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Generationen können sich nicht neu erfinden:
Über antisemitische Tendenzen der 68er Generation

Micha Brumlik, im Gespräch mit Hans-Joachim Wiese
© Deutschlandfunk 2005

Seit der Veröffentlichung des Buches "Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus" von Wolfgang Kraushaar gibt es eine Diskussion darüber, inwieweit die Linken der 68er-Generation auch antisemitische Tendenzen aufwiesen.
Der Blick in die Geschichte zeige, dass sich einzelne Linke tatsächlich antisemitisch geäußert und verhalten hätten, konstatiert Micha Brumlik, Direktor des Frankfurter Fritz Bauer Instituts.


Wiese: Wie stolz waren sie, die sogenannten 68er, die jetzt langsam abtreten, auf ihre eigene Geschichte. Auf ihre Kampagne gegen den Vietnamkrieg etwa oder darauf, dass sie anders sind als ihre naziverseuchten Eltern und Großeltern. Sind sie aber tatsächlich so viel anders? Wenn man das neue Buch von Wolfgang Kraushaar liest, könnte man daran zweifeln.
Mit kriminalistischer Akribie erklärt er einen Bombenanschlag, der von Dieter Kunzelmann organisierten Tupamaros Westberlin auf das jüdische Gemeindehaus auf, das war am 9. November 1969. Der Anschlag schlug fehl, weil der Zünder defekt war. Wäre er gelungen, wären etliche Teilnehmer einer Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Reichspogromnacht zerfetzt worden. Am Telefon begrüße ich jetzt Micha Brumlik, er ist Direktor des Frankfurter Fritz Bauer Instituts, das sich mit der Geschichte des Holocausts und seiner Wirkung befasst. Guten Morgen.

Brumlik: Guten Morgen.

Wiese: Die Hintermänner dieses Anschlags verstanden sich selbst als Linke, ihr geplanter Anschlag galt Juden. Linke und Antisemitismus - geht das zusammen oder wie geht das zusammen?

Brumlik: Die linke Idee an und für sich, die ja eine Idee universalistischer Moral, Emanzipation und Gleichberechtigung ist, ist natürlich grundsätzlich nicht antisemitisch, aber man muss leider beim Blick in die Geschichte feststellen, dass die wirklichen Linken, also die einzelnen Menschen, die diese Theorie vertreten haben, allzu oft hinter dem eigenen Anspruch zurückgeblieben sind und sich tatsächlich antisemitisch nicht nur geäußert sondern auch verhalten haben.

Wiese: Aber die 68er haben sich doch explizit gegen die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern gewandt. Ganze Familien sind darüber zerbrochen, dass die Kinder von ihren Eltern Einzelheiten über den Holocaust und die Verwicklung der Eltern darin wissen wollten. Sie wollten aus der Geschichte lernen, haben sie sich also selbst belogen?

Brumlik: Ich glaube nicht, dass sie sich selbst belogen haben, aber sie haben etwas versucht, was für jede Generation ungeheuer schwierig ist, nämlich das gesamte Erbe der Eltern in einem abzuwerfen. Was dann tatsächlich passiert ist: Dass sie im Rahmen dieses Generationskonflikts mit einem Aufbäumen der Moral gegen diese Eltern rebelliert haben, aber natürlich wie die Tiefenpsychologie das sagt, unbewussten Delegationen, das ganze Klima, das sie auch in ihrer eigenen Kindheit mitbekommen haben, natürlich nicht zur Gänze abwerfen konnten. Und davon dann eben auch gezehrt haben.

Wiese: Der Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in Berlin wurde ja mit der Politik Israels gegenüber den Palästinensern begründet - gut zwei Jahre zuvor war der Sechs-Tage-Krieg. Juden in Berlin wurden also für die Politik Israels in Haftung genommen. Ist auch das Antisemitismus von links?

Brumlik: Das ist nun wirklich antisemitisch insofern, als wie auch immer man sie bewerten mag, die Politik der israelischen Regierungen das eine gewesen ist, die pauschalierende Einvernahme jüdischer Bürger Berlins für diese Politik ist schlicht und ergreifend eine antisemitische Identifikation gewesen oder schlimmer noch eine ganz bewusste und gewollte Provokation. Wir wissen ja aus Kraushaars Buch, dass ein Teil dieser Linken der Meinung war, dass Israel-Palästina gleichsam das Vietnam Europas sei und dass nun auch die europäische Linke, die radikale Linke, sich würde besser aufstellen können, wenn sie im Nahen Osten ein zweites Vietnam entfache.

Wiese: Aber so etwas gibt es ja heute auch noch. Oft wird Kritik an der Politik Israels geübt, die dann als Kritik am Zionismus ausgegeben wird. Sind also Antizionismus und Antisemitismus zwei Seiten ein und derselben Medaille?

Brumlik: Nein, das glaube ich nicht. Aber Tatsache ist, dass die meisten antizionistischen Bestrebungen und Aktivitäten tatsächlich antisemitisch sind. Das ist nicht notwendig so, aber die Sprache, der Tonfall, die Neigung, gewissermaßen, das Palästinaproblem und den Staat Israel zum Hauptsündenbock für alle Probleme der Weltpolitik und der politischen Lage im Nahen und Mittleren Osten zu machen, das ist tatsächlich antisemitisch. Man stelle sich vor, es gäbe den Staat Israel nicht, wäre irgendetwas an den aktuellen Problemlagen im Nahen und Mittleren Osten deswegen besser oder anders? Nein. Aber die Konzentration auf diesen einen Konflikt als vermeintlichen Verursacher aller Probleme, das empfinde ich schon als antisemitisch.

Wiese: Aber es gibt doch in Israel selbst etliche Kritiker das Zionismus von Moshe Zimmermann über Moshe Zuckermann bis zu Tom Segev, alle anerkannte Wissenschaftler und Juden. Können denn Juden gleichzeitig Antisemiten sein?

Brumlik: Erstens können Juden antisemitisch sein, zweitens sind die Kollegen Zimmermann, Zuckermann und Segev nun in all ihren Publikationen nie so weit gegangen, das Israel-Palästina-Problem zum Kernpunkt der gegenwärtigen Krise im Nahen und Mittleren Osten zu erklären. Sie argumentieren aus der Situation israelischer Bürger, die die Lage ihres eigenes jüdischen Staates durch eine klügere Politik verbessern möchten.

Wiese: Was lernen wir aus solch einem Buch wie dem von Wolfgang Kraushaar? Dass vieles von dem, was die 68er von sich selbst behaupteten und noch behaupten eine Lebenslüge ist, dass Daniel Goldhagen vielleicht doch recht hat, wenn er behauptet, der Antisemitismus sei den Deutschen quasi genetisch eingehaucht, egal ob sie links oder rechts sind?

Brumlik: Das ist ja unsinnig, das hat ja noch nicht einmal Goldhagen selbst behauptet, er war ja der Meinung, dass man die deutsche Bevölkerung nach 1945 einem Prozess des Umlernens vollzogen habe, aber was wir daraus lernen ist, dass historische Generationen sich niemals zur Gänze und hundertprozentig neu erfinden können und das lehrt uns vielleicht alle davor, bei unseren politischen Stellungnahmen nicht allzu selbstgerecht zu sein.

hagalil.com 26-07-2005

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