Deutsche Nahostpolitik:
Joschka Fischer, die Road Map und der Gaza-Abzugsplan
"Joschka Fischer guckt auf den See. 'Da hinten', sagt er dann, 'nicht weit
von hier, hab ich die Roadmap erfunden. Sie ist mir beim Jogging
eingefallen.'" (1)
Von Matthias Küntzel
"Israels Abkopplung vom Gaza-Streifen bietet das Potential, eine neue und
positive Realität zu schaffen", erklärt im August 2005 der israelische
Botschafter in Berlin. "Sie kann Spannungen abbauen, neue wirtschaftliche
Möglichkeiten schaffen und neue Impuse in den Friedensprozess bringen."
Doch auch das Gegenteil ist möglich: Die Entstehung eines "Hamas-stan", das
den Islamisten als Vorbereitungsraum dient, um den Krieg gegen Israel zu
eskalieren. Welches Szenario Wirklichkeit wird, hängt entscheidend davon ab,
ob und wie der Einfluss des Islamismus im palästinensischen Lager bekämpft
wird. Hier kommt der deutschen Außenpolitik als wichtigem Finanzier der
Palästinenser eine Schlüsselrolle zu. Sicher ist: Wenn Deutschland und die
Europäische Union weiterhin so agieren, wie sie es im Kontext des Road
Map Peace Plans getan haben, werden die Folgen der Abkopplung vom
Gaza-Streifen verheerend sein.
Leider weiß die Öffentlichkeit kaum etwas von dem heftigen Streit zwischen
den Europäern und den USA, der die Road Map Diplomatie von Anfang an
bestimmte. Die Rolle, die der deutsche Außenminister Joschka Fischer in
diesem Zusammenhang spielte, ist noch weniger bekannt, gilt doch gerade
Fischer als ein glaubwürdiger Verteidiger der Interessen Israels.
Im Zentrum dieser transatlantischen Auseinandersetzung stand und steht die
Beurteilung des islamistischen Terrors: Soll dieser bekämpft und zerschlagen
oder als "Widerstand gegen die Besatzung" toleriert und belohnt werden? An
den widersprüchlichen Antworten auf diese Frage scheiterte der Road Map
Friedensplan. Heute versuchen die USA die Europäer durch Entgegenkommen zu
umwerben. Und doch setzt sich der Streit über die richtige Antwort auf
Gruppen wie die Hisbollah und die Hamas mit unverminderter Schärfe fort.
Schauen wir uns die Konturen dieser Auseinandersetzung genauer an.
Am 30. April 2003 wurde
der Road Map-Friedensplan an Ariel Sharon und Mahmud Abbas, dem neu
gewählten palästinensischen Ministerpräsidenten, überreicht. "Schauen
Sie sich doch die Leistung der Europäer im Nahost-Konflikt an", warf sich
Joschka Fischer unmittelbar darauf in die Brust. "Der Nahost-Friedensplan
... ist eine europäische Entwicklung. Er wurde dann von den anderen
Mitgliedern des Quartetts übernommen und gemeinsam fortentwickelt, aber
entspringt im Wesentlichen europäischen Ideen."(2)
Dieser Ausruf zeugt von einem deutschen und europäischen Selbstbewusstsein,
wie man es bis dahin im Kontext des Nahostkonflikts nicht kannte.
Auslöser der Road Map war der Selbstmord-Anschlag der Hamas, der 29
Teilnehmer einer Passah-Feier am 27. März 2002 im israelischen Netanja
zerfetzte. Am 4. April, acht Tage nach dem Massaker, griff US-Präsident
George Bush mit einer Erklärung erstmals energisch in das Nahostgeschehen
ein. Am 9. April legte auch Joschka Fischer sein "Ideenpapier für Frieden im
Nahen Osten" vor. Am Folgetag wurde in Madrid das "Nahost-Quartett" –
bestehend aus den USA, der Europäischen Union, den Vereinten Nationen und
Russland - konstituiert. (3) Fischers
"Ideenpapier" hatte mit der amerikanischen Regierungserklärung jedoch wenig
gemein.
Bushs Erklärung fordert Israel auf, seine Siedlungstätigkeit zu beenden, ihr
Tenor richtet sich jedoch in erster Linie gegen die Hamas: "Es ist
ausgeschlossen, mit denen Frieden zu schließen, deren einziges Ziel der Tod
ist." Bush erkennt Israels Recht auf Selbstverteidigung gegen den Terror an
und ruft die Palästinenser und die arabischen Regierungen auf, die
"terroristischen Aktivitäten" der Al-Aqsa-Brigaden, der Hisbollah, des
Islamischen Djihad und der Hamas zu stoppen, alle einschlägigen Finanzströme
zu unterbinden, die Gewaltanstachelung und Terroristenverehrung in
staatlichen arabischen Medien zu beenden und das Gerede vom "Märtyrer" sein
zu lassen: "Sie sind nicht Märtyrer, sie sind Mörder." (4)
In Fischers "Ideenpapier" wurde die Hamas hingegen nicht einmal erwähnt.
Dies war kein Zufall. In keiner der insgesamt 54 Presseerklärungen, die das
Auswärtige Amt zwischen Januar 2001 und August 2003 zum Nahostkonflikt
veröffentlichte, tauchen Hamas, Hisbollah und Islamischer Djihad namentlich
auf.
Die Kernaussagen des "Fischer-Plans" fasst die Homepage des Auswärtigen
Amtes folgendermaßen zusammen: "Die Parteien sind ohne Hilfe von außen zu
keiner Konfliktlösung mehr in der Lage. Notwendig sind daher ein Weg-und
Zeitplan, wie das Zwei-Staaten-Ziel erreicht werden kann." Fischers
Vorschlag beinhaltete die sofortige Ausrufung und Anerkennung eines
palästinensischen Staates und die endgültige Regelung der strittiger Fragen
(Jerusalem; Grenzverlauf etc.) binnen zweier Jahre. Dies sei die "Lösung"
des Problems, verkündet das Auswärtige Amt verheißungsvoll: Zwei
Staaten, Israel und Palästina, "die in Frieden ... Seite an Seite leben." (5)
Wenn es sich aber tatsächlich so verhielte, warum verließ dann Jassir Arafat
vor drei Jahren in Camp David den Verhandlungstisch? Warum wurden seit
über 60 Jahren alle vorgeschlagenen Zwei-Staaten-Projekte von
palästinensischer Seite torpediert? Und käme die unverzügliche Ausrufung und
Anerkennung eines Palästina-Staats nicht einer Belohnung des
Selbstmordterror gleich?
