Kompliziert und schwer belastet:
Das deutsch-jüdisch-israelische Beziehungsgeflecht
Die Rede des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Dr.
h.c. Paul Spiegel beim Zusammentreffen von Staatspräsident Moshe Katzav mit
Vertretern der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland
Es
gilt das gesprochene Wort!
Jüdisches Gemeindehaus, Fasanenstraße 79/80, Berlin am
30. Mai 2005
Hinter uns liegen dunkle, schwere Tage des Gedenkens an
das Kriegsende und die Befreiung der Konzentrationslager vor 60 Jahren.
Viele von uns besuchten zu diesem Anlass die Gedenkfeiern in den ehemaligen
Lagern. Die Konfrontation mit den Bildern von einst, die Erinnerung an das
Schicksal eigener Familienangehöriger, Verwandter und Freunde, ergänzt durch
Erzählungen von Überlebenden – all das hinterließ ein Gefühl unverminderter
Trauer. Zugleich jedoch tief empfundene Dankbarkeit und Hochachtung
den Zeitzeugen und Überlebenden gegenüber. Alle hatten viel Kraft
aufgebracht und oft weite Reisen auf sich genommen, um an den aufwühlenden
Veranstaltungen teilzunehmen.
Diese Menschen, lebenslang durch ihre Qual gezeichnet,
stehen für mich in diesem Jahr im Mittelpunkt des Gedenkens. Ihre Lebenszeit
und damit die Möglichkeit, Zeugnis abzulegen, neigt sich dem Ende entgegen.
Die vornehmste Aufgabe der Jüngeren muss es deshalb sein, das Erbe der
letzten Zeitzeugen zu bewahren und weiterzureichen, um so dem Verblassen der
Erinnerung entgegen zu wirken.
Die in Deutschland lebenden Juden sind den Überlebenden
jedoch noch in anderer Hinsicht zu Dank verpflichtet. Denn schließlich waren
es die den Lagern Entronnenen und aus den Verstecken ins Leben
Zurückgekehrten, die trotz innerer Zweifel und harscher Kritik von Juden im
Ausland einen Neuanfang in Deutschland gewagt hatten. Durch die Zeit in den
Lagern um Jahrzehnte gealtert, körperlich und seelisch vernichtet,
mittellos, vielfach ihres Besitzes enteignet, ohne Ausweispapiere und
zumeist mit der Gewissheit, dass auch Familienangehörige ermordet worden
waren, standen diese Menschen vor dem Nichts. Die Mehrheit dieser Juden
versuchte nach der Befreiung und der belastenden Situation in den DP-Camps
dem Leben in Deutschland möglichst schnell durch Auswanderung zu entkommen.
Nicht allen gelang dieser Schritt. Wer nach der Auflösung der Camps aus
unterschiedlichen persönlichen Gründen blieb, fühlte sich fast ausnahmslos
zeitlebens als Durchreisender. Besonders für die vielen osteuropäischen
Juden unter den Gestrandeten, war Deutschland ein Synonym für unendliche
Qual, für Entwurzelung und die Vernichtung der eigenen Welt. Entsprechend
waren auch die damals gegründeten jüdischen Gemeinden nur als vorübergehende
Provisorien gedacht. Und doch: Was ursprünglich nur als Übergangslösung bis
zur Auswanderung gedacht war, bildete die Grundlage für die Wiederbelebung
jüdischen Lebens in Deutschland.
Sie, sehr verehrter Präsident Katsav, haben seit Ihrem
Amtsantritt in vielen Worten und Gesten mitgeholfen, das schwierige, ja
zeitweise nicht existente Verhältnis zwischen Israel und den in Deutschland
lebenden Juden auf ein neues Fundament zu stellen. Es war und ist Ihnen ein
spürbares Anliegen, Vorurteile abzubauen, Verbindungen zu knüpfen und die
Sprachlosigkeit auf beiden Seiten zu überwinden.
Dass Sie sich im Rahmen Ihres Deutschland-Besuchs die Zeit
nehmen, mit einem größeren Kreis von Vertretern der jüdischen Gemeinschaft
in Deutschland zusammenzutreffen, empfinde ich als ein Zeichen unserer in
den vergangenen Jahren gewachsenen Verbundenheit. Zugleich jedoch auch als
ehrende Geste denjenigen Frauen und Männern gegenüber, die nach der Rettung
aus den Konzentrationslagern aus zutiefst menschlichen Gründen in
Deutschland blieben und hier einen, wenn auch noch so schweren, von
Selbstzweifeln und Gewissensnöten geprägten Neuanfang wagten.
