für die Palästinenser ist der charismatische Bargouti eine Symbolfigur,
nicht nur, weil er als "Freiheitskämpfer" nach einem "Schauprozess" im
Gefängnis sitzt. Er war der Gründer der Tansim, jener Fatahjugend, aus der
die El-Aksa-Märtyrer-Brigaden hervorgingen, die es mit Selbstmordattentaten
der Hamas-Organisation nachmachten. Mehr als jeder andere Politiker
repräsentiert Bargouti die junge Generation der Kämpfer aus den besetzten
Gebieten, im Gegensatz zu den mit Arafat aus Tunis zugezogenen "alten
Männer". Mit Korruption gönnen die sich ein schönes Leben, während sie die
eigentlichen Helden der ersten Intifada (1987 bis 1993) von einflussreichen
Posten fernhielten. Der Hass auf die "Tunis-Leute" ist groß. An Arafat
selbst wagte bis zu seinem Tod niemand zu rütteln. Aber über Arafats Getreue
sagt ein Journalist aus Bethlehem: "Die sind noch schlimmere Besatzer als
die Israelis. Die Tunesier beuten uns rücksichtloser aus als die Zionisten."
Die Mehrheit für Bargouti in Ramallah bedeute deshalb einen inneren
Befreiungsschlag gegen Arafats "Clique von Tunis".
Bargouti hält sich für den wahren Initiator der Intifada im September 2000.
An ihrem ersten Jahrestag sagte Bargouti der Londoner Zeitung Al-Hayat: "Ich
wusste, dass das Ende des Monats September [2000] die letzte Gelegenheit vor
der Explosion sein würde. Scharons Ankunft bei der Al Aksa-Moschee war der
kräftigste und passendste Zeitpunkt für den Ausbruch der Intifada. Es geht
schließlich um Jerusalem und mehr noch um Al Aksa. Seine Bedeutung: die
gesamte Region in Brand zu setzen, weil die Frage der Al Aksa die
Empfindlichkeit der Massen entflammt und aufheizt." In allen Einzelheiten
beschrieb Bargouti, wie er schon vor dem Besuch des israelischen
Oppositionsführers Ariel Scharon auf dem Tempelberg alle Fäden zog, um eine
bewaffnete Auseinandersetzung mit Israel auszulösen. So widersprach er der
gängigen Auffassung, dass Scharon mit seiner "Provokation" die Intifada
entfachte. Bargouti sagte über sein Volk: "Für Jerusalem sind sie bereit,
sich zu opfern, ohne über den Preis nachzudenken." Seitdem starben etwa 3500
Palästinenser und über tausend Israelis.
Israelische Reaktionen auf die Wahl Bargoutis sind widersprüchlich. Jossi
Beilin von der linksgerichteten Meretz-Partei, sieht in Bargouti einen
echten Volksführer. Er sollte unverzüglich aus dem Gefängnis entlassen
werden. Beilin und andere führende Israelis sprachen mit Bargouti und
hielten ihn bis zu seiner Verhaftung am 14. April 2002 für den künftigen
Friedenspartner Israels - nach Arafat. Beilin gestand: "Bargouti hat
natürlich einen schweren Fehler begangen, es der Hamas gleichzumachen und
auf Gewalt zu setzen." Außenminister Silvan Schalom schwor: "Bargouti ist
ein verurteilter Mörder. Der wird niemals mehr das Gefängnis verlassen."
Innenminister Ofir Pines (Arbeitspartei) bedauerte, dass die Palästinenser
auf einen Mörder setzen, anstatt einen Politiker zu wählen, der dem Terror
eine Absage erteilt, wie das "einwandfrei für Mahmoud Abbas gilt". Pines
widersprach Beilin und Schalom: "Ich könnte mir eine Freilassung Bargoutis
nach einem umfassenden Friedensvertrag mit den Palästinensern vorstellen."
Obgleich Bargouti "Blut an den Händen" hat, genehmigt Scharons
Ministerpräsidentenamt Besuche hochrangiger Politiker bei Bargouti. So hatte
Bargouti aus dem Gefängnis heraus eine innerpalästinensische Hudna
(Waffenruhe) ausgehandelt. Die Wahl von Mahmoud Abbas zum
Palästinenserpräsidenten konnte erst vollzogen werden, nachdem Bargouti nach
ausführlichen Gesprächen mit Besuchsdelegationen seine Kandidatur
zurückgezogen hatte.
In Jenin und Nablus gewannen steckbrieflich von Israel gesuchte
"Terroristen" die Wahlen. In Jenin erhielt Jamal Abu Rob, 40, den Zuschlag.
Der Mann, verantwortlich für den Tod von drei Israelis und zwei
Palästinensern, trägt den Kriegsnamen "Hitler".
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 28-11-2005 |