In Gaza droht eine ökologische Katastrophe:
Die Siedler sind weg, das verschmutzte Wasser bleibt
von Amira Hass, Ha'aretz
ZNet 25.08.2005, übersetzt von Ellen Rohlfs
Am Vorabend der Evakuierung der Siedlungen aus dem
Gazastreifen kamen unter den Palästinensern Gerüchte und Theorien auf, die
mit den Wasserressourcen zusammenhängen.
Manche mutmaßten Ariel Sharons Entscheidung, den Streifen zu verlassen
beruhe auf der Erkenntnis, dass der Vorrat an Trinkwasser zu Ende geht. Bei
anderen keimte die Hoffnung, dass nach Abzug der Siedler das
palästinensische Wasserproblem gelöst sei.
Diese Vermutungen zirkulierten von einem Stadtteil zum anderen und von einem
Gespräch zum nächsten, sie beanspruchten ernst genommen zu werden und waren
schließlich in den Augen von vielen zur Wahrheit geworden. Und es ist
schwer, besonders gegen die zweite, die „positive“ Behauptung zu
argumentieren.
Die gefährliche Wasserknappheit im Gazastreifen ist offensichtlich der
fruchtbare Boden für solche Legenden – eine Art Flucht aus der harten
Realität. 90% des Wassers, die aus dem Küsten-Aquifer zu den Wasserhähnen
der Menschen – 1,3 Millionen - im Streifen kommt, ist kein Trinkwasser.
Abgesehen von seinem brackigen Geschmack, der im Laufe des Jahres immer
abscheulicher wird, kann man ihn mit einer Menge Zucker im Tee zudecken.
Abgesehen von seiner trüben Farbe, die man durch Kochen zum Verschwinden
bringen kann. Das größte Problem ist, dass es sich um verschmutztes,
kontaminiertes Wasser handelt, das der Gesundheit schadet. Die Erklärung ist
einfach. Der Teil des Küsten-Aquifer, der den Streifen mit Wasser versorgt,
produziert 60-65 Mill.cbm Wasser jährlich. Das ist mehr oder weniger die
Menge Wasser, die von 600 000 Palästinensern in Gaza 1970 im Haus und in der
Landwirtschaft (und ein wenig in der Industrie) verbraucht wurde. Aber mit
dem ständigen Wachstum der Bevölkerung und dem Wechsel der Gewohnheiten im
Wasserverbrauch, wie es überall seit 20 Jahren der Fall ist, wurde der
Aquifer überstrapaziert (overpumped)
Zur Zeit pumpen die Palästinenser 150 Mill. cbm pro Jahr aus dem Aquifer und
die Siedleer hatten 4,1 Mill. cbm jährlich gepumpt, sagt der Hydrogeologe
Ahmend Al-Yaqubi, Direktor für Wasserressourcen in der Paläst.
Wasserbehörde. Mit anderen Worten, es besteht ein Defizit von über 90
Millionen cbm jährlich. Das Überpumpen hat direkte Auswirkung auf die
Qualität des Wassers. „Und den Israelis ist das sehr bewusst,“ fügt er
hinzu.
An bestimmten Orten, an denen das Aquiferwasser neun Meter unter dem
Meeresspiegel liegt, ist das hydrostatische Gleichgewicht gestört, und
Meerwasser dringt in den Aquifer ein. Das geschieht innerhalb eines
Streifens von 2 km entlang der Küste. Und da der Gazastreifen 6-10km breit
ist, sind etwa 20% des Landes von der Infiltration von Meerwasser betroffen.
Ein anderes Problem hängt mit den Abwässern zusammen: etwa 40 % der
Wohnungen sind nicht ans Abwassernetz angeschlossen. Sie haben Senkgruben,
deren Inhalt ins Aquifer durchsickern. Unbehandelte Abwässer infiltrieren
das Grundwasser von Orten, die mit dem Abwassersystem verbunden sind – trotz
internationaler Hilfe beim Bau von Aufbereitungsanlagen. Die Verschmutzung
ist besonders schlimm in häufig verstopften Röhren und am Boden von
Wassertanks.
