Vier
Jahre nach ihrem Verbot und zwei Jahre nach einer Prozessserie formieren
sich die militanten Mitglieder der "Skinheads Sächsische Schweiz" erneut
konspirativ. "Nicht nur zum Biertrinken", sagt der zuständige Staatsanwalt.
In letzter Zeit häufen sich wieder Überfälle von Rechtsradikalen. Deren
Opfer fühlen sich von der Polizei nicht ernst genommen und im Stich
gelassen.
Bei Notruf in der Warteschlange:
Polizei in Pirna liefert Bürger gewalttätigen Rechtsextremisten aus
Alexander
Kobylinski und Caroline Walter über eine Polizei, die im Kampf gegen den
Rechtsextremismus offensichtlich kapituliert hat.
Rundfunk Berlin
Brandenburg, Kontraste, Beitrag vom 28.08.2005
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Stellen Sie sich vor, Ihre Kinder rufen die Polizei, weil sie in höchster
Gefahr sind – und keiner kommt. Stellen Sie sich vor, Sie werden
krankenhausreif geprügelt und müssen selbst sehen, wie sie klar kommen, weil
die Polizei keine Zeit hat oder sich Zeit lässt.
Willkommen in Pirna. Dem Ort in der schönen sächsischen Schweiz mit dem
hässlichen Problem: Rechtsextreme haben sich hier die Hoheit über Straßen
und Plätze herbei geprügelt. Und die Polizei? Ist nicht da. Jedenfalls
nicht, wenn man sie dringend braucht. Das können Sie sich jetzt nicht
vorstellen? Das konnten Alexander Kobylinski und Caroline Walter auch nicht
– ehe sie nach Pirna fuhren.
Pirna, in der Sächsischen Schweiz. Ein friedlicher Touristenort. Die Region
lebt von diesem Image. Doch nachts trauen sich junge Menschen in Pirna kaum
auf die Straße. Es ist Samstag – wir bekommen einen Anruf – es gäbe
Verletzte. Rechtsextreme haben Jugendliche in der Stadt überfallen. Im
Krankenhaus treffen wir die Opfer. Aus Angst wollen sie unerkannt bleiben.
Opfer: “Da habe ich mich umgedreht, da stand ein Nazischläger hinter mir
und hat gesagt, dich kriegen wir auch noch, und hat mir mit einem Schlagring
in der Faust ins Gesicht geschlagen.”
KONTRASTE: „Welche Verletzungen haben Sie da jetzt davon getragen?“
Opfer: “Ich hab eine Platzwunde unterm Auge, und wahrscheinlich ein
angebrochenes Jochbein.”
Die Angreifer haben „Sieg Heil!“ gebrüllt.
Bei seinem Freund: Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma.
Die Polizei kam zu spät.
Opfer: „Nachher hab ich selber noch gehört, wie sie gesagt haben, dass
sie die Suche nach den Leuten einstellen, obwohl wir eigentlich, viele Leute
von uns, eine passende Beschreibung abgegeben haben.“
Die
Polizei hat die rechten Schläger entwischen lassen. Nicht zum ersten Mal in
Pirna. Anfang Mai sind die Jugendlichen schon einmal überfallen worden. Hier
unten am See. Sie wollten einfach nur zelten und feiern. Plötzlich stürmt
eine Gruppe von etwa 50 Neonazis auf sie los. Sie schlagen brutal auf
Mädchen und Jungen ein, treten mit Stiefeln in den Rücken, gegen den Kopf.
Einige Jugendliche werden schwer verletzt. Und das vor den Augen der Polizei
- sie wurde zu Hilfe gerufen, blieb aber oben auf dem Parkplatz, und konnte
alles sehen.
Opfer: „Die Polizei, die stand auf dem Parkplatz und hat gewartet, hat
sich das alles erstmal angeschaut. Und ich bin nach oben gelaufen, hab zur
Polizei halt gemeint, dass sie sich ein wenig beeilen könnten, weil die
Leute gerade schon zusammengeschlagen werden. Die Polizei kam dann den Berg
runter und kam von hinten und die Neonazis sind alle weggerannt, und die
Neonazis natürlich an der Polizei vorbei und die Polizei hat es überhaupt
nicht gestört, keine Ahnung, was die sich gedacht haben, sie haben sie
einfach weiterlaufen lassen.“
Stattdessen werden die Personalien der Opfer aufgenommen. Die Polizei hilft
nicht einmal, die Verletzten zum Krankenwagen zu bringen. Sie rückt wieder
ab. Die Jugendlichen bleiben, sie wollen sich von Nazis nicht vertreiben
lassen. Doch die rechten Schläger kehren zurück, prügeln weiter. Die jungen
Leute machen wieder einen Notruf bei der Polizei. Vergeblich.
