Wissenschaftlicher Antisemitismus:
Israel? Welches Israel?
Von Olaf Kistenmacher
Erschienen in: Konkret
07/2005
Wie viel Antisemitismus an deutschen Universitäten als
wissenschaftliche Lehrmeinung durchgeht, hat in Hamburg der
Politikwissenschaftler Prof. Dr. Rolf Hanisch ausprobiert. In seiner
Vorlesung "Der 'neue' Antisemitismus: Ein Weltproblem?" wollte er zum
Beispiel diese Fragen lösen: "Wer ist ein Jude?", "Sind die Juden selbst
schuld am Antisemitismus?", "Das Lebensrecht Israels? Welches Israel?"
Überdies wollte Hanisch die Vorlesung nutzen, um die Existenz eines
"relevanten" Antisemitismus zu leugnen, und statt dessen der Frage
nachgehen, "warum diese hektische Anti-Antisemitismusdebatte entfacht
wurde".
An diesem Programm hatte der Fachbereich
Politikwissenschaften anscheinend nichts auszusetzen– nicht einmal an der
der Euthanasiesprache entnommenen Formulierung "Lebensrecht" –, denn so
durfte es im Vorlesungsverzeichnis erscheinen. Noch vor Semesterbeginn
forderte deshalb die unabhängige Hamburger Studienbibliothek das
Universitätspräsidium auf, Hanischs Lehrveranstaltungen abzusagen.
Darauf kam nicht einmal eine Antwort. Als die Jüdische
Allgemeine nachfragte, lautete die Antwort der Universität, man könne in
Hanischs Forschungen keine "Hinweise auf Antisemitismus" erkennen. Bislang
gehörte der Nahe Osten ohnehin nicht zu Hanisch Forschungsschwerpunkt,
sondern Südostasien. Aber etwas an den Antisemitismusdebatten der letzten
Jahre muss ihn wohl aufgebracht haben, und er ging in die
Vorwärtsverteidigung. Vor zwei Jahren hatte er bereits mit einem Seminar
"Antisemitismus, Diasporas und der Palästina-Konflikt" Kritik von
Studierenden auf sich gezogen. Dass im Titel Israel nicht erwähnt wurde, war
kein Versehen. In diesem Jahr sollte begleitend zu der Vorlesung noch das
Hauptseminar "Krieg und Frieden in Palästina" stattfinden, das sich mit den
"aktuellen Entwicklungen" beschäftigen sollte. Im Seminar begründete
Hanisch, warum er ungern von Israel spreche: "Palästina, die besetzten
Gebiete, gehören nun mal zu Arabien."
Nach zwei Vorlesungssitzungen erledigten ein Teil der
Studierenden, wozu die Universitätsleitung nicht bereit war: Sie blockierten
den Fortgang zunächst der Vorlesung, dann des Hauptseminars. Doch Hanisch
hatte sein Publikum schon gefunden. Ein Student beschimpfte die kritischen
Studierenden, er wolle doch nur endlich mal wissenschaftlich "die
Judenfrage" erörtern. Auch der Geschäftsführende Direktor Friedbert W. Rüb
denunzierte die Blockade des Seminars als "SA-Methoden" und leugnete
zunächst, dass eine Formulierung wie "Lebensrecht Israels" im
Vorlesungsverzeichnis veröffentlicht wurde. Als sie ihm vorgelegt wurde, war
der kurze Anflug möglicher kritischer Reflexion schon wieder vorbei. Rüb
rechtfertigte die Fragestellung damit, dass darüber ja auch "in arabischen
Ländern eine wissenschaftliche Diskussion" geführt würde. Mit dem gleichen
Argument, so die Studienbibliothek, könnte man auch die antisemitische
Fälschung Protokolle der Weisen von Zion als Seminarlektüre heranziehen
(siehe
www.studienbibliothek.org).
Immerhin: Der Protest der Studierenden hat dafür gesorgt,
dass Hanischs Veranstaltungen nicht mehr an der Hamburger Universität
stattfinden konnten. Dieser Erfolg war dem Leipziger Bündnis gegen
Antisemitismus bislang nicht beschieden. An der dortigen Universität hat der
Philosoph Georg Meggle eine Ringvorlesung "Deutschland – Israel – Palästina"
ins Leben gerufen, in der Ted Honderich seine moralphilosophische
Legitimation für "Selbstmordattentate" verbreiten durfte. Wie das auch
Hanisch tut, wird die Ringvorlesung als Tabubruch, als "kritisches Denken"
über "Themen, die mit Denk- und Redeverboten stark belastet sind",
inszeniert, aber das Ergebnis sei, so das Bündnis, nichts weiter als ein
"antizionistisches Selbstgespräch".
