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MEMRI Special Dispatch, 3. August 2005

"Wolf im Schafspelz":
Tariq Ramadan zu den Anschlägen in London

Für die einen ist er ein "Wolf im Schafspelz", für die anderen ein "Popidol der Pariser Vorstädte": Am Schweizer Islamwissenschaftler Tariq Ramadan scheiden sich die Geister. Er selbst sieht sich als Sprachrohr der muslimischen Gemeinde in Europa, die – so könnte man Ramadans Projekt zusammenfassen – eine islamische Identität behalten und diese doch an die europäischen Gesellschaften und deren Normen anpassen soll. Ramadans Kritiker werfen ihm dabei vor, beiden Seiten lediglich die gewünschten Schlagworte zu liefern und sich konkreten Fragen wie denen nach Bekleidungsvorschriften oder Körperstrafen zu entziehen. Zum Kopftuch sagt er etwa Folgendes: "Das Kopftuch ist eine Pflicht, darf aber nicht Objekt eines Zwangs werden."

In jedem Fall ist der Enkel des Gründers der Muslimbruderschaft, Hassan al-Banna, medial omnipräsent – vielleicht auch, weil er die Vielschichtigkeit des Islam in Europa quasi in einer Person vereint. Mehrere Bücher sind mittlerweile zu ihm erschienen. Als "ideologisches U-Boot" bezeichnet ihn etwa Caroline Fourest in "Frère Tariq" und kommt zu dem Schluss, dass Ramadan "nicht ein der Aufklärung und dem Rationalismus verpflichteter muslimischer Intellektueller ist, sondern ein wendiger islamistischer Prediger, ein Kriegstreiber im Kampf der Kulturen", der den Islam für die überlegene Religion halte und etwa religiös gemischten Ehen ebenso feindlich gegenüberstehe wie der Homosexualität (so fasst Martina Meister in FR, 9.2.2005 Fourests Ergebnisse zusammen).

Den "anderen Tariq Ramadan" präsentierte er nach den Londoner Anschlägen. Sowohl in der BBC wie auch in einem Beitrag für die liberale panarabische Tageszeitung Al-Sharq al-Awsat wendet er sich nicht nur entschieden gegen den Terror, er plädiert auch für einen angepassten, nicht wortgetreu interpretierten Islam. Die Muslime in westlichen Gesellschaften ruft er auf, die Regierungen in ihrem Kampf gegen Hassprediger zu unterstützen. Im Folgenden dokumentieren wir den Beitrag aus Al-Sharq al-Awsat, der am 21. Juli 2005 erschien:

"Wer ist verantwortlich für die Anschläge vom 7. Juli?"

"In Spanien hat Premierminister Zapatero [nach den Anschlägen von Madrid] seine Truppen aus dem Irak abgezogen und alle illegalen muslimischen Einwanderer amnestiert, statt sie zu verfolgen [...]. Außerdem hat er zu einer Allianz der Kulturen und zur Intensivierung des Dialogs aufgerufen! Jetzt [nach den Anschlägen in London] fragen sich natürlich viele: Ist das ein gutes Beispiel?

Meiner Meinung nach können symbolische Taten durchaus wirksam sein. Auf längere Sicht betrachtet, benötigen wir jedoch eine echte Integrationspolitik. Wir müssen sehen, dass religiöse und ethnische Vielfalt Europas Zukunft und keine vorübergehende Erscheinung sind.

Das größte Problem, mit dem wir heute konfrontiert sind, ist kein rechtliches. Vielmehr fehlt es an gegenseitigem Vertrauen. Die Muslime in Europa werden negativ wahrgenommen. Sie sehen die Ausbreitung von Rassismus und Islamophobie in den Gesellschaften, in denen sie leben und fühlen sich nicht akzeptiert.

