MEMRI Special Dispatch – 13.9.2005
"Stell dir vor, es sind Wahlen und keiner geht hin":
Mubarak bleibt Präsident
Kaum jeder vierte Ägypter habe Mubarak
gewählt, erklärte Noman Gomaa, Chef der oppositionellen Neo-Wafd-Partei,
der bei den ägyptischen Präsidentschaftswahlen vom Mittwoch Dritter
wurde. Das zeige, so Gomaa, dass das ägyptische Volk der Regierung
offenbar nicht traue. Auf der anderen Seite erklärten die
Regierungsmedien den amtierenden Präsidenten zum großen Gewinner der
Wahlen, bei denen schließlich erstmals auch andere Kandidaten zugelassen
waren.
Mehr als drei Viertel der abgegebenen
Stimmen, so sagen sie, seien auf Mubarak und lediglich 10-15% auf die
unterschiedlichen Oppositionskandidaten entfallen. Das wiederum zeigt,
so ließe sich letzterer Interpretation des Wahlergebnisses hinzufügen,
dass das ägyptische Volk der Opposition offenbar auch nichts zutraut.
Denn das legen die Zahlenspielereien in
jedem Fall offen: Einmal abgesehen von vielfältigen Fälschungen und
Wahlmanipulationen und den extrem ungleichen Möglichkeiten für die
Oppositionskandidaten, die Öffentlichkeit von sich und alternativen
politischen Programmen zu überzeugen - die Masse der ägyptischen
Wahlberechtigten hat von ihrem Wahlrecht schlicht keinen Gebrauch
gemacht. Auch beim Volksentscheid über die Verfassungsänderung, die eine
Wahl zwischen mehreren Kandidaten ja erst ermöglichte, hatten sich nach
Oppositionsangaben nur 3% der Bevölkerung beteiligt. Wenn also der
folgende Text von Muhammad Al-Sayyid Sa’id, erschienen auf der Seite der
ägyptischen Oppositionsbewegung Kifaya und in der Zeitung Al-Bayan
(VAE), behauptet, dass sich insbesondere die ägyptische Mittelklasse
Mubarak verweigert habe, so ist diese aber eben auch nicht für einen der
anderen Kandidaten an die Urnen getreten.
Steht dahinter vor allem die Überzeugung
der meisten Ägypter und Ägypterinnen, dass die Wahl eine gut inszenierte
Farce war, der Wahlausgang schon vorher feststand und die Wahlen ohnehin
nichts ändern würden? Oder sitzt das Dilemma tiefer? Offensichtlich
verharrt das Land weiter zwischen der Tradition eines verkrusteten
autoritären, patriarchalen und klientelistischen Einparteien- bzw.
Einpersonensystems auf der einen und Oppositionskräften auf der anderen
Seite, denen bisher auch kaum jemand zutraut, einen für die Masse der
Ägypter politisch und sozial verträglichen Wandel auf den Weg zu
bringen. Und draußen vor der Tür stehen weiter die Muslimbrüder – eine
Oppositionsbewegung, die als einzige in der Bevölkerung verankert ist,
deren islamistische Ideologie jedoch die Demokratie selbst gefährden
könnte.
Im Folgenden dokumentieren wir die
Wahlanalyse von Muhammad Al-Sayyid Sa’id aus Al-Bayan vom 10.9.2005:
"Zwei Drittel der Ägypter haben nicht
gewählt. Hat Mubarak also wirklich gewonnen?!"
"Schon die ersten inoffiziellen Ergebnisse
deuteten darauf hin, dass Präsident Mubarak bei den ägyptischen
Präsidentschaftswahlen einen außerordentlichen Wahlsieg errungen hat.
[Sein Sohn] und Leiter seiner Wahlkampagne, Gamal Mubarak, verkündete
den Triumph des Präsidenten. Und schnell legten sich auch die
staatseigenen Medien auf diese Version fest, die nun solange wiederholt
wird, bis sie zu einer unbestreitbaren Wahrheit wird. Auch die
offensichtlichen statistischen Ergebnisse dürften diese Sichtweise
bestätigen.
Die Anhänger Mubaraks machen aber einen
großen Fehler, wenn sie die äußerst bedeutsamen Resultate und Signale
übersehen, die vom reinen Abstimmungsverhalten ebenso ausgehen wie von
den Aspekten der Wahl, über die geschwiegen wird. Natürlich müssen wir
die endgültigen Wahlergebnisse abwarten um all diese Botschaften
verstehen zu können - dennoch lassen sich bereits ein paar dieser
verschwiegenen Ergebnisse und Botschaften erkennen [...].
