antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

  

Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

hagalil.com

Search haGalil

Veranstaltungskalender

Newsletter abonnieren
e-Postkarten
Bücher / Morascha
Musik

Koscher leben...
Tourismus

Aktiv gegen Nazi-Propaganda!
Jüdische Weisheit
 

 

[BESTELLEN?]

Vormarsch in der Provinz

Die NPD wird bei der Bundestagswahl schwach abschneiden. Etwas Besseres könnte den Rechtsextremen kaum passieren

Über Rechtsextremismus wird in Deutschland entweder hysterisch oder gar nicht geredet. Rechtsextremistische Parteien sind immer dann ein Thema, wenn sie bei Wahlen mehr als fünf Prozent der Stimmen erhalten wie zuletzt im September 2004 die NPD in Sachsen. Nicht einmal ein Jahr ist das her.

Bei der Bundestagswahl im Herbst 2005 wird die NPD voraussichtlich ein schwaches Ergebnis einfahren. Der Auftritt der neuen Linkspartei wird die Rechtsextremisten Wählerstimmen kosten. Aber so paradox das klingt: Etwas Besseres als ein schwaches Abschneiden bei der Bundestagswahl könnte der NPD kaum passieren. Sie kann dann in Ruhe weiterarbeiten und ihren schleichenden Vormarsch in einigen Regionen Ostdeutschlands unbehelligt fortsetzen.Bonbons und Bomberjacken. Die NPD marschiert - und gibt sich harmlos

Der vorgezogene Wahltermin hat zunächst auch die Planungen der NPD über den Haufen geworfen. Bis zum Herbst 2006 hatte sie eigentlich noch versuchen wollen, bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und in ihrer alten Hochburg Baden-Württemberg über die Ein-Prozent-Grenze zu springen, um mit staatlichen Geldern die Kassen aufzufüllen. Das hatte im Februar 2005 schon in Schleswig-Holstein geklappt, im Mai in Nordrhein-Westfalen ging es nur ganz knapp daneben. Die Wahl in Sachsen-Anhalt im März 2006 sollte – so die Absprache mit dem rechtsextremen Verleger Gerhard Frey – dessen DVU nutzen, um dort wieder in den Landtag einzuziehen. 1998 war das schon einmal mit 12,9 Prozent gelungen. Danach hatte sich die Magdeburger DVU-Fraktion in peinlichen Streitereien zerfleischt; diese Scharte auszuwetzen ist Freys persönlicher Ehrgeiz.

Mit diesem Rückenwind und unterstützt von Gerhard Freys Millionenvermögen sollte dann im Herbst 2006 ein rabiater Bundestagswahlkampf geführt werden. Die großspurigen Ankündigungen, man werde wie einst die NSDAP in den Reichstag einziehen und die Berliner Politik aufmischen, waren von Anfang an Propagandagetöse. Die Parteiführung hat nicht wirklich damit gerechnet, aber das bundesweite Aufsehen, das sie erhoffte, sollte Rückenwind geben für die gleichzeitig stattfindende Wahl in Mecklenburg-Vorpommern. Dort sollte der zweite Einzug in einen Landtag gelingen. Die Chancen standen nicht so schlecht, im Nordosten gibt es wie in Sachsen flächendeckend Neonazi-Kameradschaften, aus Hamburg sind in den vergangenen Jahren erfahrene Kader zugezogen, und es war Mecklenburg-Vorpommern, wo Udo Voigts neue NPD 1998 ihren ersten kleinen Wahlerfolg erringen konnte.

Dieses Szenario ist nun durchkreuzt. Jedenfalls versucht die NPD bei der vorgezogenen Bundestagswahl den Sprung über die Fünfprozenthürde gar nicht erst. Schnell hat sie umgeschaltet, will nun unter anderem in der Sächsischen Schweiz, im Erzgebirge, im Spreewald und in Vorpommern um Direktmandate kämpfen. Die wird sie zwar auch nicht gewinnen, aber für die Partei ist es die goldrichtige Strategie: Sie konzentriert ihre Ressourcen auf genau jene Regionen, in denen sie bereits jetzt stark ist. Sie macht dort ihre Kader weiter bekannt, in der Sächsischen Schweiz zum Beispiel soll ihre Galionsfigur antreten, der Fahrlehrer Uwe Leichsenring.

