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Kulturerbe:
Litauens hölzerne Synagogen

Von Joyce Ellen Weinstein
[English]

Das Einzige was man mit Sicherheit über die hölzernen Synagogen von Litauen sagen kann ist, dass sie langsam verfallen. Ein paar Jahre zuvor waren diverse Anstrengungen unternommen worden, um Geld für die Restaurierung zu sammeln, aber ohne Erfolg, vor allem da die verbleibende jüdische Gemeinde zu klein ist, um Mittel aufzubringen. Geld ist ohnehin knapp und niemand weiß genau, ob die Gebäude zur Gemeinde-, Stadt- oder Regionalverwaltung gehören, in der sie sich befinden.

Laut Rosa Bielioiskiene, der Chef-Kuratorin des Vilna Gaon Jewish State Museums, ist die jüngste der Synagogen um die einhundert Jahre alt. Die ältesten dieser Barockbauten, die aus dem 17. Jahrhundert stammen, lagen in Valkininkai, Jubarkas, Saukenai and Vilkaviskis, Dörfer, die im ganzen Land verstreut liegen. Diese Dörfer hatten einen hohen jüdischen Bevölkerungsanteil, einige waren sogar vollständig jüdisch. Der Bau von hölzernen Synagogen wurde bis ins frühe 20. Jahrhundert fortgeführt, mehr als zwanzig Synagogen wurden zwischen dem 19. und frühen 20. Jahrhundert erbaut. Nach dem 2. Weltkrieg wurden ausschließlich Synagogen aus Stein gebaut. Nach dem 1. Weltkrieg waren immerhin neun Prozent der Bevölkerung jüdischer Abstammung. Bis zum 2. Weltkrieg gab es 500 bis 600 verschiedene jüdische Gebetshäuser im Land. Heute werden noch zehn Synagogen oder Gemeindehäuser genutzt.

Aufzeichnungen belegen, dass Juden sich bereits vor dem 14. Jahrhundert in Litauen angesiedelt haben. In der Mitte des 16. Jahrhunderts hatten Polen und Litauen eine gemeinsame Verwaltung und Regierung. Während des späten 16. und 17. Jahrhunderts waren es die schwierigen politischen Verhältnisse zwischen Polen, Litauen und Russland – ein Thema, das den Rahmen dieses Artikels sprengen würde –, die viele Juden nach Litauen einwandern ließen, vor allem aus Polen. Das erste Gebäude, das in jedem neuen "Shtetle" gebaut wurde, war die Synagoge. Durch die umfangreichen Waldvorkommen in Polen waren die Siedler erfahren im Umgang mit Holz. Litauens gewaltige Waldgebiete, in ihrer Größe ähnlich denen in Polen, machten das Bauen von Synagogen mit Holz billig und einfach. Es gibt keinen schlüssigen Nachweis dafür, ob Juden oder Litauer die jeweiligen Gebäude errichtet haben. Es wird aber allgemein angenommen, dass die Juden die Gebäude nach ihren Vorgaben bauen ließen. Sie gaben den Arbeitern genaue Anweisung, wie sie zu bauen hatten. Später, im 20. Jahrhundert, wurden sogar Facharbeiter und Architekten angestellt.

Das Innere einiger Synagogen war sorgfältig dekoriert. Es ist anzunehmen, dass, von der frühesten Zeit abgesehen, die Juden selbst die Innendekorationen gemalt haben. Sie könnten die aufwendige Ornamentik in Kirchen gesehen haben. Durch dieses Vorbild inspiriert, mussten sich die Künstler die Maltechnik selbst erarbeiten. Es darf nicht vergessen werden, dass es keine spezielle jüdische Tradition oder Bildersprache in der Kunst- und Maltechnik gab, an die er sich halten konnte. Der Künstler konnte an der Dekoration erst arbeiten, wenn er sein Tagewerk vollbracht hatte. Möglicherweise nahm jemand, der etwas wohlhabender war, im Dorf Hilfe in Anspruch und bezahlte für die Arbeit, aber überwiegend war es eine reine Arbeit aus Liebe zum Objekt. (Dies ist nur eine fundierte Annahme, die nicht mit Sicherheit bestätigt werden kann.) Heutige Experten charakterisieren die Dekorationen in den Synagogen als "Volkskunst".


