Terror:
Islamischer Dschihad operiert mit Hochdruck
Analyse von Amos Harel, Ha'aretz, 21.06.2005
Übersetzung Daniela Marcus
Nur die genauen Informationen des israelischen
Geheimdienstes Shin Bet und der effiziente Einsatz der israelischen
Armee am Checkpoint Erez verhinderten am Montag einen vollkommenen
Zusammenbruch der ohnehin brüchigen Ruhe in den
Palästinensergebieten.
Der anhaltende glücklose Kampf der
palästinensischen Autonomiebehörde (PA) gegen die
Terrororganisationen kostete in den vergangenen zwei Tagen das Leben
zweier Israelis – eines Soldaten der israelischen Armee und eines
Siedlers in der Westbank. Doch wenn es der
Möchtegern-Selbstmordattentäterin gelungen wäre, gestern den
Erez-Checkpoint zu passieren und sich selbst –wie geplant- im
medizinischen Zentrum Soroka in Be’er Sheva in die Luft zu sprengen,
wären Israelis und Palästinenser an diesem Dienstagmorgen angesichts
einer vollkommen neuen Situation aufgewacht.
Die Herrschaft der Verständigung, die man beim
Gipfel in Sharm-el-Sheikh erreicht hatte, wäre beendet gewesen. Die
sofortigen Auswirkungen eines Anschlags auf ein Krankenhaus wären
höchstwahrscheinlich eine große israelische Offensive im
Gazastreifen, ein neuer Tiefpunkt hinsichtlich der Unterstützung der
Öffentlichkeit für den Abkopplungsplan und sogar Zweifel bezüglich
des Festhaltens am Abkopplungsplan durch die Regierung gewesen.
Die Möchtegern-Selbstmordattentäterin, die gestern
am Erez-Checkpoint verhaftet wurde, war von einer örtlichen
Fatah-Faktion im nördlichen Gazastreifen entsandt worden. Die
Tatsache, dass Leute von der Partei des PA-Vorsitzenden Mahmoud
Abbas auf der Höhe der seit dem Jahr 2000 einsichtigsten Zeit der
Palästinenser einen solchen Anschlag planen können, zeugt für den
Zustand, in dem sich Abbas befindet. Doch letzten Endes ist dies
eine einzelne, skrupellose Gruppe gewesen und nicht die gesamte
Bewegung.
Bedeutender ist die Entwicklung des Islamischen
Dschihad. Über mehrere Wochen hinweg hat sich die Organisation von
jeder Verantwortung hinsichtlich der Aufrechterhaltung der
"Tahadiya", der Periode der Ruhe, entbunden. Und ihre Bemühungen
scheinen noch zu wachsen – mit offensichtlicher Unterstützung des
Hauptquartiers in Damaskus. Innerhalb von vier Tagen versuchte die
Organisation einen ausgeklügelten Anschlag auf Kfar Darom zu
unternehmen, sie feuerte Raketen auf Sderot ab, tötete einen
Soldaten auf der Philadelphi-Straße und ermordete einen israelischen
Zivilisten in der Nähe von Baka al-Sharkiyeh. Solch ein Bündel von
Angriffen muss auch unter dem Gesichtspunkt der politischen
Entwicklungen betrachtet werden – dem Besuch der US-amerikanischen
Außenministerin Condoleezza Rice am vergangenen Samstag und dem
heutigen Treffen zwischen Ariel Sharon und Mahmoud Abbas.
Selbst wenn der Islamische Dschihad mit Hochdruck
operiert, widerruft er offiziell nicht die Periode der Ruhe. Dies
geschieht auf Grund der palästinensischen öffentlichen Meinung, die
in Anbetracht der ökonomischen Verbesserungen und der teilweisen
Aufhebung der bisher eingeschränkten Mobilität mehrheitlich den
Fortgang der Ruhe befürwortet.
Die Hauptsorge der israelischen Verteidigung ist
das Netzwerk des Islamischen Dschihad in der Westbank. Die
Schlüsselfigur Louis Saadi aus dem Dorf Saida in der Nähe von Tul
Karm konnte bisher einer Gefangennahme durch Israel entkommen,
obwohl er ganz oben auf der Liste der Gesuchten steht, weil er am
Selbstmordanschlag auf den Nachtclub "Stage" im Januar beteiligt
war. Dutzende von weiteren Operateuren wurden seither verhaftet.
Doch die Geschwindigkeit, mit der sich das Netzwerk wieder neu
aufbaute, überraschte selbst den Shin Bet.
Israels Erfolg bei der Verhinderung einer Serie
von Selbstmordattentaten durch den Islamischen Dschihad in den
letzten beiden Monaten hat die Organisation nicht zerrissen.
Mittlerweile versucht sie auch in Dschenin Kassam-Raketen und Mörser
zu entwickeln. Uns sie nutzt die relative Schwäche der Hamas in
Nordsamaria aus, um in Bereiche wie Wohlfahrtsnetzwerke und zivile
Benefizveranstaltungen vorzudringen.
Der Islamische Jihad hat das Feuer entfacht:
Die Eskalation ist
unvermeidlich
Es ist besser, wenn das Feuer jetzt ausbricht als im August. Syrien will
keine Deeskalation. Es stimmt schon, den Kopf zu verlieren, ist keine
Politik; es ist jedoch auch keine Politik, die Realität zu ignorieren...
hagalil.com 21-06-2005 |