Diese Schwerpunktwahlkämpfe bringen die NPD näher an ihr Ziel, sich dauerhaft an der Basis der Gesellschaft zu etablieren. Berlin ist weit weg. Gefährlich ist die Partei nicht, weil sie in den Bundestag oder gar irgendwann ins Kanzleramt einziehen könnte. Auch in den Landtagen werden Holger Apfel und seine Kameraden »das System« kaum stürzen können. Gefährlich ist die NPD, weil sie an einer Faschisierung der ostdeutschen Provinz arbeitet. In einigen Gegenden ist sie schon ziemlich weit gekommen, überregional interessiert das kaum jemanden, denn solange sie bei den großen Wahlen unter fünf Prozent bleibt, scheint ja alles in Ordnung.

In Teilen Sachsens, aber auch in Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gelten Freiheiten und Grundrechte heute nur noch eingeschränkt. »National Befreite Zonen« gibt es dort nicht, aber Gegenden, die von den Organen des Rechtsstaates nur noch mühsam erreicht werden. In denen rechte Jugendcliquen vorgeben, was auf der Straße erlaubt ist und was nicht. Und wo in den Köpfen der Bevölkerung ein völkisches Weltbild herrscht – übrigens weit über die Wählerschaft der NPD hinaus und praktisch unwidersprochen. Misst man dort Rechtsextremismus nicht in Wählerstimmen, sondern an den Einstellungen, kommt man leicht auf Ergebnisse von 30 Prozent. Wer zum Beispiel Punk ist oder mit einer Afrikanerin verheiratet, muss entweder sehr tapfer sein, um den Alltag zu ertragen – oder er geht. Stück für Stück wird so die Gesellschaft homogener, kommt dem völkischen Ideal näher.

Vielerorts hat die NPD 2004 ohne größeren Widerstand die Montagsdemonstrationen gekapert; in einigen Städten wird noch heute jede Woche protestiert, es kommt zwar nur noch ein Häufchen Leute, aber die Rechtsextremisten haben das Thema besetzt. In einem Ort in der Oberlausitz wird der traditionelle Maibaum von der dortigen Neonazi-Kameradschaft aufgestellt. Ein Bürgermeister aus Vorpommern erzählt, die einzigen Jugendlichen, die in seinem Städtchen überhaupt noch gesellschaftlich aktiv seien, fänden sich bei den Rechten. In einer Stadt nahe Magdeburg hat die NPD eine Umweltgruppe gegründet, und die Behörden fanden das anfangs eine feine Sache. Viele frühere Skinheads kommen jetzt in ein Alter, wo sie selbst Kinder haben. Schon tauchen in den ersten Elternvertretungen rechte Eltern auf, die mehr Volkslieder im Musikunterricht fordern. Zur Schöffenwahl im Jahr 2004 rief ein Neonazi-Kader seine Leute auf, die Gerichte zu unterwandern. Weil man dort »die Möglichkeit hat, sein individuelles Rechtsempfinden zumindest teilweise in den Gerichtsbeschluss einfließen zu lassen«.

Die Institutionen, die im Westen Deutschlands die Gesellschaft zusammenhalten, sind im Osten schwach. Die Kirchen haben kaum Mitglieder, die »Volksparteien« sind dort keine Volksparteien, die Distanz zum Politzirkus von Westerwelle, Christiansen und Co. ist noch größer. Ein »68« mit seiner befreienden Wirkung, eine Liberalisierung der Gesellschaft hat es in den neuen Ländern nicht gegeben. Im Herbst 1989 erlernte die Bevölkerung die Demokratie, doch schon bald ging es nicht mehr um Redefreiheit, sondern um Bananen. Und am 3. Oktober 1990 war der Aufbruch ganz vorbei. Eine Selbstverständigung der Gesellschaft über demokratische Werte oder Menschenrechte fand in den neuen Ländern nicht statt. Eine Verfassungsdebatte aus Anlass der Wiedervereinigung lehnte das westdeutsche Establishment ab. Das nutzt die NPD heute demagogisch aus: Das Grundgesetz sage doch selbst, rechtfertigen sich die NPD-Spitzen scheinheilig, dass es nicht für die Ewigkeit gilt, sondern nur, bis eine endgültige Verfassung »von dem deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist«. Nur darauf arbeite man hin.