Die Synagoge in Pakruojis

Heute gibt es nur acht aus Holz gebaute Synagogen in abgelegenen Dörfern: Pakruojis, Tirksliai, Seda, Zeizmariai, Kurkliai, Alanta, Rozalimas und Kaltinenai. Mit meiner Reiseführerin und Übersetzerin, Lilia Jureviciene, vom Europos Parkas Open Air Museum of the Center of Europe, hatte ich die Möglichkeit, fünf der acht Synagogen zu besuchen. Es war ein aufregendes Abenteuer. In einem Dorf angekommen, wollte Lilia einen Bewohner fragen, wo die hölzerne Synagoge liegt. Typischerweise war die erste Reaktion: "Ich weiß nicht – hier gibt es keine hölzerne Synagoge." Schließlich konnte sich doch jemand an den Ort erinnern, wo das Gebäude zu finden war.

In Kurkliai, einem Dorf von 117 Familien, ca. 100 km nordwestlich von Vilnius, fanden wir die Synagoge hinter verschiedenen alten Holzhütten. Gebaut irgendwann zwischen 1915 und 1939 ist sie ähnlich den Bauten des 18. Jahrhunderts, also im Stil der Romantik bzw. des Historizismus. Das fast quadratische Gebäude ist eingeschossig, ebenso wie der kleine Eckturm mit der unter einem niedrigen Spitzdach liegenden Treppe, die hinauf zur Frauen-Empore führt. Die Fassade ist schlicht und enthält maurische Elemente in den Fenstern; das heißt, die Fenster sind schmal und hoch mit einem spitzen Dreieck als oberem Abschluss. Man weiß nicht, wie das Glas der Fenster aussah. Heute sind die Fenster zugenagelt.


Die Synagoge in Kurkliai

Im Allgemeinen haben hölzerne Synagogen das Aussehen von Scheunen, um nicht aufzufallen. Um eine Konkurrenz mit den Kirchen, die in der Mitte des Ortes gelegen waren, zu vermeiden, wurden die Synagogen gewöhnlich in dem für Juden reservierten Viertel errichtet. Aber es gibt widersprüchliche Angaben darüber, wo Juden lebten. Nach Angaben der Menschen, die wir befragt haben, lebten die Juden über das Dorf verteilt in der Nähe ihrer Geschäfte. Andere behaupteten, Juden lebten in bestimmten Gebieten. In jedem Fall waren die großzügig angelegten Gebäude zur Sicherheit eingezäunt. In früher Zeit gab es keine markanten Details an der Fassade, an denen die Synagogen zu erkennen waren. Nur in Kurkliai ist ein Davidstern auf der Außenfassade zu sehen, da die Synagoge aus jüngerer Zeit stammt. In Kurkliai besteht das Fundament aus Ziegeln, andere Gebäude wurden mit Naturstein gebaut. Jedes Gebäude hat seine charakteristischen Baumerkmale.

