Auch in den Gewerkschaften:
Organisiert und rechts
GewerkschafterInnen sind keineswegs immun
gegen rechtsextreme Überzeugungen. Das gilt insbesondere für die aktiven
Mitglieder aus der Mittelschicht.
Von Martin Kröger
Jungle World 26 v.
29.06.2005 Hätte Oskar Lafontaine, der
Spitzenkandidat des neuen Linksbündnisses, vor zwei Wochen in Chemnitz nicht
gerade im Jargon der Nationalsozialisten von "Fremdarbeitern" gesprochen,
die "Familienvätern und Frauen" die Arbeitsplätze wegnähmen – wer weiß, ob
die Passage seiner Rede ansonsten Aufsehen erregt hätte. Denn die Botschaft,
dass BilligarbeiterInnen aus dem Ausland die Arbeitsplätze der Deutschen
bedrohen, findet hierzulande große Zustimmung, auch unter jenen, die
üblicherweise nicht zum rechten Rand der Gesellschaft gezählt werden.
Dass rechtsextreme Überzeugungen beispielsweise in
traditionell als links eingestuften Organisationen wie den Gewerkschaften
vorhanden sind, hat eine Gruppe von Sozialwissenschaftlern um die
Professoren Bodo Zeuner, Richard Stöss und Michael Fichter, die an der
Freien Universität Berlin lehren, in einer neuen Studie belegt. Kürzlich
stellten die Wissenschaftler die Ergebnisse ihrer Arbeit, die mit 200 000
Euro von der Hans-Böckler-Stiftung und der Otto-Brenner-Stiftung gefördert
wurde, im Rahmen eines Workshops in Berlin vor.
Die empirische Untersuchung – mit der Befragung von über 4
000 Personen das bisher größte Forschungsvorhaben zu rechtsextremen
Einstellungen in der Bundesrepublik – war bereits Ende vergangenen Jahres
abgeschlossen. Dennoch wurden die Ergebnisse erst ein knappes halbes Jahr
später der Öffentlichkeit präsentiert. "Wir mussten die Ergebnisse erst
intern sichten und prüfen", begründete Elke Eller, die Geschäftsführerin der
Otto-Brenner-Stiftung, das späte Erscheinen.
Die interne Prüfung dürfte einigermaßen schockierend für
die AuftraggeberInnen gewesen sein, denn der Bericht kommt zu erschreckenden
Ergebnissen: Gerade die ausgebildeten FacharbeiterInnen, die etwa ein
Viertel der Gewerkschaftsmitglieder stellen und aus denen sich das Gros der
FunktionärInnen rekrutiert, tendieren überproportional zu rechtsextremen
Überzeugungen. "Die maßgeblichen Trägergruppen der Gewerkschaften sind also
besonders wenig immun gegen rechtsextreme Ideen; aus ihren Reihen stammt die
Hälfte der Gewerkschaftsmitglieder mit rechtsextremen Einstellungen",
resümierten die Wissenschaftler.
Der Befund kam auch für sie nach eigenen Angaben
überraschend. Sie waren davon ausgegangen, dass die GewerkschafterInnen aus
der Mittelschicht über eine vergleichsweise gute Bildung verfügen und sich
daher weniger zu den so genannten Modernisierungs- und
GlobalisierungsverliererInnen zählen. Insgesamt haben 20 Prozent der
Gewerkschaftsmitglieder eine rechtsextreme Einstellung, bilanzierten die
Rechtsextremismusforscher, also nicht mehr, aber auch nicht weniger als der
Rest der Gesellschaft. Damit bestätige sich die "Spiegelbildthese",
derzufolge die Gewerkschaften ein Abbild der sie umgebenden Gesellschaft
sind.
Unter rechtsextremen Einstellungen subsumierten die
Forscher in ihrer Untersuchung eine positive Haltung zu "extremem
Nationalismus", "Staatsautoritarismus", "Verharmlosung des
Nationalsozialismus", "Sozialdarwinismus", "Fremdenfeindlichkeit" und
"Antisemitismus". Ab einem bestimmten Wert auf der erstellten Skala wurden
die Befragten dann als rechtsextrem eingestuft. Aber selbst bei einem
besonders hohen Wert, "mit dem wir normalerweise nur die Einstellungswerte
für militante Neonazis messen, wären wir auf einen Gesamtwert von zehn
Prozent von Mitgliedern mit rechtsextremen Anschauungen in den
Gewerkschaften gekommen", sagte der Sprecher der Forschungsgruppe, Bodo
Zeuner.
