Der vertagte Gipfel:
Am Ende beginnen
Kommentar von Yoel Marcus, Ha'aretz, 14.10.2005
Übersetzung Daniela Marcus
Die Nachricht der Vertagung des Gipfeltreffens
zwischen Ariel Sharon und Mahmoud Abbas bis nach den hohen jüdischen
Feiertagen war eigentlich eine gute. Denn solange sich Abgesandte
und Vermittler mit trivialen Angelegenheiten beschäftigen –z. B. mit
den Fragen, ob die Palästinenser Kugeln oder Gewehre haben dürfen,
oder welche der palästinensischen Gefangenen auf Grund ihres
"Dienstalters" und des Blutes, das an ihren Händen klebt, frei
gelassen werden sollten- schwebt die Bedrohung einer verpassten
Gelegenheit über uns. In der Tat verkündete US-Präsident Bush vor
zwei Jahren feierlich einer palästinensischen Delegation, Gott habe
ihm gesagt: "George, gib den Palästinensern einen Staat." Doch das
ist nicht genug!
Der palästinensische Staat und/oder das Ende des hiesigen Konfliktes
hängen von den Führenden beider Völker ab. Arafat war kein Partner
und konnte auch keiner sein, denn er wollte kein Abkommen erzielen.
Doch nun liegt die Herrschaft in den Händen zweier alter und
erfahrener Reitersmänner, die zusammen mehr als 100 Jahre Erfahrung
im Kampf zwischen ihren beiden Völkern, die sich um eine friedliche
Lösung bemühen, aufweisen können. Die beiden Männer sollten sich zu
einem privaten Gespräch treffen. Ohne Stenographen, ohne Berater und
Anwälte, ohne Dokumente, ohne Formalitäten, nur mit dem Ziel, sich
nüchtern darauf zu einigen, was jeder tun kann und was nicht.
Bevor sie in die Details gehen, müssen sie festlegen, wo sie am Ende
des Prozesses sein wollen und sein können. Mit anderen Worten: Sie
müssen ihre Konversation am Ende beginnen. Einige der größten
Errungenschaften Israels in der Vergangenheit hatten Erfolg, weil
die Führungskräfte im Voraus wussten, was sie wollten. Z. B. der
Frieden mit Ägypten. Mahmoud Abbas liegt mit seiner Aussage, er sei
schwach, weshalb wir großzügig sein, ihm helfen und ihm Spielraum
einräumen müssten, wirklich falsch. Sharon strömt gewiss Macht und
Kampfeslust aus, doch er ist nicht allmächtig. In der Tat führte er
die Abkopplung von Gaza durch. Doch wenn nur ein paar Dutzend Wähler
ihre Meinung in der Zentralversammlung des Likud geändert hätten,
wäre er als führender Mann entlassen worden. Dies zeigt, dass es für
Abu Mazen nicht ausreicht, Rücksicht zu fordern. Er muss auch die
Tatsache in Betracht ziehen, dass Sharon nicht allmächtig ist,
sondern dass seine Macht Grenzen hat. Abu Mazen geht auf Wahlen im
Januar zu und Sharon auf Vorwahlen spätestens im April. Bei ihrem
privaten Treffen müssen sie entscheiden, wie sie einander helfen
können.
Mein Beitrag, so könnte Sharon sagen, ist derjenige, dass ich
bewiesen habe, dass eine Mehrheit der Israelis bereit ist,
Kompromisse zu schließen und nicht mehr dem Traum eines Groß-Israels
nachhängt. Eure palästinensische Grundlage muss lauten, dass ihr den
Staat Israel nicht zerstören könnt. Leider habt ihr diesen Punkt
noch nicht erreicht. Ihr habt Organisationen, die sich auf die
dritte Intifada vorbereiten. Mein ehrenwerter Mahmoud, könnte Sharon
sagen, es ist bedauerlich, dass unser Durchhaltevermögen noch nicht
in euer Bewusstsein vorgedrungen ist. So wird es zu keiner großen
einseitigen Abkopplung kommen, sondern man wird mich höchstens
absägen. Doch es gibt sonst niemanden außer mir, der schmerzhafte
Zugeständnisse machen kann. Schau, welches weltweite Prestige uns
die Evakuierung aus Gaza eingebracht hat. So werdet auch ihr
dastehen, wenn ihr eure Extremisten in ihre Schranken verweist.
Zwischen Kaffee und Torte, könnte Sharon dann persönlicher werden:
Hör zu, es ist am wichtigsten, dass du lernst, wozu wir fähig sind
und wozu nicht. Wir müssen pedantisch sein, denn wir sind ein
gesetzestreues Land. Wir können dich nicht "stärken", indem wir
Gefangene frei lassen, die unschuldige Kinder und Frauen ermordet
haben. Wir können nicht akzeptieren, dass Hamas –eine Einheit, die
von der größten Supermacht der Welt als Terrororganisation
deklariert wurde und die Hass auf Juden sät und Kassam-Raketen
abfeuert- an den Wahlen und an der Regierung teilnimmt. Das wäre das
gleiche wie wenn die neue irakische Regierung Al-Kaida in ihrer
Koalition hätte.
Hier und jetzt können wir offen miteinander reden, könnte Sharon
weiter sagen. Erkläre uns, was wir von dir erwarten können und nutze
es, von mir die Regeln eines demokratischen Landes zu lernen, damit
du verstehst, was ich tun kann und was nicht. Jitzchak Rabin,
seligen Angedenkens, war neidisch auf die Tatsache, dass ihr ohne
Petitionen eines Obersten Gerichtshofes regieren könnt und ohne die
Menschenrechtsadvokaten der Menschenrechtsorganisation B’Tselem.
Doch das ist nicht die Art von Staat, die du dir wünschen solltest.
Das Gespräch der beiden alteingesessenen Führungsmänner sollte am
Ende beginnen und sich zum Anfang entwickeln. Anstatt sich über die
Anzahl von Kugeln und Gefangenen zu streiten, müssen sie im Voraus
eine private Übereinkunft darüber erzielen, wie sie ein Abkommen zu
den Themen "palästinensisches Rückkehrrecht" und "Jerusalem" und
über die Errichtung eines palästinensischen Staates neben Israel
erreichen können. Beide haben nur begrenzten Kredit für nicht mehr
als ein Jahr bevor sie die Bühne verlassen. Und nach ihnen die
Sintflut.
hagalil.com 14-10-2005 |