Gegenseitiges Vertrauen würde entstehen, wenn die Behörden den Integrationsprozess erleichtern, die muslimischen Gemeinden auf lokaler und nationaler Ebene einbeziehen und nicht weiter versuchen würden, sie zu kontrollieren. Wenn Muslime den Eindruck gewinnen, dass die Regierung versucht, sie zu beherrschen und zu kontrollieren, haben sie das Gefühl, Bürger zweiter Klasse und nicht verantwortungsbewusste Mitglieder der Gesellschaft zu sein. [...]"

'Die Mehrheit der Muslime im Westen hat einen angepassten Islam entwickelt'

"Es ist an der Zeit, dass Regierungen und muslimische Gemeinden eine zivilgesellschaftliche Politik entwickeln, um die Ghettobildung aufzubrechen – sei sie kulturell, ökonomisch oder bildungsmäßig wie in Frankreich oder ethnischer Art wie in Großbritannien!

Vor diesem Hintergrund müssen die Regierungen und die muslimischen Gemeinden auch zusammenarbeiten, wenn es um die Ausbildung von Imamen geht. Im Moment kommen die meisten Imame aus dem [nicht-europäischen] Ausland. Wir brauchen aber Imame, die in Europa studiert haben!

Die Frage ist aber: Wer nimmt das in die Hand? Ich meine, dass hier die Regierungen eingreifen und helfen müssen, weil wir Imame brauchen, die in den europäischen Sprachen ausgebildet sind und ein islamisches Denken vermitteln können, das an die europäische Gesellschaft angepasst ist. Das ist ganz wichtig, um solchen Imamen, die Hass und Gewalt predigen, die Grundlage zu entziehen. [...]

Global betrachtet sehen wir, dass die Mehrheit der Muslime in den Vereinigten Staaten, Kanada, Australien und Europa ihren islamischen Glauben bereits erfolgreich an die jeweilige Gesellschaft angepasst hat. Sie sind zu loyalen Bürgern der Gesellschaften geworden, in denen sie leben. Ich sage also, was ich immer sage: Trotz der Attentate ist die eigentliche Geschichte des heutigen Islam die einer 'stillen Revolution', die unter den Muslimen im Westen stattfindet. Angeführt wird sie vor allem von den Frauen, die sich für Demokratie, Meinungs- und Glaubensfreiheit, gleichberechtigte Partizipation, Pluralismus und die Herrschaft des Gesetzes stark machen. Sie sind tatsächlich zu westlichen Bürgerinnen geworden. Und diese schweigende Mehrheit ist es auch, die vor allem den Bombenattentätern von London gegenübersteht. Weil diese nämlich wollen, das wir [Muslime] eine binäre Sicht auf die Welt und uns selbst haben, ist es eine Niederlage für sie, wenn ihr Ansatz des 'Wir gegen sie' zurückgewiesen wird.

Die Motivation der Londoner Attentäter, die Linie zu überschreiten und zu Selbstmordattentätern zu werden, bleibt noch unklar. Dennoch lassen sich eine Reihe von Faktoren ausmachen. An erster Stelle steht ein persönliches Motiv: Die Annahme, sich durch die Ermordung seiner Feinde, selbst zu reinigen. Zweitens glauben die Attentäter, einer Strategie zu folgen, indem sie gegen die Hauptfeinde des Islam vorgehen, das heißt gegen die USA sowie einige europäische Staaten, die hinter den diktatorischen Regimen in der arabisch-islamischen Welt stehen. Drittens spielt sicherlich die binäre Sicht vom 'Kampf der Kulturen' eine Rolle."

'Gegen Hassprediger müssen wir mit dem Staat und der Polizei zusammenarbeiten'

"Angesichts so dramatischer Ereignisse wie der Ermordung des Regisseurs Theo van Gogh oder der Anschläge in London, die einen Schatten auf die Zukunft der Integration der Muslime in Europa werfen [...], müssen wir Muslime uns klar darüber sein, dass diese Attacken nicht so bald aufhören, sondern wohl ein Teil unserer Zukunft in Europa bleiben werden.

