Nur allzu gut bekannt:
Londoner Terroranschlag aus nahöstlicher Sicht
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Der explodierte rote Doppeldeckerbus mit dem
weggeflogenen Dach war für viele Israelis ein "allzu gewohnter Anblick,
schließlich waren wir alle mal dort", sagt Dafna Vardi, Korrespondentin des
israelischen Rundfunks in London. Aber es gibt einen großen Unterschied,
nicht nur bei der Berichterstattung der BBC oder von Sky News oder beim
Vorgehen der britischen Behörden. "Nach drei Tagen steht der zerstörte Bus
immer noch an der gleichen Stelle. Mit Tüchern ist der Ort abgeschirmt und
kein Journalist darf sich ihm nähern", erzählt Vardi verwundert.
Denn in Israel wird in Windeseile der Ort des Attentats
von allen Spuren der Zerstörung befreit. Schon zwei Stunden nach einer Bombe
sind Straße und Bürgersteig mit einem Wasserstrahl gesäubert. Obgleich
Israelis wie Briten mit pingeliger Genauigkeit Spuren suchen, scheint die
Londoner Polizei mit sehr "konservativen" Methoden vorzugehen. Auch die
Vorstellung, dass drei Tage nach den Anschlägen in der U-Bahn immer noch
eine unbekannte Zahl Leichen in sechzig Metern Tiefe zwischen den Trümmern
der U-Bahnen liegen, wäre in Israel unvorstellbar. Neben der Spurensuche hat
die Bergung der Leichen höchste Priorität. Eine Rolle spielte dabei nicht
nur die Sitte, einen Toten möglichst innerhalb von Stunden zu begraben. Auch
die Sorgen der Angehörigen stehen im Vordergrund.
Bis Samstag Abend sei noch kein einziger Toter
identifiziert worden, hieß es in Berichten aus London. Auf Nachfrage
erklärte die Londoner Polizei der israelischen Reporterin: "Wir haben nicht
die Mittel für eine schnelle Identifizierung von Toten." Bei allem
Verständnis für mangelnde britische Erfahrung trotz Terror der IRA löst das
Kopfschütteln aus.
Auch die Berichterstattung nach Anschlägen in Israel und
nach den Attentaten in London unterscheidet sich erheblich. In Israel ist
die Presse zusammen mit den Rettungsmannschaften oft Minuten nach dem
Ereignis vor Ort. Sofort gehen die Bilder um die Welt. Eine Zensur
akzeptiert die Presse in Israel nicht. Fotografen wie Kameraleute vermeiden
zwar auch in Israel pietätlose Aufnahmen von Toten. Aber die leicht
Verletzten werden schon auf dem Weg zum Krankwagen interviewt. Ohne Ekel zu
erregen, ermöglichen die israelischen Medien ein hautnahes Miterleben.
Anders in England. Da bleiben - ähnlich wie in Amerika nach dem 11.9. -
sowohl die Orte der Anschläge wie auch die Krankenhäuser für die Presse
gesperrt. Die Anteilnahme mit den Opfern beschränkt sich auf ein Minimum,
während in Israel jedem einzelnen Toten mit ausführlichen Beschreibungen
seines Lebens und Bildern aus dem Familienalbum gedacht wird.
Obgleich die Briten davon reden, dass die zeitgleichen
Explosionen "Fingerabdrücke der El Qaeda" zeigen, äußern sich israelische
Experten vorsichtiger. "Osama bin Laden hat möglicherweise von den Anschläge
nichts gewusst", sagte einer. El Qaeda sei keineswegs eine straffe
Organisationen mit Befehlshierarchie. Es gebe unzählige Organisationen, die
sich von den Ideen des Osama bin Laden "inspirieren" ließen. Die "Zweige"
haben eigene Namen und Webseiten, auf denen sie ihre "Bekennerschreiben"
veröffentlichen. Alle betreiben Terror und rechtfertigen ihre Taten mit
Koranversen. Fast ausnahmslos morden sie Zivilisten, in einer Bar auf Bali,
im Zentrum von Istanbul, in Vorortzügen in Madrid und jetzt in London. Viele
Anschläge werden in arabischen Ländern ausgeführt, mit dem Ziel, die
jeweiligen Regime zu stürzen, etwa in Marokko, Saudi Arabien, Ägypten und
letztlich auch im Irak, wo eher Iraker denn Amerikaner den Bomben zum Opfer
fallen. Der Hass auf Juden und Christen, Amerikaner und Israelis liefert
keine plausible Erklärung für mörderische Attentate in Tunesien, Istanbul,
Pakistan, Kenia. Verzweiflung und Armut sind weder beim Multimillionär Osama
bin Laden noch bei den Selbstmordattentätern ein Motiv. Organisationen wie
Hamas oder Dschihad finanzieren die Ausführung. Hinterbliebene der
Attentäter erhalten üppige Renten oder Schecks, wie sie seinerzeit Saddam
Hussein in Gaza austeilen ließ. Der ungelöste Nahostkonflikt dient als
Vorwand, kann aber kaum als Grund herhalten, wenn deutsche Touristen auf
Dscherba oder in Luxor, Kinder in einer Schule in Beslan oder Pendler in der
U-Bahn von London ermordet werden.
Palästinenser reagierten erbost auf die Anschläge in
London, während sie am 11.9. noch durchaus Freudendemonstrationen in
Ramallah, Jerusalem und Gaza veranstalteten. Sogar die Hamas-Organisation
veröffentlichte eine Verurteilung der Anschläge in London. Als hätte die
Hamas noch nie einen Bus oder ein Restaurant in Israel gesprengt und die
Verantwortung dafür übernommen, behauptet sie jetzt, dass kein frommer
Moslem jemals unschuldige Zivilisten töten würde.
Noch zynischer verhielt sich die BBC. Als in Israel die
Busse in die Luft flogen, erklärte die BBC, dass es zu ihrem "Stil" gehöre,
niemanden einen "Terroristen" zu bezeichnen, denn der "Terrorist" des einen
sei der "Freiheitskämpfer" des anderen. Doch jetzt titelte die BBC: "London
wurde von Terroristen durchgerüttelt." Der führende israelische Arabist, Guy
Bechor, kommentierte: "Es ist an der Zeit, dass die Europäer sich im Spiegel
anschauen. Solange sie nicht El Qaeda anerkennen und mit Osama bin Laden
Verhandlungen führen, sollten sie auch von Israel nicht verlangen, mit
Dschihad oder Hamas zu reden, solange die sich offen zum Mord an Zivilisten
und der Zerstörung Israels bekennen."
Wurzeln des Terrors:
Der Nahostkonflikt und der Terror in
London
Wie Tony Blair wohlwollend die Armen und die Palästinenser als Verursacher
des Terrors in London in Verruf bringt...
© Ulrich Sahm/haGalil.com
hagalil.com 11-07-2005 |