ADL-Befragung:
Starker Antisemitismus in Europa
Von Ulrich W. Sahm
"Millionen Europäer halten immer noch an
antisemitischen Stereotypen fest." Das erklärte der Direktor der
amerikanischen Anti-Diffamation-League (ADL), Abraham Foxman, der
israelischen Zeitung Jedijot Achronot nach der Auswertung einer neuen
Umfrage in 12 europäischen Staaten. Im spanischen Cordoba (8. bis 9. Juni),
tagt die OSZE, um die in Berlin in Februar begonnenen Beratungen über eine
Bekämpfung des Antisemitismus weltweit fortzusetzen. Deutschland wird durch
die Abgeordnete Kerstin Müller (Grüne) vertreten. Die Amerikaner schicken
ihre Außenministerin Condoleezza Rice.
Unter 6000 Europäern aus zwölf europäischen Ländern, darunter Deutschland,
Österreich, Schweiz, Italien und Polen, hat die ADL eine Umfrage mit sechs
einschlägigen Fragen durchgeführt. Sie enthielten typische antisemitische
Vorurteile, etwa ob Juden gegenüber Israel loyaler seien als gegenüber ihrem
Heimatland, ob sie in der Wirtschaft oder auf den Finanzmärkten zuviel Macht
besässen. Ebenso wurde gefragt, ob die Juden "zuviel über den Holocaust
reden" und ob sie für den Tod Christi verantwortlich seien. Die Befragten,
jeweils 500 Erwachsene pro Land, sollten mit "falsch" oder "richtig"
antworten.
In die Fragen eingebaute antisemitischen Stereotypen entsprechen einem
Katalog antisemitischer Vorurteile, wie sie die europäische
Beobachtungsstelle für Rassismus, EUMC, im Januar ausgearbeitet hat. Sie
wurden kürzlich von diesem Korrespondenten entdeckt und veröffentlicht. Es
handelt sich um einen ersten Versuch, Kriterien für eine Definition des
Antisemitismus zu formulieren, die bindend für alle europäischen Länder bei
der Erfassung antisemitischer Vorfälle benutzt werden sollen. Dieser Katalog
soll in Cordoba diskutiert werden.
Die Befragung der ADL ergab, dass sich die antisemitischen Gefühle in Europa
seit 2004 um deutliche zehn Prozent verstärkt hätten. Vor allem in
Deutschland und Italien (43 Prozent) herrscht die Meinung vor, dass die
Juden Israel loyaler seien als ihrem Staat. In Österreich sank die Zahl von
46 Prozent im Vorjahr auf 36. In ganz Europa sind durchschnittlich ein
Drittel der Befragten der Meinung, dass die Juden zuviel Macht in der
Wirtschaft und auf den internationalen Finanzmärkten hätten. Die Meinung,
dass Juden "zuviel über den Holocaust reden", teilen weit über 40 Prozent
der Europäer, 46 Prozent der Österreicher, 48 Prozent der Deutschen (2004
waren sogar 56 Prozent dieser Meinung) und 52 Prozent der Polen.
Die Vorstellung, dass Juden für die Kreuzigung Jesu verantwortlich seien,
hält sich bei durchschnittlich 20 Prozent der Befragten in Europa. In
Deutschland sind es konstante 18 Prozent. In Österreich stieg die Anzahl
derjenigen, die Juden des "Gottesmordes" bezichtigen, von 14 und 16 Prozent.
Die Ergebnisse der Umfrage können im
Internet abgerufen werden.
© Ulrich Sahm/haGalil.com
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hagalil.com 09-06-2005 |