Das erste und wichtigste Ergebnis war,
dass die Wahlbeteiligung in den 14 Provinzen, in denen erste
vollständige Ergebnisse bekannt wurden, bei nur 27% aller
Wahlberechtigten lag, die in den Listen eingetragen waren. Nur etwas
mehr als ein Viertel all derjenigen, die in den Wahlregistern
eingetragen waren, haben also ihre Stimmen abgegeben. Selbst wenn diese
Zahl noch bis auf ein Drittel steigen sollte, so ist nicht von der Hand
zu weisen, dass zwei Drittel der Ägypter nicht an den ersten
pluralistischen Wahlen für das höchste politische Amt des Landes
teilgenommen haben.
[Von den vorläufig offiziell bekannt
gegebenen 88% Stimmanteil für Mubarak] können wir schon einmal die drei
Millionen Ägypter abziehen, die laut offiziellen Angaben im Ausland
leben. Sie machen bereits knapp ein Zehntel der 32 Millionen als
wahlberechtigt registrierter Ägypter aus. Ferner müssen wir eine
unbekannte Zahl von Ägyptern in ‚besonderen Umständen’ (Behinderte)
abziehen. Darüber hinaus gibt es einen hohen Anteil Ägypter - es sind
dies die Ärmsten und Ungebildeten -, die sich kaum für die verschiedenen
Ebenen des öffentlichen Lebens interessieren. Sie kann niemand zur
Abgabe ihrer Stimme bewegen.
Außerdem können wir eine große Zahl von
Angehörigen weiterer Bevölkerungsgruppen von diesen 88% abziehen, deren
Lebensbedingungen ihnen den Gang in die Wahllokale nicht erlauben. Und
ein hoher Anteil von mindestens einem Viertel der volljährigen und damit
wahlberechtigten Ägypter hat sich gar nicht erst in die Wahllisten
eintragen lassen. Alles in allem heißt dies, dass nicht mehr als ein
Drittel der wahlfähigen Ägypter, einen triftigen Grund gefunden hat, zur
Wahl zu gehen.
Laut Al-Ahram wird Präsident Mubarak also
mit mindestens 88% der Stimmen den Sieg davontragen. Natürlich ist das
ein deutlicher Sieg - aber trotzdem hat nur eine geringe Zahl von
Ägyptern für Mubarak gestimmt. Hinzuzufügen wäre noch, was verschiedene
Wahlbeobachtungsinstitutionen bestätigen, dass es beim Wahlprozess einen
offensichtlichen und breit angelegten Betrug gegeben hat. So hat etwa
eine beträchtliche Anzahl an Wählern nicht persönlich an den Wahlen
teilgenommen, sondern wurde durch ein paar andere vertreten.
All diese Fakten sind Anlass, die Theorie
vom großen Triumph Mubaraks mit äußerster Vorsicht zu genießen. Nach 24
Jahren absoluter Herrschaft und trotz der totalen Kontrolle des
Regierungsapparates über Wirtschaft, Gesellschaft, Medien und Kultur in
Ägypten, hat es Präsident Mubarak nicht geschafft, die Mehrheit der
Ägypter zu vereinnahmen und zu überzeugen, ihn mit ihrer Stimmabgabe zu
unterstützen.
Daraus folgt auch ein weiterer Umstand,
den die reinen Zahlen verschweigen, nämlich die Frage, wie der soziale
Hintergrund der Wählerschaft aussieht. So ist beinahe die gesamte
Mittelklasse in den Städten, die ein Jahrhundert lang das Projekt des
ägyptischen Nationalismus anführte, den Wahllokalen fern geblieben. Das
heißt, das Präsident Mubarak die Mittelklasse verloren hat - zumindest
aber deren Enthusiasmus. Vielleicht ist dies sein wichtigstes
politisches Problem überhaupt.
Diese Mittelklasse glaubt, dass sie vom
politischen System insgesamt nicht mehr repräsentiert wird. Deshalb
interessiert sie sich nicht für die Wahl, obwohl sie doch die
Gesellschaftsschicht ist, die mit ihrem Bildungsniveau und ihrer hohen
Professionalität am meisten geeignet ist, sich an der Regierung des
Landes zu beteiligen. Gewählt haben also die städtischen und ländlichen
Armen, die Schicht der Arbeiter und Bauern also, die von der Herrschaft
der regierenden politischen Klasse, ihrem bürokratischen Apparat und
ihrer wirtschaftlichen Einflussnahme abhängig ist. Dieser Umstand stellt
das wohl größte und wichtigste Paradox dar."
THE MIDDLE EAST MEDIA RESEARCH
INSTITUTE (MEMRI)
eMail:
memri@memri.de,
URL: www.memri.de
© Copyright by The Middle East Media Research Institute
(MEMRI) - memri.de. Alle Rechte vorbehalten.
hagalil.com 14-09-2005 |