Die Demokratie, unser Augapfel:
Wer beschließt hier?
Von Jechiam Weiz, Jedioth Achronoth
Anfang 1952 fand im jungen Staat Israel ein politischer
Kampf gegen direkte Kontakte mit der Bundesrepublik Deutschland über
Wiedergutmachungszahlungen statt. Dieser Kampf war aus mehreren Gründen
äußerst emotionell: In jenen Tagen bestand ein totaler Boykott gegen
Deutschland, auch gegen deutsche Kultur und die deutsche Sprache, Israel
nahm damals Hunderttausende Juden auf, die der Vernichtung in Europa
entkommen waren, das Trauma des Holocaust war noch sehr frisch.
Die Opposition, von links und rechts, tat alles, um das
Ziel der "Ben-Gurion Regierung" zu torpedieren, Zahlungen aus Deutschland zu
erhalten. Höhepunkt des Kampfes waren die Massendemonstrationen, die von der
Herut-Bewegung am Zionsplatz in Jerusalem organisiert wurden, und zwar an
dem Tag, an dem in der Knesset die Debatten über die Zahlungen eröffnet
wurden.
Den Mittelpunkt der Demonstrationen bildete Menachem
Begin, der Führer von Herut. Er stellte diesen Kampf als einen totalen Kampf
dar, einen religiösen, nicht einen "normalen" politischen. Seine Haltung kam
durch einige Sätze zum Ausdruck, die bis heute in Erinnerung blieben: "Das
wird ein Krieg auf Leben und Tod sein". "Heute erteile ich den Befehl:
Blut".
Nach der Rede marschierte die aufgehetzte Menschenmenge
auf die Knesset zu und bewarf sie mit Steinen. Ein Abgeordneter wurde an der
Stirn verletzt. Trotz des Steinhagels setzte die Knesset ihre Debatte fort,
und nach zwei Tagen wurden die Zahlungen mit einer kleinen Mehrheit
genehmigt.
Die Rede Begins und der Marsch auf die Knesset machten
eines klar: Ziel der Demonstration war es, dem Parlament den Willen der
Straße aufzuzwingen. Haaretz schrieb seinerzeit: "Nicht die Straße wird in
Israel herrschen", und Ministerpräsident Ben-Gurion unternahm eine
präzedenzlose Maßnahme, als er in einer Radiosendung Dinge sagte, deren
Schärfe nicht überboten werden kann: "Gestern wurde eine geheime Hand gegen
die Souveränität der Knesset erhoben, und es wurde der Versuch unternommen,
die israelische Demokratie zu zerstören. Es wurde verkündet, dass nicht die
gewählten Volksvertreter die israelische Politik entscheiden, sondern die
Vertreter der Faust und des politischen Mordes".
Die israelische Demokratie wurde damals dank der
Entschlossenheit Ben-Gurions gerettet. Vor seinen Augen stand ein
schreckliches Trauma: Das Schicksal des Staates Israel könnte dem Schicksal
der Weimarer Republik ähneln. Seither wurde eine Reihe von Versuchen
unternommen, die gewählten Einrichtungen in die Knie zu zwingen und
demokratische und legitime Entscheidungen zu torpedieren- über die Straßen,
mit der Faust, und sogar mit der Pistole. Das Ziel war es, Initiativen der
Regierungen- rechter und linker- zur Vorantreibung des Friedensprozesses zu
stoppen.
Bei dem heutigen Kampf ergreifen die Gegner der Loslösung
diverse Maßnahmen, die die roten Linien der Demokratie überschreiten: Die
Aufrufe von Rabbinern, den Räumungsbefehl zu verweigern; die Blockaden von
Hauptverkehrsadern; die Versuche, die Vorbereitung alternativer Wohnorte zu
torpedieren; die Verbreitung rassistischer Parolen wie "Ein Jude vertreibt
keinen Juden" (in anderen Worten- einen Araber dürfte man vertreiben).
Dies ist eine Zerstörung der israelischen Demokratie durch
eine Verstümmelung der Autorität der gewählten Institutionen,- Regierung und
Knesset- Entscheidungen zu treffen, einschließlich schwerer und bitterer,
Entscheidungen einer Mehrheit der gewählten Volksvertreter, nicht jedoch ein
"Volksentscheid".
Die Frage, die heute im Mittelpunkt der Tagesordnung
steht, ist nicht das Schicksal der Siedlungen, sondern etwas weitaus
Schicksalhafteres: Unsere Fähigkeit, unseren Augapfel, das demokratische
Regime, zu schützen.
Medienspiegel der Deutschen Botschaft Tel Aviv
hagalil.com 24-06-2005 |