Hiag-Jubiläum:
Generation Erlebnis
In Büchen bei Hamburg feierte die
"Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehem. Waffen-SS" ihr
55. Jubiläum.
Von Jan Raabe und Andreas Speit
Jungle World 22 v.
01.06.2005
Wir halten nicht die Reden und singen nicht die Lieder,
die sie erwarten", sagte Franz Schmitz. Überhaupt sei der "große Appell" der
"Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Soldaten der ehemaligen
Waffen-SS" (Hiag) bloß eine Vereinssitzung. "Wir feiern nur unser 55.
Jubiläum", erklärte der langjährige erste Vorsitzende des Landesverbands
Hamburg der Hiag. Zuvor hatte der rüstige ältere Herr gemeinsam mit älteren
SS-Kameraden und jüngeren Burschenschaftlern sich bemüht, mit Schubsen und
Treten unliebsame Journalisten vom Gelände des Ausflugslokals "Waldhalle" zu
entfernen.
Über 300 ehemalige Angehörige der SS kamen am Samstag in dem Lokal in Büchen
nahe Hamburg zusammen. Der Veranstalter, die Hamburger Hiag, hatte versucht,
den Ort der Versammlung am 28. Mai geheim zu halten. Die teils aus
Österreich und Belgien angereisten Herren und Damen wollten unter sich
bleiben. Umso verärgerter schimpfte ein Veteran: "Für euch haben wir
gekämpft!" Ein ehemaliger Angehöriger der SS-Totenkopfdivison log: "Auf das
deutsche Reich, nicht auf den Führer waren wir eingeschworen", und betonte:
"Wir kämpften, wo man uns hinstellte." Auf die Frage, wo sie eingesetzt
waren, antworteten sie auch immer wieder: "Im Westen." Vom Holocaust, da
waren sie sich alle einig, wussten sie nichts. "Da wird ja viel erzählt",
meinte ein ehemaliger SSler. Berichte über die Verbrechen der SS sehen sie
als Verleugnung und Verunglimpfung ihres "opferreichen Kampfes".
Im Saal des Ausflugslokals mit Schießstand saßen aber nicht nur ältere Damen
und Herren. Vor der Bühne standen Burschenschaftler in voller Kluft, Säbel
und Fahnen präsentierend. Sie einte die Vorstellung, dass die SS, wie es
Schmitz einmal ausführte, "dem Überfall der roten Armee durch unseren
Angriff zuvorkam und dadurch Europa vor dem Bolschewismus bewahrte". Unter
Applaus erzählte er am Samstag, welchen Einfluss die Hiag in den ersten
Jahren der Bundesrepublik hatte. Zwischen den weiteren Reden und Grußworten
spielte die "beliebte Fünf-Mann-Hauskapelle", wie sie bei der Hiag genannt
wird.
Zur "Großen Armee abberufen", wie der Tod in diesen Kreisen heißt, wurde
jedoch inzwischen der Ehrenvorsitzende, der SS-Brigadeführer und
Generalmajor der Waffen-SS Otto Kumm. Im Jahr 2000 zum 50. Jubiläum am
selben Ort war er noch dabei. Über "400 Kameradenfrauen und Kameraden" der
Waffen-SS kamen damals zusammen und schworen sich auf ihr Motto ein: "Ehre,
Treue, Kameradschaft ist weiter unser Ziel." Mit Kumm verstarb ein wichtiger
Aktivist, er hatte 1948/49 in Hamburg die erste Landesgruppe der Hiag
gegründet. Das "Vorbild unserer Jugend", wie ihn 2004 das Hiag-nahe Magazin
Der Freiwillige nannte, baute mit alten Kameraden ab 1950/51 die Hiag zur
bundesweiten Organisation aus.
