UNDP-Report 2005:
Die "menschliche Entwicklung" und die Vereinten Nationen
Von Karl Pfeifer
Am 7.9.2005 wurde der 429 Seiten umfassende "Bericht
über die menschliche Entwicklung 2005" vom Entwicklungsprogramm der
Vereinten Nationen UNDP veröffentlicht. Ein wichtiges Kapitel darin ist den
gewaltsamen Konflikten gewidmet. Zwar gab es 2003 gegenüber dem Höchststand
von 51 Konflikten im Jahr 1991 "nur" noch 29 Konflikte, doch diese haben
während der letzten 15 Jahre einen extrem hohen Tribut an Menschenleben
gefordert.
"Es wird geschätzt, dass es weltweit 25 Millionen Menschen
gibt, die durch Konflikte ihre Heimat verlassen mussten"
1994 wurden fast eine Million Menschen – unter den Augen der Vereinten
Nationen – beim Völkermord in Ruanda umgebracht. Beim Bürgerkrieg in der
Demokratischen Republik Kongo starben etwa sieben Prozent der Bevölkerung.
Im Sudan hat der Bürgerkrieg zwischen dem islamischen Norden und dem
christlichen und animistischen Süden in zwei Jahrzehnten über zwei Millionen
Menschen das Leben gekostet und sechs Millionen Menschen zu Flüchtlingen im
eigenen Land gemacht. "Sobald dieser Konflikt überstanden war, brach eine
neue vom Staat [Sudan K.P.] angestachelte humanitäre Krise in der Region
Darfur im Westen des Landes aus. Bis heute hat der Konflikt schätzungsweise
2,3 Millionen Binnenflüchtlinge produziert und mindestens 200.000 weitere
Menschen sind in den benachbarten Tschad geflohen.... Die Auffanglager in
der Region Darfur mit schätzungsweise 1,8 Millionen Menschen sind zum Symbol
der Vertreibung geworden. Nachdem sie von Milizen, die von der Regierung
unterstützt werden, aus ihrer Heimat vertrieben wurden, sehen sich die
Menschen weit höheren Risiken von Unterernährung und Infektionskrankheiten
gegenüber als zuvor."
Im Bericht wird unter dem Titel "Die besetzten palästinensischen Gebiete –
wie die menschliche Entwicklung umgekehrt wird" berichtet:
"In den 1990er Jahren waren in den besetzten palästinensischen Gebieten
gewissen Verbesserungen bei der menschlichen Entwicklung zu verzeichnen.
Doch die zweite Intifada (Erhebung), die seit September 2000 läuft, und die
damit verbundenen militärischen Übergriffe in der West Bank und im
Gaza-Streifen haben zu einer drastischen Verschlechterung des
Lebensstandards und der Lebenschancen geführt.
In Folge des Konflikts war ein enormer Abschwung in der Wirtschaft
Palästinas zu beobachten. Durch die Schließung der Grenzen wurden die
palästinensischen Arbeitnehmer vom Arbeitsmarkt in Israel abgeschnitten.
Unterdessen hatten kleinere Betriebe damit zu kämpfen, dass die Versorgung
mit Betriebsstoffen unterbrochen wurde und sie von ihren Absatzmärkten
ausgeschlossen wurden. Dadurch sind die Löhne gesunken und die
Arbeitslosigkeit ist gestiegen. Die Arbeitslosenquote schnellte förmlich in
die Höhe, von 10 Prozent vor September 2000 auf 30 Prozent im Jahr 2003, und
2004 weiter auf 40 Prozent.
Eine qualifizierte Arbeiterschaft, der es bis zum Jahr 2000 immer besser
gegangen war, hat einen dramatischen Anstieg der Armut erlebt. Die
Armutsrate hat sich von 1999 bis 2003 mehr als verdoppelt – von 20 Prozent
auf 55 Prozent (siehe Tabelle).
Der Konflikt hat die gesamte Wirtschaftstätigkeit des Landes unterbrochen.
Man nehme einmal den vergleichsweise wohlhabenden Bezirk Nablus in der West
Bank. Bis zum September 2000 war die Stadt eine wirtschaftliche Drehscheibe.
Infolge des Konflikts hat sich die militärische Präsenz stark erhöht. Es gab
lange Ausgangssperren (im Großteil der zweiten Jahreshälfte 2002 sogar eine
Ausgangssperre rund um die Uhr), mehr Kontrollpunkte und gesperrte
Zufahrtsstraßen. Das Ergebnis: Geschäfte haben geschlossen, Handwerker haben
ihre Werkzeuge verkauft und Bauern ihr Land aufgegeben.
Die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit haben sich auch auf das
Gesundheits- und das Bildungswesen ausgewirkt. Fast die Hälfte der
palästinensischen Bevölkerung hat keinen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Die
Mütterfürsorge ist ab dem Jahr 2002 stark zurückgegangen. Und die chronische
Unterernährung bei Kindern hat sowohl in der West Bank als auch in Gaza um
50 Prozent zugenommen. In den letzten vier Jahren wurden 282 Schulen
beschädigt; weitere 275 Schulen liegen sozusagen direkt in der Schusslinie.
Die wachsende Unsicherheit beeinträchtigt Beschäftigungschancen und die
Grundversorgung mit Dienstleistungen, was sich nachteilig auf die
palästinensische Bevölkerung auswirkt und zu Rückschritten bei der
menschlichen Entwicklung führt."
Gewaltige Rückschritte bei der menschlichen Entwicklung:
in Prozent
Indikator |
Vor 09/00 |
2001 |
2002 |
2003 |
Armutsrate |
20.1 |
45.7 |
58.6 |
55.1 |
Arbeitslosenquote |
10.0 |
26.9 |
28.9 |
30.5 |
Frauen d. Schwangerschaftsfürsorge
erhalten |
95.6 |
|
82.4 |
|
Hausgeburten in der Westbank |
8.2 |
7.9 |
14.0 |
|
Chronische Unterernährung bei Kindern in
der Westbank |
6.7 |
7.9 |
|
|
und in Gaza |
8.7 |
|
17.5 |
12.7 |
Quellen: World Bank und Palestinian Central Bureau of
Statistics 2004, UN OCHA 2004b
Wenn wir diesem Bericht Glauben schenken, dann sind für
die triste Lage der Mehrheit der Palästinenser im gleichen Maße, die
palästinensische Intifada, die aus dem nichts kam, von niemanden
verantwortet wurde und die damit verbundenen militärischen Übergriffe
verantwortlich. Anderswo, zum Beispiel im Fall Darfur ist die UNO nicht so
ungewiss, dort ortet sie eindeutig die Verantwortlichen.
Botschafterin Freudenschuss-Reichl vom Bundesministerium
für Auswärtige Angelegenheit machte bei der Präsentation des Berichts darauf
aufmerksam, dass Gewalt tödlich ist und welche Rolle die EU bei
Konfliktprävention, Versöhnung zu spielen hat. Sie zitierte auch
Außenministerin Plassnig, die bei der letzten österreichischen
Botschafterkonferenz "Rule of Law" betonte.
Die UNO würde gut daran tun, die wirklich Verantwortlichen
für diese als "Intifada" euphemistisch bezeichnete Terrorwelle zu nennen,
die sich nicht gescheut haben, nach Oslo wieder Gewalt anzuwenden. Es ist
unzweifelhaft, dass diese Terrorwelle von der palästinensischen Machtelite
gefördert bzw toleriert wurde. Von "Rule of Law" kann in der PA keine Rede
sein, man sollte eher von "Rule of Lawlessness" sprechen. Vom Zustand der
Anarchie in der PA, der nicht zuletzt durch die Verbreitung von Waffen in
der PA noch angeheizt wird, ist im UNDP-Bericht nichts zu lesen.
Gerade gestern kam die Nachricht, dass der ehemalige
Sicherheitschef der PA im Gazastreifen ermordet wurde und das ist nur eine
Episode. Tatsache ist, dass der Zustand von Anarchie und Gewalt von der
PA-Führung lange genug toleriert wurde, weil im Trüben gut zu fischen ist
und sie so Milliarden in ihre privaten Konten abzweigen konnten.
Botschafterin Freudenschuss-Reichl sprach auch von der
Bemühung zur Versöhnung beizutragen. Da sollte Österreich und die EU nicht
diplomatisch wegschauen, wenn im PA-TV Hetzpredigten gegen Israel und die
Juden gehalten werden.
Bislang gelang es der PA-Führung für alle ihre Probleme –
und seien sie noch so hausgemacht – Israel verantwortlich zu machen. Doch
die Probleme der PA sind ja nichts außerordentliches in der arabischen Welt,
aus der die Gebildeten massiv emigrieren. Kann man wirklich Israel für die
Diskriminierung der Frauen in diesen Ländern verantwortlich machen oder für
die Armut? Israel kann auch nichts für den weit verbreiteten Analphabetismus
in der arabischen Welt, für die Koranschulen mit ihrem eingeschränkten
Bildungsangebot.
Wir erinnern uns an die Journalisten, die vor dem
September 2000 den Gazastreifen besuchten und mit Empörung von der
Ausbeutung palästinensischer Arbeiter in Israel berichteten. Amira Hass
berichtete in Haaretz am 19.8.05 von der Nostalgie mit der palästinensische
Arbeiter an die Zeit zurückdenken, in der sie in Israel arbeiten durften.
Israel kann es nicht recht machen. Als es Palästinenser beschäftigte, wurde
das als "kolonialistische Ausbeutung" angeprangert. Wenn aber wegen dem
Terror ein Sicherheitszaun gebaut wird und nur wenige Palästinenser in
Israel beschäftigt werden, dann wird das als Apartheid und Aushungern
gebrandmarkt.
Vergessen wird die Tatsache, dass doch viele Muslime sich
immer, wenn es ihnen bequem erscheint auf die umma berufen, auf die Einheit
aller Araber. Es ist einfach nicht zu verstehen, weshalb die EU und die UNO
Milliarden in die PA stopfen, während die ölreichen Brüderländer fast gar
nichts beitragen, und wie es passieren kann, dass von dieser Unterstützung
nur ein ganz geringer Prozentsatz zur notleidenden Bevölkerung gelangt.
Solange an den palästinensischen Schulen nicht Freiheit
des Denkens, Selbstbestimmung, Recht auf Initiative und Toleranz die
vermittelten Werte sind, wird sich dieser Konflikt fortsetzen. Dort sollte
vielleicht die auswärtige Hilfe und Kontrolle zuerst ansetzen.
Auszug Human development index 2005:
|
Life
Expectancy at birth (years) 2003 |
Adult
literacy rate % ages 15 and above 2003 |
GDP per
capita (PPP US$) 2003 |
High Human
Development |
|
|
|
23
Israel
|
79.7 |
96.9 |
20.033 |
40
Quatar |
72.8 |
89.2 |
19.844 |
43
Bahrein |
74.3 |
87.7 |
17.479 |
44
Kuwait |
76.9 |
82.9 |
18.047 |
Medium human dev |
|
|
|
58
Lybia |
73.6 |
81.7 |
---- |
71
Oman |
74.1 |
74.4 |
13.584 |
77
Saudi Arabia |
71.8 |
79.4 |
13.226 |
81
Lebanon |
72.0 |
86.5 |
5.074 |
90
Jordan |
71.3 |
89.9 |
4.320 |
102 Occ. Palestine terr. |
72.5 |
91.9 |
---- |
103 Algeria |
71.1 |
69.8 |
6.107 |
106 Syria |
73.3 |
82.9 |
3.576 |
119 Egypt |
69.8 |
55.6 |
3.950 |
124 Morocco |
69.7 |
50.7 |
4.004 |
141 Sudan |
56.4 |
59.0 |
1.910 |
Vergleich |
|
|
|
Arab States |
67.0 |
64.1 |
5.685 |
South Asia |
63.4 |
58.9 |
2.897 |
hagalil.com 08-09-2005 |