Opfer: „Der genaue Wortlaut war dann: ‚Eure Jugendstreitereien könnt Ihr
alleine klären, dafür braucht Ihr uns nicht. Wenn Ihr halt noch mal anruft,
dann gibt’s halt Ärger, dann könnt Ihr die Rechnung selber bezahlen fürs
Ausrücken!’.“
Rechtsextreme schlagen andere mehrmals brutal zusammen, und die Polizei tut
es als Jugendstreiterei ab. Wir fragen den zuständigen Polizeidirektor.
Günter Liebenow, Leitender Polizeidirektor Oberes Elbtal-Osterzgebirge
„Ich kann Ihnen da keine Auskunft geben über diesen Sachverhalt. Ich kann
nur bestätigen, dass die Polizei dort entsprechend vor Ort gewesen ist.“
KONTRASTE
„Was sagen Sie denn zu dem Vorwurf, dass Ihre Beamten gesagt haben, die
Jugendlichen müssten den nächsten Einsatz selbst bezahlen, wenn Sie nochmals
anrufen?“
Günter
Liebenow, Leitender Polizeidirektor Oberes Elbtal-Osterzgebirge
“Ich habe Ihnen gesagt, das ist ein laufendes Verfahren. Und ich kann Ihnen
dazu keine Aussagen geben, weil unsere Beamten genauso Zeugen in dieser
Sache sind.“
Dass die Polizei abwimmelt, musste auch Sven erfahren. Er wurde von einem
Rechtsextremen zusammengeschlagen. Bei einem Spaziergang abends, mitten in
Pirna. Auch er hat auf die Hilfe der Polizei gehofft.
Sven: „Meine Freundin hat dann die Polizei gerufen, gleich nach dem
Vorfall. Ihr wurde gesagt, dass die Polizei keine Zeit hat. Daraufhin hab
ich dann selber noch mal bei der Polizei angerufen und hab auch mehrfach
erwähnt, dass die Leute noch vor mir stehen, und die Reaktion war halt
dieselbe: wir sollen zur Polizeiwache kommen und selbst Anzeige erstatten.“
Sven wurde von den Rechtsextremen ausgelacht, weil die Polizei nicht kam.
Sven: „Ja, es ist sehr erniedrigend, man fühlt sich sehr verloren und
verlassen, und kann halt auch nicht weiterhin der Polizei vertrauen.“
KONTRASTE: „Ist es für Sie aber nicht erschreckend, wenn Sie jetzt schon
hören, man hat kein Vertrauen mehr in die Polizei?“
Günter Liebenow, Leitender Polizeidirektor Oberes Elbtal-Osterzgebirge:
„Wenn es so ist und es ist Tatsache, was Sie sagen, was ich aber nicht ganz
glauben will, dann wäre es erschreckend, das würde ich so auch bestätigen.
Aber mir ist die Lage so nicht bekannt, wie Sie die Lage darstellen.“
Die
Polizei in Pirna duldet, dass die Rechtsextremen die Stadt dominieren. Erst
vor kurzem marschierten etwa 60 Neonazis bei einem Stadtfest auf. Sie
übernahmen einfach die Bühne. Und die Polizei schritt nicht ein. Die Rechten
feierten das als Erfolg.
Diese Gruppe, Skinheads Sächsische Schweiz, kurz SSS, hat jahrelang in der
Region Angst verbreitet. Mit Gewalt wollte sie Ausländer und Andersdenkende
vertreiben. Damals wurden Sprengstoff und Waffen sichergestellt. Mitglieder
der SSS sind trotz Verbot wieder aktiv, formieren sich neu. Alte Kader und
junger Nachwuchs demonstrieren wieder öffentlich ihre Gesinnung oder
schlagen eben mal zu.
Unterstützt wird die SSS von der NPD vor Ort. Diese beiden NPD-Mitglieder
sind Stadträte. Seitdem sie in Pirna Politik machen, haben auch die rechten
Schläger wieder Oberwasser. Wir treffen uns mit dem NPD-Stadtrat Mirko
Liebscher.
KONTRASTE:
„Skinheads Sächsische Schweiz. Wie ist Ihr Verhältnis zu denen?“
Mirko Liebscher (NPD), Stadtrat Pirna: „Zu den einzelnen Leuten? Man kennt
sich, man geht auf Veranstaltungen. Man geht mal ein Bier trinken. Eine
normale Freundschaft. Man kennt sich schon seit ein paar Jahren. Ich meine,
ich kann ja jetzt nicht sagen, bloß weil die verboten sind, oder weil die
angeblich böse sind, will ich mit euch nichts mehr zu tun haben.“
Nach KONTRASTE-Recherchen sind Mitglieder der verbotenen SSS auch an den
Überfällen beteiligt. Aber die Polizei vor Ort verkennt die neue Gefahr –
obwohl die Angriffe geplant, organisiert vonstatten gehen.