Da die Inneneinrichtung der meisten Synagogen zerstört wurde, können wir nur Rückschlüsse aus dem Grundriss ziehen. Basierend auf den Abmessungen des Gebäudes in Kurkliai, wurden die Pläne von einem gewissen Mr. P. Jurenas im Jahr 1935 erstellt. Er beschloss, die Synagoge in zwei Räume aufzuteilen, einer geringfügig größer als der andere. Der Bauplan enthält Hinweise auf das Treppenhaus zur Frauen-Empore. In Kurkliai und in anderen Dörfern wurden die Synagogen während der russischen Besatzung als Lagerhaus, Garage für Autos oder Stall für Pferde, Schweine und andere Tiere genutzt. Was an der Synagoge von Kurkliai auffällt ist, daß der Innenraum gereinigt wurde. Angele Dudiene, einer Lehrerin für Naturwissenschaften, wurde zur örtlichen Spezialistin für jüdische Geschichte. Sie unterrichtet das Thema in ihren Klassen. Aus persönlichem Mitgefühl – und mit beträchtlichem Unternehmungsgeist – betrachtete sie es als ihre Aufgabe, Mitbürger und Studenten zu mobilisieren, um mit den Aufräumarbeiten zu beginnen. Sie machte den Bürgern bewußt, daß eine Synagoge eine religiöse Einrichtung ist. "Das", so sagt sie "ist Grund genug, sie zu restaurieren." Während der Aufräumarbeiten fand sie alte Zeitungen und Dokumente, einschließlich einiger nicht bestimmbarer Objekte, die sie an das Vilna Gaon Jewish State Museum in Vilnius übergeben hat. Sie bot mir an, einen Teil ihres Lehrmaterials vom Litauischen ins Englische zu übersetzen und mir zuzusenden, wenn die Schule wieder öffnet. Die Dokumente sind während der Sommerzeit in der Schule eingeschlossen.


Die Synagoge in Zeizmariai

Üblicherweise verwahrt eine Person aus dem Dorf den Schlüssel für die Synagoge, gewöhnlich der Bürgermeister. In Zeizmariai wird er von einer 82-jährigen russischen Frau aufbewahrt, die in der Nähe der Synagoge lebt. Sie hat damals die Tiere gehütet, die in dem Gebäude während der sowjetischen Besatzung vom örtlichen Tierarzt untergebracht waren. Sie sagt: "Ich habe den Schlüssel behalten, weil ich ein guter Mensch bin. Fragen Sie jeden im Dorf was für ein guter Mensch ich bin. Sie werden dir sagen, dass es wahr ist." Die Synagoge in Zeizmariai ist recht groß, mit drei oder vier Räumen auf der unteren Etage. Obwohl wir  hineingehen konnten, kann man nicht exakt sagen, wie viele Räume es dort gibt. Die Wände und Balken brechen zusammen, sind am herunterfallen oder liegen am Boden. Überall ist Müll. Es gibt eine zweite Etage, die jedoch komplett unzugänglich ist. Die Größe des Bauwerks lässt darauf schließen, dass die Juden des Dorf wohlhabend waren. An einer der Türen kann man noch die Silhouette der Mesusah erkennen (Bild rechts). Gemäß unserer russischen Freundin lebten die Juden hier nicht im Ghetto, sondern überall im Dorf verteilt und waren Eigentümer einer Anzahl von Geschäften. Nun sagt sie: "Die Synagoge scheint mehr ein Denkmal für die Ermordung der Juden zu sein als eine religiöse Einrichtung". Im vorigen Jahr kamen Besucher aus Israel, Moskau und den USA nach Zeizmariai und organisierten ein Konzert bei Kerzenlicht auf dem Gelände. Vermutlich gaben die Amerikaner etwas Geld für die Wiederaufbauarbeiten.


Innenansicht der Synagoge in Zeizmariai

Unsere Besuche in den fünf Dörfern brachten die unterschiedlichsten Reaktionen hervor. Einige der Bewohner wollten zuerst nur zögernd mit uns sprechen, konnten dann jedoch gar nicht mehr aufhören – so als müssten sie ihr Herz ausschütten. Andere rannten buchstäblich davon, wenn wir sagten, was wir wollten. Wieder andere standen still in der Nähe und hörten zu. In Pakruojis saßen zwei betrunkene Männer auf ihrer Veranda und schrieen uns laut und bedrohlich an. Eine Frau machte uns deutlich, daß das Haus, in dem sie wohnt niemals Juden gehört hat, obwohl es direkt neben der Synagoge und eindeutig im jüdischen Bezirk steht. Eine Frau in Rozalimas meinte, es sei lustig, dass sie nun das Haus bewohne, das einst einem Rabbi gehörte und lachte, während sie darüber sprach. Trotzdem – und sicher überraschenderweise – lobten die meisten Leute, mit denen wir sprachen ihre jüdischen Nachbarn. Sie sagten: "Wir alle liebten die Juden. Sie haben den Menschen immer geholfen, indem sie ihnen Dinge und Geld gaben. Wir können nicht verstehen, warum so schreckliche Dinge geschehen sind."

