Aus Jerusalem:
Israelische Reaktionen auf Merkel als Kanzlerin
von Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 10. Oktober
2005
"Die Beziehungen zwischen unseren Ländern
sind wohl besser denn jemals zuvor, wenn man in Berlin schon darüber
diskutiert, das israelische Modell in der Politik zu übernehmen", witzelte
Cyrill Nunn, Geschäftsträger der deutschen Botschaft in Tel Aviv, vor über
tausend geladenen Gästen aus Anlass des "3. Oktober", der wegen des
jüdischen Neujahrsfestes auf den 9. Oktober verlegt worden ist.
Hauptgesprächsthema bei dem Empfang war die Koalition in Berlin. Angela
Merkel ist bei den Israelis eindeutig die Favoritin, nicht nur weil sie nach
Schröder die angeschlagenen Beziehungen mit den USA wieder kitten wolle.
Über Schröder wurde gesagt, dass er eher frostige Gefühle gegenüber Israel
hegte.
Spekuliert wurde auch über die Nachfolge von Joschka Fischer. Denn vom
künftigen Außenminister wird abhängen, wer den verwaisten Posten des
nächsten bundesdeutschen Botschafters in Tel Aviv übernehmen könnte, nachdem
Rudolf Dressler in Pension gegangen ist. Im Cocktailgespräch waren für den
Posten des Chefdiplomaten an der deutschen Botschaft Joschka Fischer und der
scheidende Leiter der Konrad Adenauer Stiftung in Jerusalem, Johannes
Gerster. Aber ein deutscher Diplomat votierte eher für einen
Karriere-Beamten des AA.
Nach Bekanntwerden der Einigung über eine "Große Koalition", was in Israel
"Koalition der nationalen Einheit" heißt, meldete sich der Historiker Mosche
Zimmermann im Rundfunk zu Wort. Zimmermann meinte, dass sich Deutschland
jetzt jenen "modernen Staaten" folge, bei denen sich die Gleichberechtigung
von Mann und Frau durchgesetzt habe. "Bisher hatten die Deutschen da einen
mentalen Block", sagte Zimmermann. Erstmals werde eine Frau auf jenem Stuhl
sitzen, "auf dem zuvor Stresemann, Hitler und Schröder gesessen haben".
Zimmermann meinte, dass die beiden großen Parteien sich "gegenseitig
blockieren", wenn sie gemeinsam regieren. Aber der Wähler habe sich nun
einmal dazu entschieden "einerseits mit den notwendigen Reformen
voranzuschreiten und gleichzeitig am Wohlfahrtsstaat nicht zu rütteln".
Wegen des "deutschen Ethos des Fleißes", so Zimmermann, sei die hohe
Arbeitslosenquote in Deutschland "unerträglich". Er schloss seine
Erklärungen deutscher Politik für die Israelis mit dem Hinweis, dass
Außenpolitik in Deutschland "gar kein Thema" sei. Eine offizielle Reaktion
der israelischen Regierung liegt noch nicht vor.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 10-10-2005 |