Diese beiden 17jährigen sind erst vor wenigen Wochen Opfer eines solchen
Überfalls geworden. Es war abends. Sie kamen mit dem Zug am Bahnhof Pirna
an. Eine Gruppe Rechtsextremer wartete schon auf sie.
Opfer: „Oben standen dann auf dem Parkplatz hinter Autos und in Büschen
versteckt, 20 bis 25 maskierte Männer in schwarzen Sachen mit Sturmmasken
und Tüchern vorm Gesicht. Und haben nicht lange gezögert, keine Fragen
gestellt, nichts gesagt, sondern sind mir gleich in die Seite rein
gesprungen, haben mir danach einen harten Gegenstand auf den Hinterkopf
geschlagen, so dass ich bewusstlos geworden bin, auf mich eingetreten, bis
ich Platzwunden an der Lippe und am Kopf hatte.“
Der Angriff war geplant. Zweimal an diesem Wochenende lauerten die rechten
Schläger Jugendlichen am Bahnhof auf. Zusammengeschlagen wurde, wer zufällig
die Treppe hochkam.
Für die Opfer interessierte sich die Polizei nicht. Die Jungen gingen dann
selbst zur Wache, um Anzeige zu erstatten. Aber:
Opfer: “Na, also die Polizei hat uns gesagt, dass zur Zeit leider kein
Beamter da ist, der eine Anzeige aufnehmen könnte, obwohl dort in dem
Schalter schon drei Beamten saßen, die gemütlich ihren Kaffee getrunken
haben.”
“Man fühlt sich irgendwie hilflos, man glaubt eigentlich, Polizei dein
Freund und Helfer, dass man sich halt melden kann und dann passiert nichts.“
Wütend ist einer der Väter. Die Polizei meldete lapidar: Schlägerei am
Bahnhof. Dabei wurde sein Sohn von über 20 vermummten Neonazis überfallen.
Vater: “Wenn man das als Problem erkennen würde, auch von Seiten der
Polizei, ich denke mal da könnte man wirklich ganz schnell ein bisschen was
dagegen tun. Es geht ja eigentlich nur um Sicherheit. Letzten Endes geht es
nur um Sicherheit für die Anwohner. Und diejenigen, die jetzt glauben, na
gut, mir passiert ja nichts, die sollen sich mal nicht zu früh freuen, das
kann ganz schnell passieren, dann sind sie genauso mit dran.“
Organisierte Überfälle von Rechten, die SSS wieder aktiv – doch der
Polizeidirektor mauert.
KONTRASTE: „Also all dies, das müsste doch bei Ihnen dann langsam Alarm
auslösen, dass da vielleicht vor Ort das Problem nicht ernst genug genommen
wird?“
Günter Liebenow, Leitender Polizeidirektor Oberes Elbtal-Osterzgebirge
„Also was Sie jetzt sagen, das ist Ihre Einzelmeinung, das bringen Sie mir
jetzt so rüber, wo Sie die Informationen her haben, das weiß ich nicht. Das
entspricht aber nicht meinen Informationen, dass unsere Polizisten vor Ort
so handeln, wie Sie das darstellen.“
Manfred Lindemann engagiert sich beim Netzwerk gegen Rechts. Er ist
pensionierter Kriminalbeamter aus Bayern. Das Verhalten der Polizei in Pirna
- für ihn unerträglich.
Manfred Lindemann, Netzwerk Sachsen gegen Rechtsextremismus: „Es kann
nicht angehen, dass wenn Anrufe bei der Polizei eingehen, in dieser Form
gegenüber dem Bürger so reagiert wird. Die Polizei hat zu regieren. Sie hat
die Tatbestände aufzunehmen. Und wenn einmal ein Fehler passiert, in
Ordnung, dann muss man das klären. Aber nicht über Jahre darf diese
Verschleppung, das ist schon fast eine Krankheit innerhalb der Polizei.“
Sicher fühlen sich in Pirna im Moment vor allem die Rechtsextremen. Auch wir
werden angepöbelt. Vor einem Supermarkt, einem bekannten Nazitreff. Sie
drohen mit Prügeln, beschimpfen uns als Juden aus Berlin.
Alltag im schönen Pirna.
Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten: entweder die Polizei dort traut sich
nicht, weil sie überfordert ist. Oder – die Beamten schauen mit Absicht weg.
Und Sie können sich jetzt selbst aussuchen, was schlimmer ist.
Beitrag
von Alexander Kobylinski
und Caroline Walter
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Hintergrund (frühere Berichte aus Pirna):
hagalil.com
26-07-2005 |