Wasser von Haus zu Haus
Immer mehr Haushalte und Institutionen installieren private Aufbereitungs-
und Filtergeräte; aber es ist vor allem die obere Mittelschicht, die sich
das leisten kann. Andere überlegen, wann sie welches Wasser nehmen: zum
Reinigen und Duschen nehmen sie das Wasser aus dem Wasserhahn. Dieses
irgendwie ölige Wasser hinterlässt nach dem Duschen kein Gefühl der
Erfrischung. Die einzigen, die den Unterschied erkennen können, sind die
Leute aus Tel Aviv oder Ramallah. Die meisten Menschen haben den
Gazastreifen seit Jahren nicht verlassen und haben keine Erfahrung mit
frischem, klaren, nicht salzigen Wasser auf ihrer Haut und können deshalb
auch nicht vergleichen.
Sie kaufen ihr Trinkwasser von privaten Gesellschaften, die mit 10 000 $
kleine Anlagen zur Aufbereitung von Wasser installiert haben. Es gibt 36
solcher Anlagen im ganzen Streifen. Die kleinste bereitet 10-20 cbm Wasser
am Tag auf, die größere 50 cbm. Jeder cbm oder 1000 Liter Wasser werden für
50 NIS verkauft, verglichen mit durchschnittlich 1NIS/ 1cbm, der an die
Gemeinde für Wasser aus der Wasserleitung gezahlt werden muss. Genau so wie
Gasbehälter an die Haustür des Kunden gebracht werden, so geschieht es mit
aufbereitetem Wasser – das nur zum Trinken und Kochen benützt wird. Das
Gesundheitsministerium leistet die Gewähr, dass dieses Wasser tatsächlich
Trinkwasser ist.
Aber in einer Gesellschaft, in der 60% der Familien in Armut leben - gibt es
viele Familien, die sich das auch nicht leisten können. Sie sind von
Hilfsorganisationen abhängig, die alle islamisch sind, die ihre eigenen
Aufbereitungsanlagen gebaut haben und das Wasser an die Armen verteilen.
Kostenlose Verteilung wird auch von verschiedenen Gemeinden ausgeführt, die
auch ihre eigenen Aufbereitungsanlagen installiert haben. Dort gibt es dann
Wasserhähne, an denen die Leute ihre Wasserkanister auffüllen können. Das
ist eine der Hausarbeiten, die von den Jungen ausgeführt wird – und wenn man
nach ihrem fröhlichen Schreien neben einer solche öffentlichen
Wasserabzapfstelle in Khan Yunis geht, finden sie diese Arbeit nicht
beschwerlich. Dann gibt es noch örtliche Unternehmer, die Gallonen mit
Wasser füllen, sie auf Wagen stellen, die von Eseln gezogen werden, und die
sie für eine Gebühr an der Haustür verkaufen. Man kann schwer die Zahl der
armen Leute schätzen, die auf Grund von Unwissenheit oder Problemen mit dem
Zugang zu solchen Wasserhähnen nicht trinkbares Wasser zum Trinken nehmen.
All diese Begrenzungen, einschließlich Wassersperren, die von den Gemeinden
initiiert werden, haben das Maximum von Wasserverbrauch auf 60-70 Liter pro
Person / pro Tag gesetzt- es sind weniger als die 100 Liter, die von
Fachleuten als Minimum bestimmt wurden, weniger als die durchschnittlichen
220 Liter, die in Israel pro Tag/ pro Person verbraucht werden. Die
Palästinensische Wasserbehörde sagt, die Siedler im Gazastreifen hätten
sogar eine noch höhere Rate an Wasserverbrauch.
Neue Ressourcen sind nötig
Khaled aus Khan Yunis, der in den Gewächshäusern von Gush Kativ arbeitete,
hatte dort die Möglichkeit zu erleben, was unbegrenzter Wasserverbrauch
bedeutet und konnte das Wasser in seinem Haus mit dem klaren, sauberen
Wasser der Siedlung vergleichen. „Mein größtes Vergnügen bei meiner Arbeit
in der Siedlung bestand darin, mein Gesicht mit Wasser zu waschen. Was für
ein erfrischendes Gefühl! Und wie gut das Wasser schmeckte!“ erinnerte er
sich in der vergangenen Woche .
Wird die Evakuierung die Wassersituation im Gazastreifen verändern?