Deshalb brauchen die Muslime eine Art von Selbstkritik. Sie müssen Bereiche abstecken, in denen sie effektiv jene stoppen, die derartige Angriffe ausführen oder andere dazu anstiften. Zu diesen Bereichen gehören zuerst einmal der Dialog der Religionen sowie der Kampf gegen jene Lesarten und Interpretationsarten [des Islam], die zu Hass und zur Gewalt anstiften. Diese verstoßen gegen den Islam. [...]

Dabei reicht es aber nicht aus, diese Interpretationen nur zu verurteilen. Wir müssen auch gegen jene vorgehen, die sie verbreiten und sie verfolgen. Das bedeutet erstens, dass wir mit den politischen Institutionen und selbst mit der Polizei zusammenarbeiten müssen, wenn Imame oder andere zu Hass und Gewalt aufrufen und gegen Gesetze und Verfassungen in den europäischen Ländern verstoßen.

Zweitens müssen wir uns mit den Schuldgefühlen und dem Gefühl auseinandersetzen, in einem nicht-islamischen Umfeld zu leben, weil dies von denjenigen ausgenutzt wird, die den Hass auf ‚die unislamische Umwelt’ in den westlichen Gesellschaften propagieren. Oft sind junge Muslime, die gewalttätig und irrational agieren, gesellschaftlich integriert, haben Arbeit oder studieren an Universitäten. Einige von ihnen sind verheiratet. Sie leiden aber an einem emotionalen und psychischen Ungleichgewicht. Sie haben das Gefühl, irgendwie unrein und weit davon entfernt zu sein, wie ein idealer Muslim zu leben. Sie haben Schuldgefühle und denken, dass sie nicht tun, was sie eigentlich tun müssten. Und dann kommen die Gihad-Prediger zu diesen jungen Leuten und fragen sie: 'Wollt ihr euch selbst retten? Wollt ihr euch reinigen?... Wir haben da eine Lösung.' Dem müssen wir entgegen treten.

Drittens müssen wir uns mit der Verbindung zwischen dem globalen Geschehen im Irak und in Palästina und der lokalen Situation in Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder Deutschland beschäftigen. Wann immer ein junger Muslim wütend wird, wenn er das Geschehen in Kaschmir, Guantánamo, im Irak oder in Afghanistan sieht, muss er sich als Bürger am Kampf gegen die Politik seiner Regierung beteiligen. Denn die Lösung liegt nicht in der Ermordung von Unschuldigen in der Londoner U-Bahn, sondern darin, dass die Muslime darauf bestehen, in den Demokratien in denen sie leben, ihre Stimme zu erheben. Sie müssen insistieren, dass ihre Regierungen ausgeglichene Positionen beziehen und nicht zweierlei Maßstäbe anlegen. Wenn Du also wütend darüber bist, was Muslimen in aller Welt angetan wird, dann solltest Du damit wie ein verantwortlicher Bürger umgehen und nicht zum Selbstmordattentäter werden."

'Attentäter sind auch Kinder der europäischen Gesellschaften'

"Wenn aber die muslimischen Führungspersönlichkeiten in Europa angesichts dessen verstummen, weil sie fürchten, das ganze Boot geht unter, dann wird sich die wütende Jugend einen anderen Weg suchen, auf das zu reagieren, was sie als Ungerechtigkeit an so vielen Orten der Welt empfindet.

Was die europäischen Regierungen dagegen unternehmen können? Toni Blair sagte, dass es ‚den Muslimen überlassen ist, etwas zu tun, um die der muslimischen Gemeinde angehörenden Mörder zu stoppen.’ Meiner Meinung nach stimmt dies nur zum Teil. Es ist doch mittlerweile wie in einer Familie: Wenn eines der Kinder einen Fehler begeht, so sind seine beiden Elternteile dafür mitverantwortlich. Die Attentäter von London sind in Europa geboren. Sie sind nicht nur Kinder von Muslimen, sondern gleichermaßen Kinder der europäischen Gesellschaft! So ist die muslimische Gesellschaft nur ein Elternteil, der etwas tun muss. Auch der andere Teil, die europäische Gesellschaft, muss etwas tun."

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hagalil.com 04-08-2005

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