Der deutsche Vorstoß
basiert auf einer gänzlich anderen Bewertung des Islamismus als die
Nahost-Rede Bushs. Beständig hat ausgerechnet Berlin den aus der eigenen
Geschichte nur allzu vertrauten eliminatorischen Antisemitismus, wie er etwa
in der Charta und der Praxis der Hamas zum Ausdruck kommt, ignoriert. Es ist
symptomatisch, dass bis heute eine deutsche Übersetzung der Charta der Hamas
nicht existiert. In diesem1988 veröffentlichten Programm behauptet die
Hamas, dass "die Juden hinter der Französischen Revolution und hinter
der kommunistischen Revolution (standen)". Sie behauptet, dass die Juden
"hinter dem Ersten Weltkrieg (standen), um so das islamische Kaliphat
auszuschalten ... und sie standen auch hinter dem Zweiten Weltkrieg, in dem
sie immense Vorteile aus dem Handel mit Kriegsmaterial zogen." Sie
behauptet, dass die Juden "die Gründung der Vereinten Nationen und des
Sicherheitsrats (veranlassten), um die Welt durch ihre Mittelsmänner zu
beherrschen. Es gab keinen Krieg an irgendeinem Ort, der nicht ihre
Fingerabdrücke trüge."
Man kommt in die Versuchung, diesen Irrsinn ebenso zu belächeln, wie einst
das Gebrabbel Adolf Hitlers belächelt worden ist. Dabei ist es gerade diese
Dämonisierung, die den Mord an beliebigen israelischen Zivilisten als einen
"Akt der Befreiung" erscheinen lässt. Es ist dieser Wahn, der dem Kampfziel,
Israel auszulöschen, das Motiv verleiht. Der kompromisslose Kampf gegen den
Antisemitismus in Palästina und der arabischen Welt ist deshalb eine
Schlüsselvoraussetzung für Frieden in Nahost.
Doch gerade auf diesem Gebiet will die deutsche Außenpolitik nicht nur nicht
kämpfen, sondern sie stellt sich blind. Deshalb betrachtet die
Bundesregierung Gruppen wie die Hamas und den Islamischer Djihad nicht als
Kriegskommandos gegen Israel, sondern sie präsentiert deren Selbstmordterror
als eine zwar falsche, aber immerhin doch nachvollziehbare Reaktion auf
Armut und Perspektivlosigkeit. "Nicht die Gewalt der zweiten Intifada
hat den Friedensprozess zum Scheitern gebracht", erklärte beispielhaft der
"grüne Nahostexperte" und Bundestagsabgeordnete Christian Sterzing, "Die
Gewalt ist vielmehr Produkt des gescheiterten politischen Prozesses." (6)
Während die USA den Waffenstillstand zur Vorbedingung jeder Friedenslösung
machen (und die Zerschlagung des islamistischen Terrors zur Voraussetzung
jedweder palästinensischer Staatlichkeit), sieht es die deutsche Politik
gerade umgekehrt. "Nur die Perspektive einer dauerhaften Friedenslösung kann
einen haltbaren Waffenstillstand herbeiführen," versichert Fischer. (7)
Als die Intifada im April 2002 ihren blutigen Höhepunkt erreichte, verlieh
er dieser gar einen positiven Sinn: "Die Krise", betont der Außenminister,
wohlwissend, dass die Selbstmord-Intifada diese erst heraufbeschwor, "wird
ihre Lösung erzwingen oder eskalieren – das ist die Alternative. ... Ich
präferiere daher die schnelle Staatsausrufung. Unsere französischen Freunde
sehen das auch so."(8) Die Nonchalance, die die
deutsche Außenpolitik gegenüber antijüdischen Selbstmord-Massakern an den
Tag legte, korrespondierte mit ihrer Parteinahme für Arafat.
Seit dem Amtsantritt der
rot-grünen Regierung war Berlin zum wichtigsten Geldgeber der
Palästinensischen Autonomiebehörde avanciert: Keine andere
Bevölkerungsgruppe der Welt wird seither, umgerechnet auf die
Bevölkerungszahl, mit höheren deutschen Zuwendungen bedacht. Als im
September 2000 die Intifada begann, verlieh dieses Finanzaufkommen dem
Einfluss Deutschlands in der Krisenregion ein neues Gewicht. Dennoch drängte
Bundeskanzler Gerhard Schröder, als er im November 2000 Jassir Arafat
besuchte, keineswegs auf dessen Rückkehr zum Verhandlungstisch. Stattdessen
signalisierte er dem PLO-Chef grünes Licht: Aus deutschen Delegationskreisen
hieß es damals, "Schröder wolle keinen Druck auf Arafat ausüben, damit
dieser wieder an den Verhandlungstisch zurückkehre. Es sei nicht sinnvoll,
weitere Entwicklungshilfe an die politische Kompromissbereitschaft der
Palästinenser zu koppeln."(9) An diesem 1.
November 2000, dem Besuch Schröders bei Arafat, wurde eine Weiche gestellte.
Vielleicht hätte man mit der Drohung des Geldentzugs Arafat zum Frieden mit
Israel zwingen und so die Lebensbedingungen insbesondere der
Palästinenserinnen und Palästinenser verbessern können. Doch dieser Versuch
wurde gar nicht erst gemacht. Man brachte stattdessen von nun an die
Entwicklungshilfe aus Deutschland mit dem propagierten und praktizierten
Judenmord in Einklang: Trotz Zunahme der Selbstmordattentate wurden Arafats
Finanzhilfen weiter erhöht.
