Delikate Lösungen:
Synagogen und Friedhof im Gazastreifen
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Die geräumten Siedlerhäuser im besetzten Teil des
Gazastreifens sind von der Armee schon mit einem aufgesprühten "X"
gekennzeichnet worden. In wenigen Tagen, nachdem die letzten widerspenstigen
Siedler und deren rechtsradikale Gäste aus Israel oder dem Westjordanland
geräumt worden sind, sollen Bulldozer die Häuser dem Erdboden gleichmachen.
In manchen hartnäckigen Fällen dürften auch Sprengungen nicht auszuschließen
sein.
Die zurückgelassenen jüdischen Gotteshäuser, so wurde es schon vor Wochen
von der Regierung beschlossen, sollen nicht von Palästinensern entweiht
werden. In Peat Sadeh oder in Nisanit wurden die Synagogen im zentralen
Luftschutzkeller hinter meterdicken Stahlbetonmauern eingerichtet. Sowie die
heiligen Bücher, der Thoraschrank und die frommen Sprüche von den Wänden
entfernt wurden, dürfte nichts mehr daran erinnern, dass sie einst als
Gebetshäuser gedient haben. Anders die mächtige Synagoge in Kfar Darom, das
größte "öffentliche Gebäude" in der fast isolierten Ortschaft, und vor allem
die Talmudschule in Newe Dekalim.
Während die Synagoge in Kfar Darom von außen wie ein Kino aussieht, hat sich
der Architekt der Talmudschule von Newe Dekalim etwas ganz Besonderes
ausgedacht. Das riesige Gebäude wurde wie ein überdimensionaler Davidstern
gestaltet. Auf einer seiner Spitzen ist mit Sandsäcken eine
Scharfschützenstellung mitsamt israelischer Flagge eingerichtet worden. Es
ist anzunehmen, dass diese Synagogen gesprengt werden.
Ein besonders delikates Problem stellen die 48 jüdischen Gräber auf dem
Friedhof bei Newe Dekalim dar. Der Friedhof hinter einem schweren Tor und
elektrisch geladenem Draht gut geschützt, wird zur Zeit von den
Rückzugsgegnern auch für eine politische Demonstration der besonderen Art
missbraucht. Viele Staatsflaggen sollen bei den Besuchern des Friedhofs wohl
nationalistische Gefühle stärken. Sehr ungewöhnlich sind die orange-farbenen
Bändchen und Fähnchen, mit denen einige Gräber "geschmückt" worden sind.
Orange ist die Farbe der Rückzugsgegner.
Das Schicksal des Friedhofes ist besonders Delikat. Der kann nicht dem
Erdboden gleichgemacht werden, wie das vielleicht in Deutschland möglich
wäre, wo Gräber dem Toten ohnehin nur auf Zeit zur Verfügung stehen. Bei
Juden gilt eine "ewige" Totenruhe und die darf nicht gestört werden. Deshalb
kam vor einigen Tagen der Vorschlag, den gesamten Friedhof mit einer dicken
Betondecke zu versiegeln. Ebenso kam die Idee, amerikanische Bewachung
aufzustellen, damit die Gräber nicht von Palästinensern geschändet würden,
wie das in Jerusalem oder am Josefsgrab bei Nablus geschehen ist.
Doch diesen Ideen widerspricht das Bedürfnis der Angehörigen, die Gräber zu
besuchen, an ihnen für die Seelen der Toten zu beten und einen Stein als
Zeichen für die Vergänglichkeit auf die Grabplatte zu legen. Im Augenblick
sieht es so aus, als könnten die Gräber "komplett", mitsamt den sterblichen
Überresten und der Grabplatte mit Hilfe eines Bulldozers aus der Erde
gehoben und nach Israel gebracht werden.
© Ulrich Sahm / haGalil.com
hagalil.com 15-08-2005 |