Fünf Jahre:
Die Intifada - ein Krieg in Phasen
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Die seit fünf Jahren tobende Intifada wird oft nur mit
Begriffen wie "Kreislauf der Gewalt" oder "Eskalation" beschrieben.
Tatsächlich bestand sie aus sehr unterschiedlichen Phasen.
Die ersten Wochen waren ein kontrollierter Volksaufstand, als sich täglich
tausende palästinensische Jugendliche an Grenzübergängen bei Bethlehem oder
Ramallah eine Steinschlacht mit israelischen Soldaten lieferten. Dabei kam
es über die Köpfe der Kinder hinweg zum Schusswechsel mit bewaffneten
Palästinensern. Hunderte Kinder wurden getötet. Die Palästinenser fühlten
sich noch sicher, weil Israel die Grenzen zu den palästinensischen
A-Gebieten respektierte.
In den ersten Monaten gab es internationale Versuche, die Gewalt zu stoppen.
Jassir Arafat wurde nach Paris, Kairo und Washington zitiert. In Taba
(Ägypten) scheiterten letzte Friedensgespräche. Weil Arafat den "spontanen
Volksaufstand" nicht stoppen konnte oder wollte, endeten diese politischen
Bemühungen. Nach internationalem Druck beendete Arafat wenigstens das
rituelle Steinewerfen der Kinder. In dieser ersten Phase reagierte Israel
unter Ehud Barak auf schwere Zwischenfälle mit der Zerstörung der
Hauptquartiere palästinensischer Streitkräfte durch Bombenangriffe aus der
Luft. Tote gab es dabei kaum, weil die Palästinenser Stunden vorher gewarnt
wurden und so ihre Papiere und Schreibtische retten konnten.
Die zweite Phase ist durch den Einsatz von Selbstmordattentätern
gekennzeichnet, erst der islamistischen Hamas-Organisation und später der
weltlichen El Aksa Brigaden der Fatah-Partei Arafats. Die verunsicherten
Israelis hatten darauf keine Antwort. Zum ersten Mal seit der Gründung des
jüdischen Staates traf ein Krieg die Bevölkerung. Ein besonders tödlicher
Anschlag an einem symbolischen Tag, 30 Tote am Passah-Fest in Netanja Ende
März 2002, war der Auslöser für die dritte Phase. Ministerpräsidenten Ariel
Scharon beschloss, die Grenzen der Autonomiegebiete nicht mehr zu
respektieren. Er ordnete den Einmarsch im Westjordanland an, sporadisch auch
im Gazastreifen. Parallel dazu wuchs der Druck auf die Regierung, die
Selbstmordattentate durch eine physische Barriere zu stoppen. Zehn Jahre
zuvor schon war die Errichtung eines Zaunes oder Sperrwalls entlang der
"Grünen Grenze" diskutiert und aus politischen Gründen verworfen worden. Die
künftige Grenze sollte durch Verhandlungen festgelegt werden und nicht der
Waffenstillstandslinie von 1949 entsprechen. Der palästinensische Traum der
Wiedererstehung der alten Linien durch einen sichtbaren Sperrwall ging aber
nicht ganz in Erfüllung, weil Israel den Verlauf von Zaun und Mauer ohne
Rücksicht auf palästinensische Forderungen festlegte. Unerwartet für die
Palästinenser war die hermetische Absperrung. Die Palästinenser wollten zwar
die Besatzer mitsamt den Siedlern aus "ihren" Gebieten rauswerfen, pochten
aber gleichzeitig auf ihrem "Recht", zu Hunderttausenden täglich zur Arbeit
nach Israel wechseln zu können. Zu allen Phasen gehörte ein wirtschaftlicher
Niedergang auf beiden Seiten, besonders bei den Palästinensern, sowie ein
Propagandakrieg in den Medien, in der UNO und vor dem Internationalen
Gerichtshof.
Die Aufdeckung des Waffenschiffs Karine A, das Raketen von Iran nach Gaza
bringen sollte, und die Ermordung von amerikanischen Diplomaten im
Gazastreifen beendete die Phase amerikanischer Vermittlung vor Ort. Das
gegenseitige Misstrauen verhinderte fortan jegliche Kommunikation.
Die Vision zweier Staaten des amerikanischen Präsidenten und die Erfindung
der "Roadmap", einer internationale Wegekarte zur Erneuerung des
Friedensprozesses, brachten keine Umkehr. Erst mit dem Tod Arafats und der
Wahl von Mahmoud Abbas begann auf der palästinensischen Seite politische
Bewegung, während Scharons Ankündigung eines einseitigen Rückzugs aus dem
Gazastreifen zunächst nur Verwirrung stiftete, weil niemand daran glaubte.
Mit dem vollbrachten Rückzug hat möglicherweise eine neue Phase mit
ungewisser Aussicht begonnen. Israel hat die Palästinenser vor vollendete
Tatsachen gestellt, wie zuvor durch Bau und Verlauf des Grenzwalls. Die
Palästinenser haben ein Teilziel auf ihrem Weg zu Staat und Unabhängigkeit
erreicht, aber nicht zu ihren Bedingungen. An die Stelle des physisch
weitgehend abgeblockten Terrors sind hausgemachte Kasam-Raketen getreten.
Der Zeitplan der "Roadmap" hat sich längst erübrigt. Friedensverhandlungen
sind nicht in Sicht, zumal in Israel und bei den Palästinensern ein
innenpolitisches Chaos droht. Scharon könnte stürzen und Abbas könnte bei
den Wahlen am 27. Januar ein Parlament mit Hamas-Mehrheit vorgesetzt werden.
Ob dann die "dritte Intifada" ausbricht oder aber Vernunft mit Dialog und
Verhandlungen einzieht, will niemand vorhersagen.
© Ulrich W. Sahm / haGalil.com
Zahlen und Statistiken:
Bilanz der Intifada
Nach Angaben der Homepage des israelischen Militärsprechers
seien 1064 Israelis getötet worden, darunter 745 Zivilisten und 319
Sicherheitsleute...
hagalil.com 27-09-2005 |