Darüber hinaus erhielt der PLO-Chef diplomatischen Beistand aus Berlin. Im
Februar 2002 war Arafat fast vollständig isoliert. Israel brach im November
2001, nachdem der PLO-Führer die Mörder des Tourismusministers Rehabeam
Zeevi bei sich aufgenommen hatte, alle Kontakte mit ihm ab. Die USA
unterstützten diese Linie und griffen Arafat als den Hauptschuldigen der
Nahost-Eskalation an. In der arabischen Welt wurde er wegen seiner
Hinwendung zum Iran geschnitten. In dieser Situation stand Joschka Fischer
ihm bei: "Das dreifache Hoch Arafats auf den Besuch des deutschen
Außenministers ("Danke, danke, danke") klingt wie der Triumph des
Palästinenserführers über die israelischen Panzer vor seiner Haustür",
berichtete im Februar 2002 die FAZ. "Fischer und die EU hatten alles
darangesetzt, Arafats Wiederauferstehung einzuleiten. ....Solange Israelis
terrorisiert werden und Arafat seine passive, wenn nicht schützende Hand
über die Hintermänner hält, wird man den isolierten Autonomiepräsidenten
schwerlich als Verhandlungspartner empfehlen können. Fischer tat genau
dies."(10)
Aus entgegen gesetzten Beurteilungen von Arafat und der Hamas folgte
notwendig eine unterschiedliche Bewertung der israelischen Politik. Während
die USA Israels Recht, sich gegen den Terror zu verteidigen, ausdrücklich
anerkennen, bevorzugt Deutschland die äquidistante Rede von der "Spirale der
Gewalt": Israels Regierung und Arafat werden auf eine Stufe gestellt und als
gleichermaßen unzurechnungsfähig und "zu keiner Konfliktlösung mehr in der
Lage" abgekanzelt. Fischer im April 2002: "Wenn man vereinbart hatte,
"Hallo!" zu sagen, interpretierte dies die eine Seite als "Gute Nacht" und
die andere Seite als "Guten Morgen!" Dies führt ins Abseits, weshalb eine
vitale dritte Kraft für die Umsetzung einer Friedenslösung notwendig ist."(11)
Streit
über Arafat
Schon die ersten Schritte auf dem Weg zur Road Map waren somit von
scharfen transatlantischen Widersprüchen geprägt. Dennoch ging US-Präsident
Bush in seiner zweiten Nahosterklärung vom 24. Juni 2002 unter dem Eindruck
"zunehmend pointierter Forderungen von europäischen Alliierten und moderaten
arabischen Staaten" (New York Times) auf "zentrale Punkte des
deutschen Ideenpapiers" ein, wie die homepage des Auswärtigen Amts betont. (12)
So machte sich die US-Administration das Konzept der raschen Ausrufung eines
vorläufigen Palästina-Staates zu eigen und erklärte, dass eine abschließende
Regelung innerhalb von drei Jahren zu erreichen sei. Sie erhob jedoch den
Vorbehalt, dass zuvor eine neue palästinensische Führung ohne Arafat
etabliert werden müsse, die den Terror bekämpft und dessen Infrastruktur
zerstört. Implizit appellierte die amerikanische Regierung auch an die EU:
"Jede Nation, die sich dem Frieden verpflichtet weiß, wird die Lieferung von
Geld, Ausrüstung und Rekruten an Terrorgruppen unterbinden, die wie Hamas,
Islamischer Djihad und Hisbollah die Zerstörung von Israel bezwecken."(13)
Dieser Appell verhallte in Brüssel und Berlin freilich ungehört. Stattdessen
konzentrierte sich die deutsche Außenpolitik auf das politische Überleben
Arafats. Wenige Tage nach der Bush-Rede ließ Joschka Fischer ein zweites
Papier an die Teilnehmer der Nahost-Quartetts verschicken. Der PLO-Chef
sollte nicht zum Rücktritt gezwungen werden, sondern, so Fischers Forderung,
"für eine sogenannte Notstandsphase, in der man sich gegenwärtig befinde,
eine Übergangsregierung mit einem Ministerpräsidenten einsetzen."(14)
Dies hatte mit der amerikanischen Vorbedingung an die Palästinenser, "to
elect new leaders, leaders not compromised by terror" wenig gemein: dass ein
Ministerpräsident ausgerechnet denjenigen politisch ausschalten würde, dem
er sein Amt verdankt, war ausgeschlossen.
Als das "Quartett" im Juli 2002 in New York City zusammenkam, waren die
Positionen entsprechend polarisiert. Hier die USA, die die Europäer dazu
aufriefen, ihre monatliche direkte Budget-Hilfe für Arafat in Höhe von zehn
Millionen Euro zu revidieren, um reale Veränderungen in der Autonomiebehörde
zu erzwingen. Dort die EU, die mit Unterstützung der UN und Russlands in
Arafat weiterhin den legitimen Führer der Palästinenser sah.(15)
Im Streit um Arafat stand freilich die Gesamtorientierung der
Nahost-Politik auf dem Spiel: "Pro-Arafat" hieß, sich positiv auf die
Selbstmord-Intifada und die Vision einer palästinensischen Staatlichkeit zu
beziehen, als deren Geburtshelfer der islamistische Terror fungiert.
"Kontra-Arafat" bedeutete, einen Neuanfang mit der Vision eines
Palästinenserstaates anzustreben, der langfristig Frieden sichert, indem er
den Kampf gegen den Terror und die Normalisierung seiner Beziehung mit
Israel zur Staatsräson erhebt. Eigentlich hätte schon im Laufe dieser
Sommersitzung das "Quartett" auseinander fliegen müssen, hatte sich doch die
Road Map als eine Wegekarte mit Richtungspfeilen entpuppt, die in
gänzlich unterschiedliche Richtungen wiesen. Doch abermals ließen sich die
USA auf den europäischen Standpunkt ein. Waren es die sich schon
abzeichnenden Zerwürfnisse über den Irakkrieg, die Washington veranlasste,
Fischers neue Vorschläge im Grundsatz zu übernehmen? und immer wieder
nachgiebig zu sein?
Ende August jedenfalls billigten die Außenminister der EU die EU-Road Map,
"die sich im Wesentlichen an dem deutschen Papier orientierte", so die
Homepage des AA. "Die EU übernahm den Dreistufenplan für den Zeitraum
2002 bis 2005 und alle wichtigen Einzelelemente einschließlich der
Premierminister-Idee." Im September wurden die europäischen Vorstellungen zu
einem gemeinsamen Road Map-Text des Quartetts verschmolzen, der im
Dezember 2002 auf einer erneuten Sitzung des Quartetts in Washington seine
abschließende Textfassung erhielt und im 30. April 2003 an die
Konfliktparteien ging. Welche Schritte sah die vom "Quartett" verabschiedete
Road Map nunmehr vor?
Phase I "bis Mai 2003":
Israel zieht sich auf seine Stellungen vom 28. September 2000 zurück und
entfernt alle nach dem März 2001 errichteten Siedlungen. Die Palästinenser
zentralisieren ihren Sicherheitsapparat und leiten "nachhaltige, gezielte
und wirkungsvolle Operationen ein, die sich gegen alle am Terror Beteiligte
richten und die Fähigkeit und Infrastruktur des Terrors zerschlagen. Dies
schließt den Beginn des Einzugs illegaler Waffen und die Konsolidierung der
Sicherheitskräfte ohne jede Verbindung zu Terror ein." (16)
Erst nach Erfüllung dieser Verpflichtungen folgt:
Phase II "Juni 2003 –
Dezember 2003":
Am Ende dieser Etappe
soll ein "unabhängiger palästinensischer Staat mit provisorischen Grenzen
und provisorischen Attributen der Souveränität" gegründet und von den
Vereinten Nationen nach Möglichkeit auch schon anerkannt sein.
Phase III "2004-2005":
Jetzt erst sind Verhandlungen über die vollständige und abschließende
Regelung des Israel-Palästina-Konflikts vorgesehen.(17)
Sabotage in Ramallah
Alle früheren Differenzen brachen während der kurzen Laufzeit des
Friedensprozesses verschärft wieder auf. Arafat demütigte seinen neuen
Ministerpräsidenten Mahmud Abbas und beschimpfte ihn als "Verräter".
Demonstrativ durchkreuzte er den Friedensplan, in dem er zwei Drittel der
Sicherheitsdienste unter seinem Befehl zentralisierte und den Anschlägen der
hauseigenen Al-Aqsa-Brigaden taktische Rückendeckung gab. Dennoch stärkten
ihm Deutschland und die EU - trotz immer schärfer werdender Proteste aus
Washington! - den Rücken.(18)
Die Hamas denunzierte die Road Map als "zionistische Verschwörung"
und initiierte eine neue Serie von Selbstmordattentaten, um den
Friedensprozess zu Fall zu bringen. Dennoch weigerte sich am 3. Juli 2003
der Europäische Ministerrat, ihre Konten einzufrieren und die Organisation
auf die Liste der terroristischen Organisationen zu setzen. Die Aktivitäten
des politischen Flügels der Hamas seien "legitim", betonte der Sprecher der
EU-Kommission, Reijo Kempinnen, da er soziale Dienste leiste und Kliniken
betreibe. "Dass die Hamas in ihrer Gänze eine Terrororganisation sei, ist
gewiss nicht unsere Position."(19)
In offenem Widerspruch zu den Road Map Bestimmungen plädierte Joschka
Fischer für eine dauerhafte Integration der Hamas in den Friedensprozess.
"Es müsse ein 'dauerhaftes Übereinkommen für eine Waffenruhe' mit der
islamistischen Hamas-Bewegung und anderen Gruppen erreicht werden", erklärte
er Ende Juni 2003 in Kairo. Die US-Regierung reagierte prompt: "Wie kann
eine Gruppe, die entschlossen ist, Israel auszulöschen, je ein Partner in
dem Friedensprozess sein?"(20) Fischers Antwort
ist unbekannt.
Nachdem am 19. August ein Selbstmordattentäter der Hamas sich in einem
überfüllten Bus in Jerusalem in die Luft gesprengt und 23 Menschen getötet
hatte, war diese Position nicht länger zu halten. Dennoch sahen sich auch
weiterhin "Großbritannien, die Niederlanden und Italien, die die Ächtung
dieser Gruppe unterstützten, ... erbitterten Widerständen von Frankreich und
Deutschland gegenüber", berichtete Anfang September der Infodienst
EUobserver.com.(21) Erst am Tag des Rücktritts
von Abbas nahm die EU die Hamas, nicht aber die mit ihr verbundenen sozialen
Organisationen, in die Liste terroristischer Organisationen auf. (22)
Sämtliche Warnungen und Appelle Washingtons missachtend, haben Deutschland
und die EU somit den Friedensprozess geschwächt und zum Scheitern des
palästinensischen Ministerpräsidenten Mahmud Abbas beigetragen. Hatte man
sich mit dieser Politik nicht selbst ein Bein gestellt und den eigenen
Ansatz sabotiert? Wir kommen weiter unten auf diese Frage zurück.
Die Gaza-Lüge
Mit dem
Rücktritt von Abbas war die Road Map Diplomatie am Ende. Arafat ernannte mit
Ahmed Qurei einen neuen, ihm diesmal zu 100 Prozent ergebenen
Premierminister. Die Europäer erkannten diesen zwar sofort und bedingungslos
an. Washington aber reagierte auf die Ernennung des Arafat-Freundes
reserviert: In der Tat war mit Qurei ein Kampf gegen den Terror nicht
vorstellbar.[23] Nun ließ die Bush-Regierung durchblicken, dass die Road Map
"zum Scheitern verurteilt war und hierfür in erster Linie die Palästinenser
verantwortlich zu machen seien." Auch UN-Generalsekretär Kofi Annan
räumte ein, dass dieser Ansatz "in einer Art Sackgasse gelandet sei."(24)
Zwischen September 2003 und April 2004 waren alle Sitzungen des Quartetts
suspendiert und die Road Map faktisch tot. Weil aber dieser Friedensplan am
Ende war, änderte Ariel Sharon Ende 2003 die israelische Politik. "Wenn die
Palästinenser in den nächsten Monaten damit fortfahren, ihre Aufgaben aus
der Roadmap zu ignorieren, wird Israel einen unilateralen Schritt zur
eigenen Sicherheit unternehmen und sich von den Palästinensern abkoppeln",
verkündete er im Dezember 2003 auf der Sicherheitskonferenz von Herzliya.
"Der 'Abzugsplan' wir nur dann realisiert, wenn die Palästinenser ... die
Umsetzung der Roadmap weiter hinausschieben."(25)
Dieser Gaza-Abzug ist somit niemals ein Bestandteil der Road Map gewesen,
sondern wurde, ganz im Gegenteil, als Konsequenz aus ihrem Scheitern
formuliert.
Als Arial
Sharon seine neue Gaza-Politik im April 2004 dem Weißen Haus präsentierte,
reagierte US-Präsident Bush geradezu begeistert und gab dem israelischen
Regierungschef, um dessen Position in Israel zu stärken, ein paar Zusagen
mit auf den Weg. So erklärte er, dass die "grüne Linie" von 1967 an die
neuen Realitäten angepasst und den palästinensischen Flüchtlingen ein Recht
auf Rückkehr nach Israel verwehrt werden müsse, damit Israel als jüdischer
Staat erhalten bleibt.(26)
Auf diesen
Washington-Gipfel reagierte die EU geradezu entsetzt. Jacques Chirac
bezeichnete die Bush-Position als "gefährlich". Der außenpolitische
Koordinator der EU, Janvier Solana zeigte sich besonders über die
amerikanische Ablehnung eines Rückkehrrechts empört und Joschka
Fischer erklärte ultimativ: "Nur im Rahmen der Road Map kann es eine Lösung
geben."(27)
Nun zeigte sich, wie stark sich die Nahostpolitik der USA bereits im Netz
der "Quartett"-Diplomatie verfangen hatte. Aufgeschreckt vom Sharon-Besuch
im Weißen Haus verlangten die Europäer die Einberufung einer hochrangig
besetzten Konferenz des Nahost-Quartetts am 4.
Mai 2004 in New York.
Hier wurde in Anwesenheit eines unglücklich dreinschauenden Colin Powell
("he seemed glum”) ein Papier verabschiedet, das nach einem Bericht der
New York Times "fast auf eine Umkehrung der von Präsident Bush
dargelegten Politik hinauslief”, indem beispielsweise darauf bestanden
wurde, dass jede künftige Festlegung von Israels Grenze und der Status der
palästinensischen Flüchtlinge "im gegenseitigen Einvernehmen zwischen
Israelis und Palästinensern zu klären" sei. Diese "langatmige Papier", heißt
es hier weiter, "wurde Diplomaten zufolge in einem spannungsreichen
Schlagabtausch zwischen der Bush-Regierung und ihren Quartett-Partnern
ausgehandelt."(28)
In diesem Frühjahr 2004, als Arafat noch quicklebendig war und erfolgreich
jede Maßnahme zur Eindämmung des Terrors torpedierte, passierte mit dem
unilateralen Gaza-Abzugsplan der israelischen Regierung etwas Eigenartiges:
Er wurde von der palästinensischen Führung gekapert und in seiner Intention
verdreht. Einerseits hatten die Palästinensischen Behörden unter Ahmed Qurei
die Antiterror-Bestimmungen der Road Map permanent ignoriert.
