Amerikanische Hoffnung geplatzt:
Der Gipfel, den niemand wirklich wollte
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Das Gipfeltreffen des palästinensischen Präsidenten
Mahmoud Abbas mit Israels Premier Ariel Scharon war eine amerikanische Idee.
Doch weder Scharon noch Abbas waren wirklich daran interessiert. Die
Bush-Regierung glaubte, die angebliche Gelegenheit für eine Erneuerung des
Friedensprozesses nach dem israelischen Gaza-Rückzug nutzen zu können. Doch
der Rückzug bedeutet für beide Seiten ein noch nicht überwundenes Trauma.
Scharon muss sich gegen Vorwürfe wehren, den Gazastreifen der
Hamas und dem Terror überlassen zu haben. Abbas ist zwar die Siedlungen
losgeworden, hat aber den Gazastreifen nicht unter Kontrolle. Gleichwohl
glaubte Washington, dass jetzt die Zeit für einen Dialog gekommen sei. Um
ihren Herzenswunsch zu unterstreichen, befahlen die Amerikaner dem
jordanischen König Abdullah, Israelis und Palästinenser an einen Tisch zu
bringen. Doch Abdullah wollte sich nicht die Finger verbrennen. Zweimal
sagte er angekündigte Hubschraubertrips nach Ramallah und Jerusalems ab,
obgleich er gewiss die Vermittlerrolle der Ägypter gerne übernommen hätte.
Für Kairo war jedenfalls der amerikanische Zuschlag an die jordanische
Konkurrenz eine Beleidigung.
Scharon und Abbas hätten gegenseitig einen hohen Preis zahlen müssen, um dem
erzwungenen Gipfel den Anstrich eines Erfolgs zu geben. Traditionell muss
Israel "Gesten" liefern, die stets den Vorwurf einbrachten, unzureichend zu
sein. Abbas muss Forderungen stellen, die nie erfüllt werden und
Verpflichtungen aussprechen, die er nicht einhalten kann oder will, weil sie
ihm innenpolitisch schaden.
Ganz oben auf dem Forderungskatalog steht die Freilassung von Gefangenen.
Abbas würde am liebsten hunderte Palästinenser aus den israelischen
Gefängnissen befreien, und möglichst solche, die als Helden des
Widerstandskampfes Ruhm erlangt haben. Für Scharon kommt die Freilassung von
Männern mit "Blut an den Händen" nicht in Frage und schon gar nicht die
Mörder seines Weggefährten und ehemaligen Tourismusministers Rehabeam Zeevi.
In der Vergangenheit war bei den Palästinensern der Ärger über die
nicht-Entlassenen größer als die Freude über die Heimgekehrten, während die
israelische Regierung scharfe Kritik erntete, wenn sie "Terroristen" auf
freien Fuß setzt und die eigene Bevölkerung unnötig gefährdete. Die
Freigelassenen verpflichten sich zwar schriftlich, nie mehr gegen Israelis
vorzugehen. Aber oft genug stellte sich nach Anschlägen heraus, dass der
Attentäter einschlägig bekannt waren.
Eine weitere Forderung ist die Räumung von Straßensperren. Für die
Palästinenser bedeuten die Erdhügel und Betonklötze auf ihren Straßen eine
erhebliche Beschränkung ihrer Bewegungsfreiheit, während die Israelis
glauben, nur so Selbstmordattentäter aufhalten zu können. Da aber viele
Sperren und Erdhügel ohnehin unbemannt sind und nur Schikane sind, rühmen
sich die Israelis einer "humanitären Geste zur Erleichterung der
Lebensbedingungen für die palästinensische Bevölkerung", wenn sie dann doch
im Vorfeld eines Gipfels ihre Bulldozer schicken, einige überflüssige
Sperren wegzuräumen. Die Palästinenser fragen sich, wieso Israel die Sperren
plötzlich doch als "humanitäre Geste" wegräumen kann, wenn sie doch
angeblich für die israelische Sicherheit so notwendig sind. Kommt es nach
einer solchen "Geste" zu einem Anschlag, haben die Palästinenser Israels
"guten Willen" missbraucht, während Scharon politische Unverantwortlichkeit
vorgeworfen wird, den Palästinenser "vertraut" zu haben, obgleich sie den
Terror nicht bekämpfen.
Ähnlich argumentieren beide Seiten über den geforderten Rückzug israelischer
Truppen aus palästinensischen Städten im Westjordanland, der Einrichtung
einer "sicheren Passage" quer durch Israel zwischen dem Gazastreifen und dem
Westjordanland oder einer offenen Grenze zu Ägypten ohne israelische
Kontrollen. Neuerdings wollen die Palästinenser eine Genehmigung für
Waffenimporte. Abbas behauptet, dass seine Polizisten nicht ausreichend
Gewehre und Munition besäßen, um gegen Hamas, Terroristen und Verbrecher
vorzugehen. Jüngst drangen palästinensische Polizisten sogar ins
Parlamentsgebäude in Gaza ein, um auf ihre schlechte Ausrüstung aufmerksam
zu machen. Wohl zur Demonstration des Munitionsmangels schossen sie Hunderte
Runden in die Luft. Der israelische Geheimdienst behauptete, dass die
Autonomiebehörde Millionen Gewehrkugeln und Tausende Gewehre nach Gaza
geschmuggelt habe, als die Grenze zu Ägypten überrannt und offen war.
Israelische Politiker empfehlen Abbas, die illegalen Waffen der Hamas und
anderer Organisationen einzusammeln. Dann hätte seine Polizei "Waffen im
Überfluss".
Angesichts der Schwäche von Abbas und seiner Fatah-Partei vor den für Januar
angesetzten Parlamentswahlen, dem Chaos in Gaza und seiner zurückgetretenen
Regierung, will Abbas keinen gescheiterten Gipfel mit Scharon. Eine
Begegnung mit Scharon könnte zudem Behauptung von El Qaeda bestätigen,
wonach Abbas eine Marionette Israels und der Amerikaner sei. Gleichwohl
steht Abbas vor dem Problem, mit ziemlich leeren Händen nach Washington zu
reisen, wo er noch in diesem Monat Präsident Bush Rechenschaft über seinen
Kampf gegen den Terror ablegen soll.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
hagalil.com 11-10-2005 |