Die NPD ist die älteste rechtsextremistische Partei Deutschlands, aber sie ist auch die modernste. Erstens hat ihr Programm die Ideen der Neuen Rechten aufgesogen. Mit völkischen Sozialismuskonzepten und einer ethnopluralistischen Begründung von Ausländerfeindlichkeit kann sie über ihre alte Kernklientel hinaus attraktiv sein. Die NPD und ihre Weltanschauung mögen in den Parlamenten isoliert sein, in der Bevölkerung sind sie es nicht. Und durch ihre Graswurzelrevolution in Ostdeutschland prägt sie schon heute die Lebenswelt eines Teils der Bevölkerung mit. Für die Sozialisierung von Menschen und eine langfristige Verankerung der Ideologie ist dies viel wichtiger als Bundestagsmandate. Frei nach Antonio Gramsci: »Ohne kulturelle Hegemonie, ohne Revolution im Kopf, keine Revolution«.

Zweitens hat es die NPD geschafft – dies ist ihr größter Erfolg –, sich an eine vitale Jugendkultur anzuhängen. Aus der kleinen Skinheadszene von vor 15, 20 Jahren ist heute eine breite rechtsradikale Strömung mit verschiedenen Stilen und unterschiedlichen Graden von Eindeutigkeit geworden. Die NPD schwimmt mittendrin. Sie wächst aus diesem Milieu und fördert es. Sie agiert an der Schnittstelle von Jugendkultur, Ideologie und parlamentarischer Politik. Mit einem Durchschnittsalter der Mitglieder von 37 Jahren dürfte sie jünger sein als alle anderen Parteien. In Wahlen holt sie bei den (eher schlecht gebildeten) Jungen die meisten Stimmen.

Drittens setzt die NPD seit einigen Jahren auf aktuelle Themen. Zwar ist das »Dritte Reich« immer noch das Identitätsthema der Partei; so viele Demonstranten wie zum jährlichen Rudolf-Hess-Marsch in Wunsiedel oder zum Gedenken an die Bombardierung Dresdens kann die NPD zu keinem anderen Thema mobilisieren. Aber die Proteste gegen den Irak-Krieg oder gegen Hartz IV haben ihr den Anschluss an die gesellschaftliche Mitte ermöglicht. In etlichen Punkten ihres Programms ist die NPD nur der extreme Ausdruck einer durchaus weit verbreiteten Stimmung: die Abschottung gegen Fremdes, Vorrechte für die Alteingesessenen, eine protektionistische Wirtschaftsordnung oder ganz allgemein die Hoffnung auf weniger Unsicherheit und weniger Flexibilisierung, die Sehnsucht nach mehr Homogenität, Stabilität und der eigenen Scholle – all das könnte die NPD für breite Teile der Bevölkerung attraktiv machen, auch in Westdeutschland.

Käme es nach der Bundestagswahl zu einer Großen Koalition, wäre das für die NPD der vermutlich günstigste Wahlausgang. In einer solchen Konstellation gelang ihr zwischen 1965 und 1969 ein Höhenflug bei sieben Landtagswahlen. Der Eindruck politischer Alternativlosigkeit im System kann dazu führen, außerhalb des Systems nach Lösungen zu suchen.

Gekürzter Vorabdruck aus: Toralf Staud: »Moderne Nazis. Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD«. © 2005 Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln.
Das Buch erscheint am 1. August

Toralf Staud
Moderne Nazis
Die Neuen Rechten und der Aufstieg der NPD
[BESTELLEN?]
3-462-03638-6, KiWi 909
Euro (D) 8,90 | sFr 16,50 | Euro (A) 9,10

hagalil.com 29-07-2005

Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!

Advertize in haGalil?
Your Ad here!

 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved