Angriffe auf Israel:
Doppelter Schaden
Kommentar von Yoel Marcus, Ha'aretz, 09.08.2005
Übersetzung Daniela Marcus
Innerhalb von 72 Stunden wurde Israel zweimal
angegriffen. Zuerst von einem jüdischen Terroristen, der vier
Reisende in einem Bus in Shfaram erschoss, und dann von Benjamin
Netanjahu, der plötzlich im Fahrwasser der Abstimmung, die die erste
Stufe der Abkopplung bestätigte, sein Amt niederlegte. Beide
Angriffe hatten dieselbe Motivation – die Sabotage der Abkopplung.
Doch es ist zweifelhaft, ob einerseits der eigenbrötlerische Soldat,
der zum Mörder wurde, und andererseits der smarte, scharfzüngige
Politiker ihr Ziel erreichen werden.
Erst vor wenigen Wochen teilte mir ein Freund Netanjahus mit, dass
der Finanzminister weiterhin den Abzug aus dem Gazastreifen ablehnen
werde, dass dies ihn jedoch nicht davon abhalten werde, an den
Abstimmungen über die vier Stufen des Abkopplungsplans teilzunehmen.
Über diese Aussage wurde hier berichtet und niemand bestritt es.
Vielleicht kannte Netanjahus Freund die Wahrheit und zog es vor,
diese nicht zu erzählen, oder Netanjahu hat auch ihm Sand in die
Augen gestreut. Im Großen und Ganzen betrachtet stand die Schrift
bereits an der Wand geschrieben. Denn wer wusste besser als
Netanjahu, dass er selbst im Fall seiner Abstimmung gegen die
Abkopplung, auf Grund des Prinzips der kollektiven Verantwortung
dennoch ein Partner dieser Entscheidung sein würde?
Netanjahu ist als ein Mann bekannt, der zu Panik neigt. Als Ehud
Barak aus seinem Amt gedrängt wurde, berief Netanjahu, der sein
ergrauendes Haar für diesen Anlass schwarz färbte, eine
Pressekonferenz ein und kündigte an, dass er für das Amt des
Premierministers kandidieren werde. Doch einige Tage später, als er
herausfand, dass Israel sich der Methode der direkten Wahl zuwandte,
zog er seine Kandidatur zurück. Rückblickend betrachtet ist es klar,
dass er damals einen Fehler machte. Die israelische Öffentlichkeit
hatte Barak so sehr satt, dass Netanjahu ihn ohne Probleme hätte
schlagen können. Da er nun jedoch aus dem Weg war, nahm sich Scharon
den Siegeskranz.
Als Regierungsminister versuchte Netanjahu einen Putsch gegen
Scharon zu organisieren, doch er änderte seine Meinung als Silvan
Schalom sich weigerte, diesem Putschversuch beizutreten. Von diesem
Zeitpunkt an spielte Netanjahu ein doppeltes Spiel. Jedes Mal, wenn
sich die Knesset zur Abstimmung über die Abkopplung traf, stimmte er
dagegen oder er blieb der Wahl fern, obwohl er in der Praxis die
Verantwortung für die Abkopplung trug. Scharon hat ihn ignoriert,
lud ihn nicht zu Beratungen in seinem Allerheiligsten ein und
versäumte keine Gelegenheit, ihn dort zu treffen, wo es wehtat. Als
Bibi am Sonntag sah, dass der Abzug aus Netzarim, Kfar Darom und
Morag bei der Abstimmung mit 16 zu 5 Stimmen befürwortet wurde,
erinnerte er sich plötzlich daran, dass die Sicherheit des Staates
in Gefahr war und trat auf der Stelle zurück. Wir müssen abwarten,
ob dies ein smarter Zug war und ob er Netanjahu hilft, den Posten
des Premierministers zu bekommen. Wenn man die Dinge zu diesem
frühen Zeitpunkt zusammenfasst, scheint es, dass es mit der Börse
aufwärts geht seit sich Bibi dem Ausgang zugewandt hat.
Auch der Terrorangriff in Shfaram stand bereits an der Wand
geschrieben. Als ich mich vor einigen Monaten mit dem Leiter der
Abteilung des Shin Bet (Inlandsgeheimdienst) traf, die inländische,
staatsgefährdende Aktivitäten observiert, sprach er über die Gefahr
eines jüdischen Terroristen, der einen provokativen Angriff auf eine
Person oder einen gezielten Angriff auf eine Gruppe oder eine
heilige Stätte ausüben könnte. Im Prinzip, so sagte er damals, habe
der Shin Bet Mittel und Wege um herauszufinden, welche Art von
Hintergrund oder ideologische Bewegung plötzlich einen Terroristen
hervorbringen könnte. Sie hätten eine Liste islamischer heiliger
Stätten, die, sollten sie angegriffen werden, das ganze Land in
Brand stecken könnten. Das Problem sei jedoch, wie man einen
einzelnen Angreifer, dessen Name auf keiner Liste erscheint,
identifizieren könne. Diese Person könnte gerade jetzt in
irgendeinem Zimmer sitzen und einen Angriff planen, der
irreversiblen Schaden hervorrufen könne, nicht nur hinsichtlich der
Abkopplung sondern auch hinsichtlich der Beziehung zwischen Juden
und Juden und zwischen Juden und Arabern.
Eden Natan Zada war ein Psychopath, eine Zeitbombe der schlimmsten
Art. Trotz seines Hintergrundes, seines Wohnorts in Kfar Tapuach,
seines exzentrischen Benehmens, seines Profils als Armeedeserteur,
der ein Gewehr bei sich hatte, seiner Weigerung, an der Evakuierung
von Juden teilzunehmen und seines allgemeinen mentalen Status nahm
ihn niemand ernst. Die Armee und die Polizei reagierten mit einer
unglaublichen Lethargie. Man war von Anfang bis Ende stümperhaft mit
dieser Angelegenheit umgegangen. Daraus müssen wichtige Lektionen
für die Zukunft gelernt werden. Und die Gefahr des einsamen
Terroristen bleibt mittlerweile bestehen.
Der Shfaram-Anschlag war für den Siedlerrat (Yesha) schädlich. Yesha
sieht sich selbst als Aufseher über einen politischen Kampf, der den
Rückzug aus Gush Katif stoppen soll. Hierzu bedient man sich
verschiedener Mittel, z. B. schmuggelt man Menschen nach Gush Katif.
Laut Aussagen eines ranghohen Offiziers, der in der Gegend Dienst
tut, gibt es 1500 Menschen, die keine Siedler sind, jedoch eine
Aufenthaltsgenehmigung für Gush Katif haben und Hunderte mehr, die
es geschafft haben, heimlich nach Gush Katif zu kommen. Doch diese
Menschen werden die israelische Armee nicht daran hindern, ihre
Pflicht auszuüben, sagt er. Die Armee wird im Umgang mit den
Siedlern besonders verständnisvoll sein, doch im Falle von
unerlaubten Eindringlingen werden die Samthandschuhe ausgezogen
werden, vielleicht schon vor dem Beginn des Rückzugs.
Der doppelte Schaden, der über Israel gekommen ist, hat nichts
geändert. Acht Tage von heute an, um Mitternacht, wird der eiserne
Vorhang über Gush Katif fallen. Weder Netanjahu noch der
Shfaram-Mörder werden Scharon von seinen Plänen abbringen. Die
Abkopplung wird geschehen.
hagalil.com 09-08-2005 |