Andrerseits suchten sie zur Einflusswahrung die Road Map um jeden
Preis zu retten. Also verfielen sie auf den Trick, ausgerechnet den
Gaza-Abzugsplan als einen Bestandteil der Road Map auszugeben. Ahmed
Qurei begrüßte "eine Räumung des Gaza-Streifens als erste israelische
Leistung im Rahmen der 'Road Map'".(29)
Dieser Lüge schlossen sich die Europäer an. Die Bundesregierung bezeichnete
Sharons Abzugsplan als "einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur
Verwirklichung der Zwei-Staaten-Lösung, wie ihn die Road Map
vorsieht" und ein Sprecher der EU erklärte, "dass der Rückzug einen
bedeutsamen Schritt zur Umsetzung der Road Map darstellen könnte."
Seither wird aus Israels Abzug in immer schärfer klingender Tonlage
gefolgert, dass sich gerade jetzt weitere israelische Schritte anzuschließen
hätten. Kein Wunder, dass Ariel Sharon sich fortan weigerte, das
Nahost-Quartett auch nur zu empfangen, kein Wunder, dass die USA von nun an
ein neues Nahost-Projekt gemeinsam mit Israel und Ägypten - unter Ausschluss
der Europäer! - ins Auge fassten. (30)
Doch dann starb im November 2004 Yasser Arafat und es begann die vorläufig
letzte Szene in einem diplomatischen Schauspiel, dessen Finale noch lange
nicht geschrieben ist. Von nun an setzten die USA alle Hoffnungen auf den
zum Arafat-Nachfolger gewählten Mahmud Abbas. Ihre Nahost-Politik nahm
fortan eklatante Widersprüche in Kauf. Einerseits erklärte der US-Präsident,
als ihn Abbas im Mai 2005 im Weißen Haus besuchte: "Hamas ist eine
Terrorgruppe; sie steht aus gutem Grund auf der Terrorliste."(31)
Andrerseits machte er gute Miene zum bösen Spiel und kritisierte mit keinem
Wort, dass auch Abbas die islamistischen Todfeinde Israels weder entwaffnen,
noch auch nur bekämpfen, sondern stattdessen in seine Regierungsarbeit
einbeziehen will. Jetzt begann sich auch die Außenministerin der USA die von
Ahmed Qurei geprägte Neu-Interpretation des Gaza-Abzugplans zu eigen zu
machen: "Auf
den bevorstehenden Gaza-Rückzug muss die nächste Phase der Road Map
folgen", verlangte sie im Juli 2005 ausgerechnet von ihrem Gesprächspartner
Ariel Sharon. Dieser wies diese Forderung zurück: Israel werde zum
Friedensplan erst dann zurückkehren, wenn die Struktur des islamistischen
Terrors zerschlagen worden sei.(32)
Wie sieht die Bilanz unseres Rückblicks auf die Road Map Diplomatie
aus? In der Regel gehen alle Beteiligten davon aus, dass die USA eher mit
Israel, die Europäer hingegen eher mit den Palästinensern verbunden seien.
Auch wenn die Spannungen zwischen Israel und den USA in den letzten Monaten
zugenommen haben, trifft diese Einschätzung, was die Rolle der USA
anbelangt, weitgehend zu. Aber haben sich die Europäer tatsächlich als die
Interessensvertreter "der Palästinenser" profiliert? Die Geschichte der
Road Map zeigt ein anderes Bild: Bisher hat die Europäische Union nicht
"die Palästinenser", sondern bevorzugt die militanten Gegner Israels im
palästinensischen Lager unterstützt. Natürlich hätte die EU als wichtiger
Geldgeber gezielt die palästinensischen Widersacher des Terrors stärken
können. Daran aber waren und sind Deutschland und die EU offenkundig nicht
interessiert:
-
Bis heute
hat kein deutsches Regierungsmitglied das Desaster der zweiten Intifada je
so eindeutig kritisiert, wie Mahmud Abbas. "Was in den letzten zwei Jahren
geschah, war die vollständige Zerstörung von allem, was wir zuvor aufgebaut
haben", erklärte Abbas im Oktober 2002 in seiner Funktion als
PLO-Exekutivsekretär. "Die Militarisierung der Intifada war vollständig
falsch."(33)
-
Als im Juli 2003 56 Prozent der Palästinenser für die Umsetzung der Road
Map plädierten, stärkten Deutschland und die EU nicht Abbas, sondern
zogen die Parteinahme für Road Map-Gegner wie Arafat und die Hamas
vor.(34)
-
Nach dem Gipfeltreffen von Sharon und Abbas im Februar 2005 in Sharm
el-Sheik erklärten 70 Prozent der Palästinenser, dass sie über die
Verbreitung von Waffen in der palästinensischen Gesellschaft besorgt seien
und eine zentrale Autorität befürworteten.(35)
Dies richtete sich nicht zuletzt gegen die Hamas, die sich nicht nur bis
heute weigert, ihre Waffen abzugeben, sondern ganz im Gegenteil im
Gaza-Streifen eine mehrere Tausend Kämpfer umfassende Guerilla Armee
rekrutiert und Hunderte von Kassem-Raketen angehäuft hat.(36)
Dessen ungeachtet erhob die Europäische Union die Hamas im Juni 2005 in den
Rang eines Dialogpartners, ohne auch nur eine einzige Vorbedingung zu
stellen.(37) Die Warnung des ehemaligen
US-Sonderbeauftragen für den Nahen Osten, Dennis Ross an die Europäer -
"Wenn ihr euch auf die Hamas einlasst, schwächt ihr die Palästinensische
Behörde!" - schlug man in den Wind.(38) Seither
findet der Dialog zwischen europäischen Regierungsstellen und Islamisten
nicht nur auf einer unteren Ebene statt:
Stolz gab die Führung
der Hamas im Juni 2005 bekannt, dass auch ein hoher Beauftragter der
Bundesregierung Gespräche mit ihr in Ramallah sowie in Gaza-Stadt
aufgenommen habe.(39)
-
Im Februar
2005 ließ Condoleezza Rice bei ihrem Antrittsbesuch in Europa keine
Gelegenheit ungenutzt, um für die europäische Ächtung der Hisbollah als
Terrororganisation zu werben. Sie wurde dabei nicht nur von Israel, sondern
auch von der Palästinensischen Autonomiebehörde unterstützt, die, – so die
Jerusalem Post – die Welt darum gebeten habe, "ihr bei der
Ausschaltung derer zu helfen, die Öl in die Flammen gießen, die sie zu
löschen versucht."(40) Doch vergeblich: Noch im
selben Monat fasste die EU den Beschluss, die Hisbollah nicht auf die
Terrorliste zu setzen, sondern zu schonen – wohl wissend, dass diese
Organisation tausend Raketen auf Israel gerichtet hat, dass sie Israel
zerstören will und dass sie den palästinensischen Terror protegiert.
Dies zeigt, dass
Deutschland und die EU nicht einfach auf der Seite "der Palästinenser” oder
"der Abbas-Regierung" stehen. Stattdessen stachelt der transatlantische
Konflikt auch die Gegensätze in der palästinensischen Gesellschaft an: Hier
die von den USA gestützten Kräfte um Abbas, die, wie halbherzig auch immer,
mit Israel ein Auskommen suchen. Dort die Kräfte des Islamismus, die von den
Europäern hofiert werden, obwohl sie Israel vernichten wollen. Welche Motive
veranlassen die Europäer sowie ausgerechnet einen Joschka Fischer und eine
rot-grüne Bundesregierung zu dieser Politik?
Deutsche
Nahostpolitik
Anhaltspunkte für die Beantwortung
dieser Frage liefert das programmatische Dokument "Eckpunkte einer
deutschen Nahost-Politik", das von Nahost-Experten der CDU, der SPD und der
Grünen gemeinsam verfasst und im August 2001 veröffentlicht worden ist.(41)
Dieser Bericht ist nicht zufällig parteiübergreifend formuliert: Die
konservative CDU, die nach der Bundestagswahl vermutlich die Regierung
stellt, hat die rot-grüne Road Map Diplomatie stets gefördert und nie
kritisiert.
Diese "Eckpunkte" setzen wie
selbstverständlich eine deutsche Sonderbeziehung zu den Palästinensern
voraus. Es heißt darin: "Die Unterstützung der palästinensischen
Staatswerdung ist prioritär. Die finanzielle Hilfe, die das palästinensische
Gemeinwesen direkt oder indirekt aus Deutschland erhält, übersteigt die
Hilfe jedes einzelnen anderen Staates. Diese Unterstützung ist eine bewusste
und richtige Entscheidung deutscher Politik, und Deutschland sollte sich
einer Rolle als Geburtshelfer und Pate des zukünftigen palästinensischen
Staats nicht entziehen."
Pate der Palästinenser! Warum sollten gerade Deutsche diesen Paten
abgeben? Weil sie an Palästinensern "gutmachen" müssen, was an Juden
schlecht gemacht worden ist? Warum will man Pate ausgerechnet der
Palästinenser sein? Weil man ebenso wie diese zu wissen glaubt, was es
heißt, von Juden "drangsaliert" zu werden? Sozialpsychologisch ist der Nahe
Osten für Deutsche stets ein Minenfeld. Abwehr, Projektion oder Übertragung
kanalisieren unterschwellig Politik und Diskurs. Kein deutsches Gespräch
über Israel und die Palästinenser, das nicht von der nachwirkenden Wucht des
Verbrechens an den Juden beeinflusst ist.
Wie steht es aber um die "Priorität Palästina" wenn der Terror der
Islamisten den Weg zu einer palästinensischen Staatlichkeit immer wieder
blockiert? Auch dieser Fall ist in den "Eckpunkten" antizipiert:
"Deutschland soll deutlich machen, dass es den überwiegend arabischen
Charakter des Nahen und Mittleren Ostens erkennt und die Beziehungen zur
arabischen Welt nicht vom Erfolg des Friedensprozesses abhängig macht." Die
Rangfolge ist eindeutig: Die Beziehungen zur arabischen Welt werden nicht
davon anhängig gemacht, wie diese zum Erfolg eines Friedensprozesses
beitragen. Sondern der Friedensprozess und die damit verbundene Sicherheit
Israels werden den Beziehungen zu den arabischen Regimes untergeordnet.
Diese aber sind nicht selten aus innenpolitischen Gründen an der Fortsetzung
des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern interessiert. Priorität
"Palästina" und - dem übergeordnet - Priorität "Arabische Welt": Diese
beiden Präferenzen des "Eckpunkte"-Papiers scheinen für die bisherige
deutsche Road Map-Politik bestimmend gewesen zu sein.
Diese Bündnisorientierung wird um eine ökonomische Komponente ergänzt. So
bestreitet das islamistisch regierte Saudi-Arabien bis heute nicht nur
60 Prozent des Budgets der Hamas, sondern Riad ist gleichzeitig der größte
deutsche Handelspartner in der Region. Der islamistisch regierte Iran ist
nicht nur der Erschaffer und Finanzier der Hisbollah und des Islamischen
Djihad, sondern zugleich das Eldorado der deutschen Exportwirtschaft.
Iran bezieht heute aus keinem
anderen Land so viele Waren wie aus Deutschland, schrieb im August 2005 die
FAZ. "In 2004 waren die deutschen Ausfuhren nach Iran ... um 33 Prozent auf
3,57 Milliarden Euro gestiegen. Seit dem Jahr 2000 haben sich die Ausfuhren
mehr als verdoppelt."(42) Die
Intensivierung der deutschen Beziehung zur arabischen Welt ist gleichzeitig
ein Ausdruck der gesteigerten transatlantischen Rivalität.
Allianz gegen Amerika
Schon 1998 schwärmte der Leiter des Deutschen Orient-Instituts, Udo
Steinbach, davon, dass die Bundesrepublik angesichts der enormen
"Sympathie", die man "Deutschland traditionell in der gesamten Region"
entgegenbringe, "im Nahen Osten weithin als künftige Großmacht"
angesehen werde, die "ein Gegengewicht gegen eine allzu dominante
amerikanische Machtausübung bilden kann."(43)
Jene "traditioneller Sympathie" schließt Bewunderung für den
Nationalsozialismus durchaus mit ein. Der 11. September und der Krieg gegen
den Irak haben den deutschen Ehrgeiz, sich in der arabisch-muslimischen Welt
als wichtigster Widersacher der USA zu profilieren, noch verstärkt. Auch
deshalb wird gezielt auf Bündnisse mit Islamisten gesetzt. Symptomatisch für
diese Orientierung ist eine Studie, die im Zentrum einer von der
Bertelsmann-Stiftung veranstalteten Tagung über den Nahen Osten stand.