Gravierende Unterschiede ergaben sich im Vergleich
zwischen den östlichen und den westlichen Bundesländern: "Rechtsextreme
Orientierungen finden sich im Osten im Schnitt anderthalb Mal so häufig wie
im Westen." Ostdeutsche Gewerkschaftsmitglieder zeigten sich jedoch immer
noch wesentlich resistenter gegen rechtsextreme Ideen als ihre
unorganisierten KollegInnen, die zu knapp einem Drittel rechtsextreme
Vorstellungen hegen.
Um sich ein genaueres Bild zu machen, unterteilten die
Sozialwissenschaftler die Befragten in Kategorien: Gewerkschaftlich
organisierte RentnerInnen, Arbeitslose und einfache Angestellte sind demnach
seltener rechtsextrem als unorganisierte. Während also die gewerkschaftliche
Unterschicht deutlich weniger solchen Ideen zuneigt, ergab sich für die
Mittelschicht die überproportionale Neigung zu rechtsextremen Anschauungen.
Die Ursachen hierfür sehen die Forscher darin, dass sich
gerade die Stammmitglieder der Gewerkschaften als "doppelte Verlierer"
betrachten: "Arbeitslosigkeit, stagnierende Lohnentwicklung und das
Ausbleiben gewerkschaftlicher Erfolge auf der einen Seite paart sich mit dem
Anerkennungsverlust in Betrieb und Gesellschaft und der immer weniger
praktizierten Solidarität unter Kollegen" auf der anderen und lasse immer
mehr GewerkschafterInnen zu rechtsextremen Antworten neigen, erklärte
Zeuner.
Der Mythos, GewerkschafterInnen seien grundsätzlich
resistent gegen braunes Gedankengut, ist somit endgültig widerlegt.
Zusätzlich ist jedoch die bis vor kurzem vom Deutschen Gewerkschaftsbund
(DGB) aufgestellte Behauptung, allenfalls passive Mitglieder seien
rechtsextrem, mit den Ergebnissen der wissenschaftlichen Untersuchung ins
Wanken geraten. Grundsatzpositionen des DGB wie die, dass sich die
Einwanderung nach Deutschland nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes
richten sollte und zum Beispiel ein freier Arbeitsplatz in Deutschland nur
dann mit einer Person, die nicht aus einem EU-Land kommt, besetzt werden
dürfe, wenn dafür kein "Arbeitsmarktinländer" zur Verfügung stehe, scheinen
auf die Gewerkschaftsmitglieder abgefärbt zu haben.
Zwar engagieren sich die im DGB organisierten
Gewerkschaften auch gegen Rechtsextremismus, dennoch trugen Kampagnen wie
die der IG Bau gegen "Lohndumping und illegale Beschäftigung" unter dem
Motto "Ohne Regeln geht es nicht!" sicherlich zur Verbreitung einer
feindlichen Einstellung gegenüber ArbeitsmigrantInnen bei. Erst vor kurzem
waren im Zusammenhang mit der Lohnkonkurrenz in deutschen
Fleischereibetrieben und der Debatte um die Dienstleistungsrichtlinien in
der Europäischen Union wieder solche standortchauvinistischen Töne aus
Gewerkschaftskreisen zu vernehmen.
Was ist also zu tun? "Die Gewerkschaften müssen
Erklärungsmuster entwickeln, die den Menschen die Ängste nehmen und sich
nicht nur auf tarifpolitische Positionen beziehen", sagte Michael Fichter
bei der Präsentation. "Gewerkschaften müssen als Wertegemeinschaften
auftreten." Er befürwortet die Förderung der Partizipationsmöglichkeiten von
Mitgliedern sowie die Stärkung des kollektiven, demokratischen und
solidarischen Engagements. Das hieße auch, endlich eine über
Lippenbekenntnisse hinausgehende europäische, partnerschaftliche
Gewerkschaftspolitik zu betreiben. Künftig käme Oskar Lafontaine dann mit
Behauptungen wie der in Chemnitz geäußerten vielleicht schlechter an.
hagalil.com
04-07-2005 |