Nach dem Attentat in London:
Fragen an Burhan Kesici
Jüdische Korrespondenz 9/2005
Jüdische Korrespondenz: Nur Stunden nach dem Attentat
vom 7. Juli schickte uns Rabbiner Herschel Glick aus London eine gemeinsame
Erklärung orthodoxer Rabbiner und muslimischer Oberhäupter. Von Ihnen
erhielten wir die Stellungnahme der Islamischen Föderation...
Burhan Kesici: Ja, nicht nur in Deutschland haben
islamische Organisationen sofort reagiert. Journalisten und Politiker wissen
mittlerweile, dass das ernst gemeint ist. Man hat doch Angst. Und endlich
wird mit und nicht über uns über diese Gefahr gesprochen, die mit dem Islam
als Weltreligion nun wahrlich nichts zu tun hat.
JK: Denken Sie eigentlich beim Wort Christentum jemals
an Inquisition oder Ku Klux Klan?
B.K: Natürlich nicht. Ich denke ja bei Islam auch nicht an
Terror oder Zwangsheirat!
JK.: Sie sind in Berlin geboren, Ihre Eltern kamen als
türkische Gastarbeiter, Sie haben Politikwissenschaft an der FU studiert.
Sie sind mit 32 Jahren erfolgreicher Verwaltungsratsvorsitzender der
Islamischen Föderation in Berlin, verheiratet, zwei Kinder. Werden diese
muslimisch erzogen?
B.K. Ein Muslim ist jemand, der sich zu Koran und Sunna,
also zur Weisheit unserer Propheten bekennt. Oder anders gesagt: Man wird
zwar als Muslim geboren, doch das Glaubensbekenntnis muss täglich gelebt
werden, so wird es den Kindern vermittelt. Das nennt man Werteerziehung. So
gesehen ist unsere Religion wie jede andere.
JK: Unterscheiden sich Muslime in Deutschland von denen
anderswo in der westlichen Welt?
B.K.: Die Unterschiede in der Sozialisation und im
politischen System prägen. In Frankreich z.B. herrscht eine strikte Trennung
von Staat und Religion. Hier in Deutschland können wir mitgestalten. Daher
fühlen sich viele Muslime hier oft wohler als dort.
JK.: Die Islamische Föderation ist ein Dachverband, der
12 von 70 Moscheen in Berlin verwaltet. In einem Streitgespräch in der
"Berliner Zeitung" mit einem Vertreter des Berliner Verfassungsschutzes
haben Sie gesagt, Terroristen gehen nicht beten. Was meinten Sie damit?
B.K. Die Moschee ist ein Gotteshaus. Natürlich wissen wir
nicht, was jemand im Kopf mitbringt. Wenn aber solche in die Moschee gehen,
dann sprechen sie ja nicht über ihre absurden Vorstellungen. Wird aber der
Islam zum Feindbild, dann wird plötzlich nur noch in diese Richtung gedacht.
JK: Wie wird es Ihrer Meinung weitergehen?
BK: Die Mehrheitsgesellschaft gibt den Ton an. Momentan
ist die Stimmung gereizt, aber man muss Vertrauen in die Zukunft haben.
JK: Wir hoffen am 7. November bei unserem 5. Workshop
auf Sie! Das Thema: Die Religion im weltlichen Alltag bzw. umgekehrt.
hagalil.com 06-09-2005 |