Zwischen Pogrom und Oktoberfest:
Das christliche Dorf Taybeh
Von Ulrich W. Sahm, Taybeh, 6. Oktober 2005
Die Wohnräume über der Tankstelle mitten in Taybeh sind
verrußt. Ein Monat nach dem Pogrom von 500 Moslems aus dem Nachbardorf Deir
Jarir sind noch die Spuren der Flammen zu sehen, die aus angezündeten
Wohnungen geschlagen sind. "Mein Cousin Mahdi Khourije wurde wegen einer
angeblichen Romanze mit Hiam El-Dschadsch aus Deir Jarir beschuldigt" sagt
der Tankstellenbesitzer Süleiman Khourije. Ein großes Schriftband über der
Hauptstraße verkündet mitsamt der Abbildung einer Bierflasche und des
deutschen Bundesadlers das "Taybeh-Oktoberfest".
Das biblische Taybeh mit seinen 1400 Einwohnern liegt ein
paar Kilometer östlich von Ramallah. In der Nacht zum Sonntag, dem 4.
September, brandschatzten Moslems aus Deir Jarir mit "Allah uakbar" Rufen
(Gott ist groß) vierzehn Häuser. Sie brachen in Wohnungen ein, stahlen
Schmuck und elektrische Geräte. "Für Moslems ist es eine Entehrung, wenn ein
christlicher Mann eine Affäre mit einer muslimischen Frau hat. Umgekehrt
stört es niemanden, wenn ein Moslem mit einer Christin eine Liebschaft hat",
sagt Süleiman verbittert. "Die Rache der Moslems galt unserem ganzen Clan."
Nadim Khouri hat vor zehn Jahren mit einer Investition von
1,2 Millionen Dollar in dem einzigen rein christlichen Dorf im
Westjordanland die erste Bierfabrik Palästinas gegründet. Sein
"Taybeh-Bier", gemäß dem deutschen Reinheitsgesetz von 1516 gebraut, wird
nach Israel, Deutschland und Großbritannien exportiert. Den Hopfen und Malz
bezieht er aus Bayern und der Tschechei. "Als die Horden kamen und sich an
unserer Brauerei vergreifen wollten, stellte ich mich Hände haltend mit
meiner Frau und unseren Kindern vor das Fabriktor. In letzter Minute kam die
Polizei und rettete die Fabrik." Khouri beschuldigt die israelische Armee
für die verzögerte Ankunft der Polizisten aus Ramallah. "Ich rief an beim
israelischen Verbindungsbüro, beim amerikanischen Konsulat und bei der
deutschen Repräsentanz. Aber 77 Polizisten wurden von den Israelis nicht
durchgelassen", sagt Khouri. Der
israelische Militärsprecher erklärt auf Anfrage: "Die schlimmsten
Ausschreitungen passierten, ehe wir davon erfuhren. Wir schickten Soldaten,
um weiteren Schaden zu verhindern." Die Armee habe 50 palästinensische
Polizisten "in Uniform und mit ihren Waffen" aus Ramallah herbeigerufen, um
die "inner-palästinensische Fehde unter Kontrolle zu bringen". Nach getaner
Arbeit seien die Polizisten wieder abgezogen. Israel trägt in diesem Gebiet
die Sicherheitsverantwortung. Khouris Darstellung der Ankunft der Polizisten
"innerhalb von Minuten" beweise doch, "dass es keine stundenlange
Verzögerung gab". Siebzig Menschen
verloren ihr Dach über dem Kopf und "mussten unter Olivenbäumen schlafen",
sagt Khouri. Trotz dieses "Pogroms" ließ Nadim Khouri am vorigen Wochenende
ein erstes "Oktoberfest" ausrichten. Die Konrad Adenauer Stiftung und die
deutsche Repräsentanz halfen bei der Ausrichtung des Festes, zu dem etwa
5000 Menschen kamen. "Wir stellten ein paar Sonnenschirme auf, damit sie im
Schatten unser Bier trinken könnten", erzählt Khouri. Sein Bruder Daud,
Taybehs Bürgermeister, wollte auch andere Produkte bekannt machen: Olivenöl,
Weinessig und Kräuter. "Meine israelischen Freunde hatten Angst", sagt
Khouri. "Einige kamen dennoch und gaben sich als Ausländer aus." Das
Oktoberfest, mitten in einer muslimischen Umgebung, wenige Tage vor dem
Fastenmonat Ramadan, war ein gewagtes Unternehmen. "Aber wir wollen es jedes
Jahr wiederholen." In der palästinensischen Presse könne er dafür nicht
werben. "Laut alten jordanischen Gesetzen ist in Palästina Reklame für
Alkohol streng verboten." Gleichwohl erzählt der Geschäftsmann schmunzelnd:
"Während des Ramadan geht unser Umsatz spürbar zurück." Umgekehrt verweist
er auf Fässer mit tschechischer Aufschrift: "Die gehen an israelische Bars.
Deren Kunden sollen nicht merken, dass deren Hausmarke in Wirklichkeit
palästinensisch ist." Trotz des
erfolgreichen Oktoberfestes mit viel internationaler Presse beschäftigt
Khouri eher das Pogrom. "Die Familienangehörigen zwangen die entehrte Frau,
Gift zu trinken. Mahdi Khourije, 35 Jahre alt, verheiratet und Vater von
drei Kindern, wurde verhaftet. Er sitzt bis heute im Gefängnis, angeblich zu
seinem eigenen Schutz vor Blutrache."
Trotz Protesten ihrer Familie, wurde die ermordete Frau von der
palästinensischen Polizei exhuminiert. Da stellte sich heraus, dass sie
schwanger war. Der Tod der Dreißigjährigen war nicht gemeldet worden, weil
ihre Familie die "Schande" verheimlichen wollte. "Ich habe 2500 jordanische
Dinar für eine DNA-Prüfung bezahlt", sagt Khouri. Eine Probe wurde genommen
und nach Jordanien geschickt. "Wir wissen, dass die Frau vier oder fünf
Liebhaber in ihrem Dorf hatte. Wir wollen herausfinden, wer der Vater des
Kindes ist. Nur so könnten wir Mahdi aus dem Gefängnis befreien." Aber
"Präsident Abbas will keine Probleme", so Khouri. Abbas habe kein Interesse,
den Fall zugunsten eines Christen aufzuklären und so die Moslems gegen sich
aufzubringen. Frustriert meint Khouri: "Unter den Palästinensern gilt immer
noch das alte Stammesrecht." ©
Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 09-10-2005 |