Die vielfach sicher ungewollte, aber dennoch erfolgreiche
Aufbauleistung der Überlebenden der Shoah nötigt auch mit Blick auf den
Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland
und Israel Respekt ab. Denn eines steht fest: Ob nun von Israel akzeptiert
oder nicht, hatte die jüdische Gemeinschaft schon qua Existenz und
spätestens mit der Gründung des Zentralrates der Juden in Deutschland 1952 -
zumindest aus deutscher Sicht - eine Brückenfunktion inne. Die in
ihrer Ablehnung und übertriebenen Schärfe teilweise kaum ernst zu nehmenden
israelischen Reaktionen auf die Arbeit des Zentralrats unterstrichen im
Grunde ungewollt dessen Bedeutung. Mit Recht, wie ich finde. Denn bei aller
ernstzunehmenden, berechtigten Kritik haben der Zentralrat und alle mit ihm
verbundenen jüdischen Einrichtungen allen Grund selbstbewusst die eigenen
Verdienste in diesen zurück liegenden Jahrzehnten zu würdigen. Es steht
außer Frage, dass Israel wie die Jüdische Gemeinschaft insgesamt von der
Arbeit des Zentralrats und dem Eintreten der Juden in Deutschland für Israel
profitiert haben. In allen wichtigen Fragen, die in den vergangenen 55
Jahren für die Überlebenden des Holocaust, die Hinterbliebenen der Opfer,
die ehemaligen Zwangsarbeiter und insbesondere auch für die Juden in Israel
von Belang waren, wirkten die Vertreter des Zentralrats und der jüdischen
Gemeinden in Deutschland als aufrichtige Mittler. Daran wird sich auch in
Zukunft nichts ändern. Im Kern hat sich an der von den Gründungsmitgliedern
formulierten Hauptaufgabe nichts geändert: Das starke Anwachsen der
jüdischen Gemeinschaft in Deutschland durch die Zuwanderung von Juden aus
den Staaten der ehemaligen Sowjetunion verpflichten uns heute wie vor über
fünfzig Jahren, das jüdische Gemeindeleben zu fördern, die jüdische
Identität zu festigen und eine Art Wächterfunktion auszuüben.
Letzteres, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat
leider nichts an Aktualität eingebüßt. Der Einzug rechtsradikaler Parteien
in deutsche Landesparlamente, antisemitisch motivierte Gewalttaten und die
nach wie vor erschreckend weite Verbreitung antijüdischer Feindbilder und
Ressentiments in der nichtjüdischen deutschen Bevölkerung geben Anlass zu
Sorge und höchster Wachsamkeit. Es fällt vor diesem Hintergrund schwer
zu glauben, dass das kürzlich eingeweihte „Denkmal für die ermordeten Juden
Europas“ tatsächlich, wie immer wieder zu lesen war, aus der so genannten
„Mitte der Gesellschaft“ heraus entstand. Der anerkennenswerte Einsatz der
Initiatoren, Förderer und vieler anderer Menschen aus unterschiedlichen
Bereichen der Gesellschaft ist nicht gleichzusetzen mit einer vermeintlichen
Akzeptanz dieses Mahnmals durch die überwiegende Mehrheit der nichtjüdischen
deutschen Bevölkerung. Auch der Umgang vieler Besucherinnen und Besucher mit
diesem an Millionen ermordete Menschen erinnernden Ort und die vielfach
distanzierte bis antisemitisch gefärbte, ablehnende Haltung gegenüber dem
Denkmal stimmen mich - um es zurückhaltend auszudrücken - sehr nachdenklich.
In nicht allzu ferner Zeit wird sich zeigen, inwieweit und in welcher Form
die gut gemeinte Tat darauf Einfluss nehmen wird, wie Juden in Deutschland
wahrgenommen werden.
Das Gedenkjahr 2005 stürzt die jüdische Gemeinschaft und
besonders die in Deutschland lebenden Juden in ein Wechselbad der Gefühle.
Dem Schmerz über das durch die Shoah unwiederbringlich Verlorene und der
Sorge über die Hilflosigkeit von Politik und Gesellschaft gegenüber
Phänomenen wie Rassismus und Antisemitismus steht unbestreitbar viel
Positives und Hoffnungsvolles gegenüber.
Dazu zählt zweifellos die Qualität der
deutsch-israelischen Beziehungen. 40 Jahre nach dem Austausch von
Botschaftern zwischen Deutschland und Israel ist festzuhalten, dass das
komplizierte, durch die Vergangenheit schwer belastete
deutsch-jüdisch-israelische Beziehungsgeflecht in hohem Maße von den auf
diplomatischer Ebene erreichten Fortschritten profitiert hat. Die
entstandene Freundschaft zwischen beiden Staaten wird niemals normal sein.
Normalität ist aber auch kein Wert an sich. Wichtiger sind ein
vertrauensvolles Miteinander, partnerschaftliches Verhalten und Loyalität.
Auch zwischen zwei Staaten und ganz besonders zwischen Deutschland und
Israel.
Sie, verehrter Herr Präsident, haben hohen Anteil an der
hervorragenden Qualität der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und Israel. Entsprechend groß ist verständlicherweise Ihr
Interesse an einer Verbesserung des Israelbildes hier in Deutschland. Die
antisemitisch eingefärbte Israelkritik ist seit dem Ende der sogenannten
Intifada leiser geworden, jedoch nicht verstummt. Dieses Verstummen auch
zukünftig anzumahnen, erachten der Zentralrat wie sicher die Mehrheit der in
Deutschland lebenden Juden als selbstverständliche Verpflichtung. Vor allem
aber ist sie Ausdruck unserer unverbrüchlichen Verbundenheit und Solidarität
gegenüber Israel und seiner Bevölkerung.
In diesem Sinne nochmals herzlichen Dank für Ihren Besuch!
Zur Rolle des Zentralrats der Juden in Deutschland im
Geflecht der deutsch-israelischen Beziehungen:
Zwischen allen Stühlen
In den vergangenen fünf Jahrzehnten wurde der jüdischen
Gemeinschaft in Deutschland häufig eine Brückenfunktion innerhalb der
deutsch-jüdisch-israelischen Beziehungen zugeschrieben - allerdings nur von
deutscher Seite. Aus offizieller israelischer Sicht waren die in Deutschland
lebenden Juden einer solchen Rolle nicht würdig...
www.zentralratdjuden.de
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hagalil.com 04-06-2005 |