An dieser
Tagung nahmen neben Joschka Fischer und Javier Solana auch ein Vertreter der
EU-Ratspräsidentschaft sowie die Nahost-Botschafter der Vereinten Nationen
und Russlands teil. Dieser Studie zufolge "soll die EU ihre Zeit nicht mit
der vergeblichen Suche nach einer international akzeptieren Definition von
Terrorismus vergeuden." Dies gelte besonders "im Kontext des
Mittelmeerraums, "wo
die Abgrenzungslinien
zwischen Terroristen, Widerstandskämpfern und Oppositionsgruppen im
öffentlichen Diskurs verschwommen sind." Ist dieser Verweis auf den
"öffentlichen Diskurs im mediterranen Kontext" nicht eine fadenscheinige
Deckmantel, um im Falle von Gruppen wie die Hamas die Linie zwischen
Terroristen und Oppositionsgruppen auch im Kontext der europäischen Politik
verwischen zu können? Was schlägt diese Studie als Alternative vor?
"Stattdessen sollten die Akteure in der EU die islamistische Bewegung gegen
eine allzu undifferenzierte Anti-Terrorkriegsführung der Amerikaner
verteidigen und in den europäischen Dialog der Kulturen integrieren.(44)
Auch diese Empfehlungen scheint sich die Bundesregierung zu eigen
gemacht zu haben: Sie will mit Islamisten kooperieren, anstatt sie zu
isolieren. Kommt dieses Signal nicht einer Ermunterung zum Djihad gegen
Israel gleich? Warum sollte sich die arabische Welt den amerikanischen
Aufrufen zur Ächtung von Hamas und anderer Terrorgruppen anschließen, wenn
dies selbst Deutschland und die EU nicht tun?
Hinter der taktische Akzeptanz der Selbstmordattentate steckt möglicherweise
ein weiteres Kalkül.
Warum fühlten sich die USA genötigt, Deutschland und der EU einen
gesteigerten Einfluss auf die Nahost-Prozesse zuzugestehen? "Der wichtigste
Druckfaktor ist die Entwicklung der Verhältnisse und ihr
Eskalationspotential", antwortet Fischer.(45)
In der Tat! So, wie die jüngsten großen Terroranschläge im Irak die USA dazu
nötigten, die UN und die EU in ihre Planungen stärker als zuvor
einzubeziehen, so schaffte erst der Terror der Hamas die Voraussetzung für
das deutsch-europäische Debüt beim Road Map-Friedensplan.
"Können machtpolitisch selbstbewusste Länder möglicherweise daran
interessiert sein, dass der Erfolg (der USA im Kampf gegen den Terror) nicht
triumphal und auch nicht eindeutig ausfällt?" fragte scheinheilig der
außenpolitische Ressortleiter der FAZ und benannte damit einen
entscheidenden Punkt: Jeder außenpolitische Erfolg der USA ist ungünstig für
den Stellenwert der EU.(46) Je geringer aber
der amerikanische Erfolg, desto größer die Gelegenheit für Deutschland und
die EU, sich als Alternative zu den USA zu profilieren und so von deren
Scheitern zu profitieren.
Paradigmatisch beleuchtet somit der transatlantische Streit über die Road
Map die Widerspruchsentwicklung im Kampf gegen den islamistischen Terror
überhaupt: Während die Vereinigten Staaten den antisemitischen Akteuren
dieser Bewegung mehr schlecht als recht den Kampf ansagen, biedern sich
Deutschland und andere EU-Mächte bei diesen auch weiterhin an.
"Schauen Sie sich doch die Leistung der Europäer im Nahost-Konflikt an",
hatte Joschka Fischer im 8. Mai 2002 gegenüber ZEIT-Journalisten geprahlt.
Die Frage, worin nun eigentlich "das spezifisch Europäische" an der globalen
Neugestaltung bestehe, beantwortete der Außenminister in diesem Interview
wie folgt: "Der Unterschied ist, ob es eine kooperative oder eine
konfrontative Perspektive gegenüber dem arabisch-islamischen Krisengürtel
geben wird."
Mit dieser Abgrenzung hat Joschka Fischer den eigentlichen Unterschied aber
verwischt: Der Unterschied zwischen denjenigen arabisch-islamischen
Akteuren, die Israel als jüdischen Staat anerkennen und jenen, die ihn
beseitigen wollen. Die Scheidelinie verläuft genau hier. Die "kooperative
Perspektive" gegenüber Muslimen, die sich vom islamistischen Judenhass
distanzieren wollen, setzt die "konfrontative" gegenüber Hamas und Hisbollah
voraus.
Wird die EU Israels Abkopplung vom Gaza-Streifen zum Anlass nehmen, um aus
dem Fiasko ihrer Road Map Politik zu lernen? Bisher ist ihre "kooperative
Perspektive" lediglich denjenigen Kräften zugute gekommen, die Israel
vernichten wollen: In Teheran, in Gaza und in Beirut. Heute steht
Europa erneut vor der Wahl: Entweder es beginnt, die radikalen Islamisten zu
bekämpfen und deren Widersacher in der muslimischen Welt zu stärken. Oder es
gibt den Antisemiten in aller Welt ein Zeichen heimlichen Einverständnisses,
indem es den Djihad gegen Israel ermutigt oder akzeptiert. Ein Drittes
gibt es nicht.
Anmerkungen:
Matthias Geyer, Auf dem Weg ins Nirgendwo, in: Spiegel 34/2005, 22. August
2005.
"Europa ist eine echte Macht”, Interview mit Joschka Fischer, in: Die Zeit,
8. Mai 2003.
Die Gründungserklärung des Quartetts ist dokumentiert in: Internationale
Politik 10/2002, S. 68ff.
Bushs Rede ist dokumentiert in: New York Times (NYT), 4. April 2002.
Bundesaußenminister legt "Ideenpapier” für Frieden im Nahen Osten vor.
Bundespresseamt-Artikel vom 9. April 2002, sowie "Deutsche Nahostpolitik.
Stand: März 2003" der Homepage des Auswärtigen Amts. (www.auswaertiges-amt.de)
Siehe: Die Tageszeitung (taz), 10. April 2002. Siehe zur Deutung des
Nahostkonflikts als eines Kampfs um die "soziale Frage" die ausgezeichnete
Studie von Ulrike Becker, Der Diskurs über Israel in Deutschland seit Beginn
des 'Al Aksa Intifada', Hamburg 2003, S. 11f.
"Israel darf keine Schwäche zeigen.” Interview von Bundesaußenminister
Fischer mit "Die Zeit" am 11. April 2002.
"Die Nahost-Krise wird ihre Lösung erzwingen – oder eskalieren" – Interview
mit Bundesaußenminister Fischer mit der Frankfurter Rundschau am 20. April
2002.
Archiv der Gegenwart vom 9. November 2000, S. 44580.
Jasper von Altenbockum, Danke, danke, danke, in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung (FAZ), 18. Februar 2002.
Interview mit J. Fischer in der Sendung "The Newshour with Jim Lehrer" des
US-Senders PBS vom 30. April 2002; siehe Fussnote 4.
Todd S. Purdum, Bush to Set Out Broad Approach on Mideast 'in
the Very Near Future,' Powell Says, in: NYT, 12. Juni 2002.
Bushs Rede ist dokumentiert in: NYT, 25. Juni 2003.
Fischer rückt von Arafat ab, in: FAZ, 11. Juli 2002. Das vierseitige
"Non-Paper" des Außenministers blieb unveröffentlicht. Die Homepage des AA
fasst seinen Inhalt so zusammen: "Eine erste Operationalisierung der
Bush-Rede erfolgte durch eine deutsche Initiative von Anfang Juli 2002,
welche erstmals versuchte, den von Präsident Bush vorgegebenen
Dreijahreszeitraum 2002 bis 2005 weiter zu konkretisieren. Die Grundgedanken
des deutschen Vorschlags waren – die Ernennung eines palästinensischen
Premierministers, - ein von Sicherheitsfortschritten begleiteter
Dreistufenplan, bestehen aus Demokratisierung der palästinensischen
Institutionen einschl. Wahlen, provisorischem palästinensischen Staat und
Endstatus-Abkommen, - die Ernennung eines internationalen Beauftragten mit
Befugnis zur Durchsetzung dieses Reformprogramms."
"Staat für Palästinenser in drei Jahren", in: FAZ, 18.7.02; Arafats Lohn,
in: DIE ZEIT, 18.7.02.
Die Road Map ist dokumentiert unter:
http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/infoservice/download/pdf/regional/roadmap_d.pdf.
Arafat hält sich nicht an den Friedensplan, in: FAZ, 3.
Mai 2003.
Philip Carmel, Under pressure from France, E.U. desides against Hamas ban,
in: Jewish Telegraph Agency (JTA), 6. Juli 2003.
Fischer fordert Ende der Gewalt, in: FAZ, 25.6.03. Der Beamte der
US-Regierung ist zitiert nach: Steven R. Weisman, A Sense of Harmony Felt
Within Diplomatic Circles, in: NYT, 27. Juni 2003.
Middle East to dominate ministers meeting, in: euobserver.com, 6. September
2003.
EU places political wing of Hamas on terrorist blacklist, in:
Euobserver.com, 7. September 2003. Die Umsetzung dieser Entscheidung
wurde auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Zur Frage der Hamas-Ableger,
die unter anderem Namen für die Kerngruppe tätig sind, erklärte Dominque de
Villepin, der französische Außenminister, "dass die Erzwingung eines Verbots
oder eines Einfrierens von Vermögenswerten im Hinblick auf verdächtige
Hamas-Ableger eine 'freiwillige' Entscheidung der individuellen EU-Länder
sei." Vgl. Herb Keinon, EU recognizes Hamas as terror
organization, in: Jerusalem Post, 6. September 2003.
Geoffrey Wheatcroft, A trans-Atlantic role reversal on the Mideast,
International Herald Tribune (IHT), September 24, 2003.
Ron Kampeas, U.S. folds up 'road map', blaming the
Palestinians, JTA, January 28, 2004. Steven R. Weisman, Mediators appeal to
Israel and Palestinians to save peace plan, IHT, September 27, 2003.
Sharons Herzliya-Rede ist vollständig dokumentiert in: Jerusalem Post, 18.
Dezember 2003.
Susanne Knaul, Bush: Bye-bye, roadmap, in: Die Tageszeitung (taz), April 16,
2004.
"Any solution
must be within the framework of the road map.", zit. nach
Philip Carmel, Bush backing for Sharon initiative worries
European 'Quartet' partners, in: JTA, 18. April
2004.
Steven R. Weisman, Gaza Pullout Is Endorsed, With Proviso, by Envoys, in:
NYT, May 5, 2004.
Palästinensisches Werben um die 'Road Map', in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ),
April 3, 2004.
EU excluded from plans for Mideast peace talks, in: IHT, July 22, 2004; Greg
Myre, In Talks, U.N. Nuclear Chief Says, Israel Turns Focus on Iran, in:
NYT, July 8, 2004.
Elisabeth Bumiller, Bush Praises Palestinian; Tells Israel of Its Duties,
in: NYT, May 27, 2005.
Vgl. Jewish Telegraph Agency (JTA), July 22, 2005.
Friedensaufruf eines Fatah-Führers. Vernichtende Intifada-Bilanz von Abu
Mazin, in: Neue Züricher Zeitung (NZZ), 28. November
2002; Yael Yehoshua, Abu Mazen: A Political Profile, Special Report Nr. 15
des Middle East Media Research Institute (MEMRI) vom 29. April 2003.
Greg Myre, Skepticism Lives on Scarred Jerusalem Street, NYT, July 2, 2003.
Gil Sedan, Hamas' role is diversifying as parliamentary elections draw near,
in: JTA, April 18, 2005.
Matthew Gutman, Hamas gathers several thousand Gaza fighters and arsenal of
Kassams, in: Jerusalem Post, June 27, 2005.
EU-Diplomaten dürfen Kontakt zur radikalen Hamas aufnehmen, in: Die Welt,
17. Juni 2005.
Elisabeth Bumiller, Bush Praises Palestinian, in: NYT, May 27, 2005; Ross
criticzises E.U. on Hamas, in: JTA, July 5, 2005.
Khaled Abu Toameh, Hamas: We met with senior German official, in: Jerusalem
Post, June 19, 2005.
Europa and Hizbullah, in: Jerusalem Post, February 14, 2005.
Hermann Gröhe, (CDU), Christoph Moosbauer (SPD), Volker Perthes (Stiftung
Wissenschaft und Politik), Christian Sterzing (Bündnis 90/Die Grünen),
Ausgewogen, nicht neutral. Eckpunkte einer deutschen Nahost-Politik, in:
FAZ, 21. August 2001.
Iran-Sanktionen bedrohen lebhafte Geschäfte, in: FAZ, August 11, 2005.
Michael Laker, Flexibel die Marktposition verteidigen, FAZ, August 11, 2003;
Gute Geschäfte in Arabien, FAZ, Oktober 7, 2002. See on
the Saudi share of Hamas funding Kazhdan and Keyes, op. cit., p. 4.
Udo Steinbach, Der Nahe Osten in der deutschen Außenpolitik, in: Aus Politik
und Zeitgeschichte 12/1998, S. 25ff.
Felix Neugart, Europe, the Mediterranean and the Middle East, Discussion
Paper presented by the Bertelsmann Group for Policy Research Center of
Applied Policy Research, to the VII. Kronberg Talks, 17.-19. January 2002,
S. 15. Vgl. [www.german-foreign-policy.com/de/news/article/1012518000.php].
"Die Nahost-Krise wird ihre Lösung erzwingen – oder eskalieren" – Interview
mit Bundesaußenminister Fischer mit der Frankfurter Rundschau am 20. April
2002.
Klaus-Dieter Frankenberger, Im Strom der Weltpolitik, in: FAZ, 19. Oktober
2001.
hagalil.com 30-08-2005 |