Al-Yakoubi möchte die Illusionen im Keim ersticken. Nach den Statistiken,
die der Palästinensischen Wasserbehörde von Mekorot, der israelischen
Wasserbehörde, zugestellt wurde, haben die 8000 Siedler im Streifen über 8
Mill.cbm Wasser jährlich verbraucht . Von diesen kamen 4,1 Mill. aus dem
Aquifer über 26 Brunnen , die seit 1967 meist im Gush Kativ gebohrt worden
waren. Die anderen 3,8 Mill.cbm kamen aus Israel.
Mit andern Worten verbrauchten die Siedler im Durchschnitt 1000cbm von
frischem, sauberen Wasser jährlich – verglichen mit den 123 cbm brackigem
und kontaminierten Wasser, das vom einzelnen Palästinenser verbraucht wird.
Im Gegensatz zu denen, die annehmen, dass Sharon die Siedler deswegen
evakuiert hätte, weil das Wasser im Aquifer weniger wurde, sagte Al-Yaqubi,
dass – soviel er weiß – der Zustand des Aquifer gut sei. Er leide nicht an
Überpumpen und er habe ein Erneuerungspotential von 6-8 Mill. cbm jährlich.
„Wir hörten von einem Plan, die landwirtschaftlichen Aktivitäten der Region
zu erweitern, sie für den Tourismus zu öffnen, über mehrere neue Fabriken,“
sagt Al-Yaqubi. Es sind die warnenden Worte eines Fachmannes an Politiker,
die gefährliche Versprechungen machen: „all dies erfordert große Mengen an
Wasser. Sollten wir – im Glauben, dass es dort eine Menge Wasser gibt – nur
vom existierenden Grundwasser abhängig sein, werden wir schnell den Aquifer
zerstören. Und zwar schneller, als man sich das vorstellen kann. Man muss
daran denken, dass der Aquifer eine nur begrenzte Menge hat, dass das
Erneuerungspotential begrenzt ist und dass die heraufgepumpte Wassermenge
nicht die sich erneuernde Menge übersteigen darf ,“ sagte er. „Wir müssen
uns mit zwei Statistiken befassen: 1. wir können die Bevölkerung des
Gazastreifens nicht reduzieren und 2. können wir die Kapazität des Aquifer
nicht erweitern.“ Eine Lösung wäre – und er betonte wieder, dass er nicht
als Politiker rede – die Hälfte der Bevölkerung von Gaza dorthin zu
befördern, wo Wasser ist.“ Z.B. auf die Westbank. Er nannte keine anderen
Orte, wo es Wasser gibt – z.B. Israel oder Kanada.
Die realistische Situation wäre natürlich, Wasser aus anderen Ressourcen zu
liefern. Israel weigert sich unerbittlich, palästinensischen Forderungen -
Wasser aus der Westbank in den Streifen zu transportieren – nachzukommen.
Nach den Oslo-Verträgen war Israel aufgefordert worden, dem Streifen 10
Mill.cbm Wasser jährlich zu verkaufen. Ein paar Jahre wurden 5 Mill. cbm
verkauft. Die anderen versprochenen 5 Mill. sind nicht gekauft worden, weil
es die bestehende Infrastruktur unmöglich machte und weil die Pal. Behörde
die Kosten nicht übernehmen konnte: 3 NIS pro cbm.
Eine andere Möglichkeit wäre die Entsalzung von Meerwasser. Ein Programm von
der US-Agentur für Internationale Entwicklung, eine
Meerwasserentsalzungsanlage zu bauen, die anfangs 22 Mill cbm jährlich
produzieren würde und 70Mill $ kosten würde, wurde zu Beginn der Intifada
abgebrochen. Eine andere Entsalzungsanlage, die im Norden des Streifens mit
französischen Geldern gebaut wurde, konnte wegen der Schießereien nicht
arbeiten und weil Palästinensern der Zugang zu diesem Areal verboten war.
Selbst wenn Entsalzungsanlagen gebaut würden, warnt Al-Yaqubi, würden sie
eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation voraussetzen, um operieren
zu können. Das Problem sind nicht die Baukosten, sondern die
Unterhaltungskosten. Entsalztes Meerwasser ist teuer. Es lohnt sich nicht,
so eine Anlage im Gazastreifen für die wenigen laufen zu lassen, die 10 NIS
pro cbm zahlen können. „Es ist erstaunlich, dass wir überhaupt noch am Leben
sind,“ sagte er und fasste so den Ernst der Lage zusammen.
hagalil.com 01-09-2005 |