Arme Nazikinder:
Verfassungsänderung in Österreich
Von Heribert Schiedel, Wien
Jungle World 24 v.
15.06.2005
Es war ja nicht anders zu erwarten. Im großen
österreichischen "Gedankenjahr" machen Abgeordnete einer Regierungspartei
aus ihren Gedanken zum Nationalsozialismus und dessen Verbrechen keinen
Hehl. Der eine, Siegfried Kampl, spricht vom "Kameradenmord", den
Wehrmachtsdeserteure begangen hätten, und beklagt die "Naziverfolgung" nach
1945. Der andere, John Gudenus, verlangt zunächst naturwissenschaftliche
Beweise für die Existenz von Gaskammern und behauptet dann, dass es diese
nur in Polen und nicht im "Dritten Reich" gegeben hätte.
Kampl musste daraufhin Jörg Haiders FPÖ-Abspaltung Bündnis
Zukunft Österreich (BZÖ) und Gudenus die FPÖ verlassen. Die alten Recken
weigern sich aber beharrlich, ihr Abgeordnetenmandat abzugeben. Das hätte im
Fall Kampl beinahe zu einer veritablen Staatskrise geführt. Der Kärntner
Abgeordnete sollte nämlich am 1. Juli turnusgemäß den Vorsitz im Bundesrat
übernehmen. Dies erschien den anderen Abgeordneten für das Ansehen
Österreichs nicht gerade förderlich. Daher war es wieder einmal Zeit für
einen nationalen Schulterschluss. Im Nationalrat stimmten in der vorigen
Woche alle Mandatsträger bis auf die FPÖ-Abgeordnete Barbara Rosenkranz für
eine Verfassungsänderung, die es den Landtagen künftig ermöglicht, durch
Umbesetzungen Bundesratsvorsitzende wie Kampl zu verhindern.
Gegen diese "Anlassgesetzgebung" wetterte nur der Vorsitzende
der FPÖ, Heinz Christian Strache. Aber auch sein ehemaliges Idol Jörg Haider
weiß, wie groß der Rückhalt von Leuten wie Kampl in der Bevölkerung ist.
Daher behaupten er und sein BZÖ, dass sie der Verfassungsänderung nur
zugestimmt hätten, weil dadurch verhindert werde, dass die "Lizenz-Parteien"
sich weiterhin an Kampl abarbeiteten. Haider erklärte, er wolle diesen
"anständigen Menschen", der den Fehler begangen habe, seine
"Traumatisierung" auf der politischen Bühne auszuleben, vor anhaltender
Verfolgung durch die antifaschistische "Jagdgesellschaft" schützen. Kampls
Vater war 1948 verurteilt worden, weil er während des Nationalsozialismus
eine Nachbarin denunziert hatte. Der Kärntner Landeshauptmann weiß als
"Nazikind", wovon er spricht. Auch ihn habe es traumatisiert, dass etwa
seine Mutter "den Boden vor ehemaligen KZ-Häftlingen wischen musste", sagte
Haider dem ORF.
Dass die Kinder von Nazis wie solche sprechen, ist jedoch
nicht der Skandal. Ein Skandal sollte es vielmehr sein, dass jene Partei, in
der solche Leute Ämter und Würden erlangen, gleich zwei Mal zum
Koalitionspartner in der Regierung geadelt wurde.
Es begann mit der österreichischen Unabhängigkeitserklärung
vom 27. April 1945. Dort werden die Nazis, "die nur aus Willensschwäche,
infolge ihrer wirtschaftlichen Lage, aus zwingenden öffentlichen
Rücksichten, wider innere Überzeugung und ohne an den Verbrechen der
Faschisten teilzuhaben, mitgegangen sind" – und das waren nach eigenem
Dafürhalten wohl alle –, zur Rückkehr "in die Gemeinschaft des Volkes"
eingeladen. Genau daran müsste (sich) in diesem Jahr das "andere Österreich"
erinnern. Aber man empört sich lieber über jene, die als "unfreiwillige
Aufklärungsmaschinen" (so der Schriftsteller Robert Schindel) eigentlich
einen Beitrag zur Bewusstmachung des österreichischen Skandals leisten.
Haider hat die Gefahr, die aus der unbedachten Offenheit
seiner (ehemaligen) Gesinnungskameraden rührt, erkannt und deswegen
verlangt, dass Politiker zur Zeitgeschichte künftig besser schweigen
sollten. Er weiß, dass der Konsens seine Wirkung am besten entfalten kann,
wenn er unausgesprochen bleibt.
hagalil.com 16-06-2005 |