Dass in den Nürnberger Prozessen 1946 die SS und die Waffen-SS als
verbrecherische Organisationen verboten und die Bildung von
Nachfolgeorganisationen untersagt wurden, störte dabei nicht. Bis in die
sechziger Jahre saßen ihre Interessenvertreter in allen größeren Parteien
sowie in den Soldaten- und Traditionsverbänden. Der Kalte Krieg, die
Gründung der Bundeswehr und nicht zuletzt das Wählerpotenzial von 900 000
ehemaligen SS-Angehörigen dürfte ihren politischen Spielraum erweitert
haben. So bemühte sie sich, die Verurteilung von SS-Verbrechern zu
verhindern und die Renten- und Versorgungsleistungen für SS-Angehörige
durchzusetzen.
Erst in den achtziger Jahren stellten CDU-Bundestagsabeordnete ihre
Tätigkeit für die Hiag ein, und die SPD fällte einen
Unvereinbarkeitsbeschluss. Die Funktionäre lösten 1992 den Bundesverband
auf, doch einzelne Landesverbände blieben bestehen.
Um den Geist der "europäischen Freiwilligenarmee" zu erhalten, wurde
mittlerweile aus dem Umfeld der Hiag die Lehr- und Forschungsgemeinschaft
"Europa Erbe" gegründet. Enge Beziehungen bestehen zu der
Kriegsgräberstiftung "Wenn alle Brüder schweigen" und zu dem Verband
deutscher Soldaten e.V. (VDS). Die Bundeswehr kündigte im vergangenen Jahr
die offizielle Zusammenarbeit mit dem VDS wegen der rechten Verbindungen
auf. Doch das ist kein Hindernis für einen Bundeswehrangehörigen, zum
Hiag-Jubiläum anzureisen.
Nachdem die Hilfsgemeinschaft in den letzten Jahrzehnten erfolgreich die
soziale Sicherung der SSler erkämpfte, streitet sie vermehrt um das
politische Geschichtsverständnis. Der Hamburger Landesverband führt
monatlich ein Treffen in einem "Vereinslokal" durch. Jedes Mal kämen über
"80 Kameraden", erzählte Schmitz stolz den Gästen. Regelmäßig, so sagte er
weiter, führe der Verband – der in der Hansestadt als gemeinnützig anerkannt
ist – Tagesausflüge und Auslandsreisen durch. In Ungarn und Lettland,
berichtete Der Freiwillige, gedachten sie ihrer gefallenen Kameraden. In
Vahrendorf bei Hamburg erinnern alljährlich über 100 Hiag-Aktivisten auf dem
Ehrenfriedhof an ihre beerdigten SS-Kameraden.
Die Hiag leistet aber auch praktische Solidarität. Zwar erhalten die
Mitglieder der "lettischen Freiwilligenlegion" seit Jahren Gelder aus dem
deutschen Versorgungsgesetz, dennoch sammeln die deutschen Waffenbrüder für
die lettischen SS-Männer. Als der SS-Verbrecher Friedrich Engel aus Hamburg
in die Revision gegen seine Verurteilung ging, bat Der Freiwillige um
"sachdienliche Hinweise" für die Verteidigung.
Längst bestehen gute Beziehungen zwischen der Hiag und den "Freien
Kameradschaften". Gerne laden die militanten Neonazis die "Angehörigen der
Erlebnisgeneration" als Redner bei den Aufmärschen, fahren gemeinsam mit
ihnen zu den alten Schlachtfeldern und schreiben im Freiwilligen. In dem
Organ schalten auch die Hamburger "Burschenschaft Germania" und die "Pennale
Burschenschaft Chattia" Anzeigen für ihre Veranstaltungen.
Der Hamburger Verfassungsschutz (VS) beobachtet diese Annäherung kaum. "Die
Hiag wird nicht mehr systematisch beobachtet", erklärte Manfred Murck,
stellvertretender Leiter des VS.
Mit dem vertrauten Signal "Soldaten müssen schlafen gehen" müsste am Abend
die Veranstaltung zu Ende gegangen sein. Auch die Betreiberin der Waldhalle
dürfte zufrieden gewesen sein. "Mir ist egal ob rot, braun oder grün
kariert." Sie freue sich über jede größere Gruppe in dieser "schwierigen
Zeit", da Steuern und Abgaben sie plagen.
hagalil.com 03-06-2005 |