Man lässt sich von Gästen aus den USA und Israel
bestätigen, was man als Deutscher noch nicht öffentlich äußern darf: von Uri
Avnery, dass Israel zu boykottieren sei, von Noam Chomsky, dass die Leugnung
der Shoah auch eine Meinung wie andere sei, oder eben von Honderich, dass
Massenmorde legitim seien. An diesem Mainstream würde auch die Einladung
Shimon Steins wenig ändern (weitere Informationen
www.israel-soli.de). In Hamburg
soll im nächsten Semester eine unabhängige Vorlesungsreihe eines neu
gegründeten "Bündnisses gegen antisemitische Lehrveranstaltungen" und der
HSB stattfinden. Eine Idee für Leipzig?
Wandelung eines 68er:
Freie
Universität Berlin übt Zivilcourage
Das Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin wird dem
NPD-Sympathisanten Bernd Rabehl künftig keine Lehraufträge mehr erteilen...
Unschuld und Abwehr:
Über einen Antisemitismusstreit
in der Hans-Böckler-Stiftung
Bis heute ist der stiftungsinterne Antisemitismusstreit, der
im Februar 2003 auf der Mailing-Liste der Böckler-Stipendiaten aufflammte,
unter Verschluss geblieben...
Aufforderung zur Gegendarstellung
Laut einer Mitteilung des Rektorats der Universität
Leipzig enthält der Beitrag "Israel? Welches Israel?" von Olaf Kistenmacher
Tatsachenbehauptungen, die nicht der Wahrheit entsprechen.
Da die Universität Leipzig von den unwahren Tatsachenbehauptungen betroffen
ist, forderte sie uns auf, entsprechend § 14 i.V.m. § 10 Abs. 3
Mediendienste - Staatsvertrag die folgende Gegendarstellung zu
veröffentlichen.
Universität Leipzig
rektor@uni-leipzig.de /
www.uni-leipzig.de/rektorat
Gegendarstellung
Zu: „Israel? Welches Israel?" von Olaf Kistenmacher,
erschienen unter
http://www.hagalil.com/archiv/2005/06/antisemitismus.htm am 28.06.2005.
In oben genanntem Artikel wird behauptet: „An der dortigen
[Leipziger] Universität hat der Philosoph Georg Meggle eine Ringvorlesung
'Deutschland - Israel - Palästina' ins Leben gerufen, in der Ted Honderich
seine moralphilosophische Legitimation für 'Selbstmordattentate' verbreiten
durfte."
Diese Darstellung entspricht nicht den Tatsachen. Ted Honderich hat zu
keinem Zeitpunkt eine Vorlesung im Rahmen der Ringvorlesung "Deutsehland -
Israel - Palästina" an der Universität Leipzig gehalten.
Weiterhin behauptet der Autor:"Man lässt sich von Gästen aus den USA und
Israel bestätigen, was man als Deutscher noch nicht öffentlich äußern darf:
von Uri Avnery, dass Israel zu boykottieren sei, von Noam Chomsky, dass die
Leugnung der Shoah auch eine Meinung wie andere sei, oder eben von
Honderich, dass Massenmorde legitim seien."
Auch diese Darstellung ist nicht richtig. Uri Avnery hat in der
Ringvorlesung "Deutschland -Israel - Palästina" nicht die Meinung vertreten,
dass Israel zu boykottieren sei. Uri Avnery hat bisher gar keine Vorlesung
im Rahmen der Ringvorlesung gehalten.
Noam Chomsky hat in seiner Vorlesung im Rahmen der Ringvorlesung
"Deutschland - Israel - Palästina" nicht die Meinung vertreten, dass die
Leugnung der Shoah eine Meinung wie jede andere sei.
Ted Honderich hat in der Ringvorlesung "Deutschland - Israel - Palästina"
nicht die Meinung vertreten, dass Massenmorde legitim seien. Ted Honderich
hat zu keinem Zeitpunkt eine Vorlesung im Rahmen der Ringvorlesung gehalten.
In seiner in der Reihe "Sonntagsgespräch" gehaltenen Vorlesung an der
Universität Leipzig hat Ted Honderich ebenfalls nicht die Meinung vertreten,
dass Massenmorde legitim seien.
Leipzig, den 05.07.2005
Prof. Dr. Franz Häuser
Rektor der Universität Leipzig
hagalil.com 28-06-2005 |