Vor dem Gipfel:
Selbstmordattentäterin scheitert
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Wafaa el-Bass, 21, aus dem Flüchtlingslager Dschabalije
im Gazastreifen, hat es geschafft, einen Tag vor dem Gipfeltreffen in
Jerusalem, den palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas so unglaubwürdig
zu machen, dass alle seine Forderungen von Ariel Scharon abgeschmettert
werden mussten.
Abbas wollte noch mehr freigelassene Gefangene, auch
solche, die Israelis ermordet haben, noch mehr Städte unter palästinensische
Kontrolle überstellt bekommen und eine Aufhebung der israelischen Sperren.
Gleichzeitig verkündete Abbas einen Tag vor dem Gipfel, dass er keinen
Finger krümmen werde, die Waffen der Extremisten einzusammeln, "weil ich
keinen Bruderkrieg unter Palästinensern riskieren will".
Am Montag Morgen verließ Wafaa ihr Heim im
Flüchtlingslager. Sie hatte vom Soroka-Hospital in Beer Schewa die
schriftliche Aufforderung erhalten, die Klinik zwecks Nachuntersuchungen zu
besuchen. Vor einigen Monaten war in ihrem Heim der mit Gas betriebene
Backofen in Brandgeraten. Die Kleider der jungen Frau fingen Feuer und sie
erlitt schwere Verbrennungen an 45 Prozent ihrer Körperhaut. Im Krankenhaus
in Gaza verschlechterte sich ihr Zustand. Genau für solche Fälle gibt es
Absprachen über "humanitäre Hilfe" zwischen Palästinensern und Israel. Die
funktionierten auch während der schlimmsten Zeiten der Intifada.
Die besser ausgerüsteten israelischen Ärzte retteten der
jungen Palästinenserin das Leben. Die hässlichen Narben an Hals, Armen,
Beinen und Bauch konnten sie nicht verdecken. Bei ihrem erneuten Besuch im
Krankenhaus sollte wohl auch ein Metallstück aus ihrer Hand entfernt werden,
damit sie ungehindert die Metalldetektoren am Grenzübergang Erez passieren
könne. "Eine behinderte oder entstellte arabische Frau hat keine Chance zu
heiraten. Sie ist praktisch zum Tod verdammt", sagt der deutsche Leiter
einer Behindertenhilfe in den Palästinensergebieten.
Offenbar wusste der israelische Geheimdienst von
Aktivitäten Wafaas bei den extremistischen Al-Aksa-Märtyrerbrigaden. Diese
Gruppe untersteht der Fatah-Partei, deren Vorsitzender Mahmoud Abbas ist.
Sie entstand während der Intifada und ist für zahlreiche schwere Anschläge
auf Israelis verantwortlich, darunter auch mehrere Selbstmordattentate. Der
israelische Geheimdienst informierte die palästinensischen Stellen. Die
palästinensischen Sicherheitskräfte hätten die junge Frau eingehend prüfen
müssen, ehe sie den israelischen Kontrollpunkt erreicht. Obgleich
vorgewarnt, taten sie das nicht.
So betrat Wafaa schweren Schrittes ein befestigtes
kameraüberwachtes Gehege, von israelischen Soldaten hinter Panzerglas genau
beobachtet. Die Israelis haben aus der Erfahrung mit Selbstmordattentätern
gelernt, dass jeder direkte Kontakt vermieden werden müsse. Wafaa wurde
aufgefordert, ihren knöchellangen Mantel auszuziehen. Am Ende trug sie nur
noch ein T-Shirt und eine klobige Männerhose. Kräftig schlug sie auf die
rechte Tasche. Nichts passierte. Sie zog ein Metallteil mit einem Draht aus
der Tasche und begann zu fluchen. In die Hose waren zehn Kilo Sprengstoff
eingenäht, aber der Zünder funktionierte nicht.
Feuerwerker ließen die Hose an sicherem Ort explodieren,
während Wafaa kurz vom Geheimdienst verhört wurde. Dann wurde die Presse
gerufen. Fünf Stunden lang gab die junge Frau mit den schwarzen Haaren ihre
Ansichten vor laufenden Kameras zu Protokoll. "Ich war betäubt und wusste
nichts vom Sprengstoff in der Hose. Man hatte mich eingekleidet", sagte sie
einem Reporter. "Ich hatte schon als Kind davon geträumt, einen Anschlag zu
machen", erzählt sie dem Nächsten. "Ich wollte möglichst viele Juden töten,
Frauen und Kinder, mindestens vierzig bis fünfzig," sagt sie dem Dritten.
Sie bestätigte, für die El Aksa Brigaden aktiv gewesen zu sein. "Es ist
unser gutes Recht, für Allah zu sterben. Das war immer schon mein Wunsch."
Auf die Frage, wieso sie sich ausgerechnet in dem Hospital
sprengen wollte, wo man sie behandelte, antwortete sie: "Die Juden haben
mich doch nicht kostenlos behandelt. Die haben das doch nur für Geld getan."
Zwischendurch brach sie in Tränen aus. "Mutter, verzeih mir", rief sie
plötzlich und schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen. "Ich wollte gar
keinen Anschlag verüben." Wenig später widersprach sie sich erneut und
erklärte, dass sie sich nicht im Soroka Hospital in Beer Schewa sprengen
wollte, "weil es da so viele arabische Patienten gibt", sondern in einem
anderen Krankenhaus, "um möglichst viele Juden zu treffen".
Die gefilmte Entdeckung und Verhaftung einer
Selbstmordattentäterin überschattete in den israelischen Medien alle
zunächst positiven Einschätzungen des Gipfels hinter den hohen Mauern der
Residenz Scharons in Jerusalem. Schon im Voraus war keine Pressekonferenz
geplant. Auch der Zeitrahmen war begrenzt. Das Treffen sollte um 16:30 Uhr
beginnen. Nur drei Stunden später sollte Scharon vor der Jerusalemer
Hoteliervereinigung eine Rede halten.
In Israel machte sich Empörung breit. "Selbst bei den
übelsten Terroristen sollte es rote Linien geben. Ein Anschlag auf jenes
Hospital, wo die Attentäterin behandelt wurde, überschreitet jedes denkbare
Maß an Abscheulichkeit", sagte einer der Ärzte, der Wafaa das Leben gerettet
hatte. Die Zeitung Haaretz kommentierte deshalb am Dienstag: "Scharons
Antworten an Abbas werden kürzer ausfallen, als die meisten SMS Nachrichten:
nein, nein, nein."
© Ulrich Sahm / haGalil.com
hagalil.com 22-06-2005 |