Aufgrund der seltsamen Reaktionen der Menschen, die wir trafen, und der Unsicherheit rund um die Frage nach den Synagogen, wollte ich die offizielle Position der Regierung zu diesem Thema kennenlernen. Ich bekam schnell Kontakt zu Ms. Diana Varnaite, Direktorin des "Department of Cultural Heritage of Lithuania", und Mr. Alfredas Jomantas, Leiter der Abteilung für Internationale Zusammenarbeit im Ministerium für den Schutz des Kulturerbes. Nach Aussage dieser hohen Beamten unternimmt die Regierung von Litauen ernsthafte Schritte, um das Bewusstsein für das reiche Kulturerbe, das die Juden hinterlassen haben und ihre maßgebliche Rolle in Litauens Kulturgeschichte zu fördern. Für die "European Heritage Days", eine Veranstaltung, die für September geplant ist, ist Litauen dazu berufen, das Team zur Pflege des jüdischen Kulturerbes auszuwählen. Seminare, Lesungen und andere Veranstaltungen sind geplant, um das Thema zu vertiefen. Laut Ms. Varnaite haben die Förderung des Kulturtourismus, der Denkmalschutz und Erziehung die oberste Priorität. Sie sagt: "Es ist wichtig, jetzt zu beginnen, solange die Erinnerung an das materielle Erbe bei den Menschen noch frisch ist."

Aber ein Dilemma bleibt: Wenn die Synagogen restauriert sind, wofür sind sie restauriert worden? Was soll aus ihnen werden? Einige Anregungen gingen in Richtung Kulturzentrum, Museen oder Kunst-Schulen. Ein Dorf hatte überlegt, die alte Synagoge in eine Diskothek umzuwandeln, hatte aber nicht genug Kapital dafür.

Alle Bilder © Joyce Ellen Weinstein
Übersetzung aus dem Englischen: Bernd Röhrbein

[English]

Joyce Ellen Weinstein
Geboren in New York, wuchs Joyce Ellen Weinstein in Washington, DC. auf. Ihren "Master in Fine Arts" erhielt sie am City College of New York, sie absolvierte zudem "The Art Students League". Sie erhielt Stipendia in Mishkenot Sha’ananim, Jerusalem, Israel; Blue Mountain Art Center, New York, und gestaltete ein Wandgemälde in Prag. 2000/2004/2005 war sie "Artist in Residence" am Europos Parkas, Open-Air Museum des Europa-Zentrums in Wilna, Litauen. Ihre Arbeiten sind u.a. Teil der Dauerausstellungen im National Museum of Women in the Arts, Washington, DC; Hebrew Union College Institute of Religion Museum, NYC., Gallerie-Junge KunstWerkStart, Wien;  The Social-Cultural Center, Prag; Amnesty International; Einchen Americe, Princeton, New Jersey. Zudem befinden sich Arbeiten im Privatbesitz in den USA und Europa. Sie ist ebenfalls enthalten in "Fixing the World: Jewish American Artists of the Twentieth Century" von Ori Z Soltes, New England University Press. Joyce Ellen Weinstein wird im Dezember 2005 bei der Biennale Internazionale Dell'Arte Contemporanea in Florenz ausstellen.

Arbeiten von Joyce Ellen Weinstein zu den hölzernen Synagogen

Webseite von Joyce Ellen Weinstein

hagalil.com 07-06-2005

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