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Ein Mythos stirbt:
Jeruschalajim schel Sahaw

Uri Avnery

Seit zwei Wochen gibt es einen Aufruhr, und es ist kein Ende abzusehen. Israel ist bis ins Innerste erschüttert. Ist es wegen des hinausgeschobenen Abzugsplanes? Geht es um tödlich getroffene Demonstranten gegen die Mauer? Um Etatkürzungen? Nein, es geht um ein Lied.

Wie eine gläubige Christin hat Naomi Shemer auf ihrem Sterbebett die größte Sünde ihres Lebens gebeichtet: die Melodie ihres unsterblichen Liedes "Jerusalem aus Gold" ist die Kopie eines baskischen Wiegenliedes, das sie, so ihr "letztes Schreiben", vor Jahren von Nechama Hendel gehört hatte.

So wie sie erzählte, habe sie die Melodie nicht bewusst gestohlen, sondern habe sie unbewusst aufgenommen und geglaubt, es sei ihre eigene. Es war, wie sie es nannte, ein "Arbeitsunfall". Seltsam, dass sie Wert darauf legte zu betonen, sie habe acht Noten der Melodie verändert, so dass sie nach dem Gesetz das Recht auf Lizenzgebühren hatte, die sie seit 38 Jahren kassierte.

Gut. So etwas kann jedem passieren. Man sieht oder hört etwas, das ins Unterbewusstsein sinkt. Und wenn es später wieder auftaucht, glaubt man, es sei die eigene Idee. Aber in diesem Fall geschah noch Ernsthafteres: mehrfach wurde sie in der Vergangenheit nach der Ähnlichkeit der Lieder gefragt, und sie reagierte ärgerlich, leugnete jede Ähnlichkeit und griff die Fragenden sogar an. Aber in ihrem Bekenntnisbrief, den sie einer nahen Freundin am Vorabend ihres Todes sandte, gab sie zu, dass sie das schlechte Gewissen zutiefst quälte und dass dies vielleicht auch die Ursache ihrer tödlichen Krebserkrankung sei.

Bis zu diesem Punkt ist es wohl eine schmerzliche, aber keine sehr bedeutsame Geschichte. Einer Liedermacherin unterlief ein Fehler; ihr Lied hat sich als Plagiat herausgestellt. Nur, Naomi Shemer war eben nicht irgendeine Liedermacherin und dieses Lied war auch nicht irgend ein Lied.

Naomi Shemer ist ein Symbol für das, was – nostalgisch - "das schöne Israel" genannt wird. Sie wurde in einem sozialistischen Kibbuz am Kinereth (See Genezareth) geboren, und sie rühmte mit Worten und Musik die Landschaft des Landes. Selbst als sie einen extrem Rechten heiratete und eine Ikone dieser Richtung wurde, bewunderten die Linken sie weiter wegen ihrer Bescheidenheit, ihrer sympathischen Persönlichkeit und wegen der Qualität ihrer Lieder. Doch das Lied war viel bedeutender als die Liedermacherin. Nicht nur wegen seiner Qualität, sondern auch wegen seiner besonderen Geschichte.

Am 14. Mai 1967, vor 38 Jahren also, am Vorabend des Unabhängigkeitstages, nahm Shemer an einem israelischen Liederfestival teil. Für diese Gelegenheit schrieb sie das Lied – die Lyrik und die Musik – und bestand darauf, dass es von einer noch unbekannten jungen Sängerin gesungen wurde. Eben einfach noch ein Lied in einem weiteren Festival. Aber in dem Augenblick, in dem das Lied in der Halle und im Radio gehört wurde, geschah etwas. Es berührte alle, die es hörten, zutiefst.

Es wäre aber selbst dann noch nur ein wunderbares Lied geblieben, wenn nicht der Sechs-Tage-Krieg wenige Wochen später ausgebrochen wäre. Die israelische Armee eroberte Ost-Jerusalem, die Soldaten erreichten die Klagemauer. Israel wurde vom Siegesrausch, der von halbreligiöser Mystik durchsetzt war, mitgerissen. Über Nacht wurde das Lied "Jiruschalajim schel Sahaw" (Jerusalem aus Gold) zum höchsten Ausdruck der Nationalgesinnung, zum Symbol des Sieges, der als Erlösung angesehen wurde.

Für mich lag darin eine grosse Gelegenheit. Ich war damals Abgeordneter in der Knesset. Ich mag – gelinde ausgedrückt - unsere Nationalhymne nicht. Sie war vor mehr als hundert Jahren geschrieben worden und drückte die Sehnsucht der jüdischen Diaspora nach dem Land Israel aus. Es ist eher die Hymne einer zerstreuten religiös-ethnischen Gemeinschaft als die Hymne eines souveränen Staates. Und was noch schlimmer ist, mehr als 20% der Bürger Israels sind keine Juden. Es ist nicht gut, wenn sich so viele Bürger nicht mit der Hymne und der Flagge ihres Staates identifizieren können. Übrigens auch die Melodie der Nationalhymne haTikva (die Hoffnung) war "ausgeliehen" – aber nie hat dies jemand zu verbergen versucht. Es ist ein rumänisches Hirtenlied mit einer Version, die in "Die Moldau" erscheint, einer Symphonie des tschechischen Komponisten Smetana.)

Ich dachte, wenn ich Naomi Shemers Lied als Nationalhymne vorschlagen würde, dann könnte ich in der Lage sein, einen Konsens über die Veränderung der bestehenden Hymne zu erlangen. Ich war über mehrere angehängte nationalistische Phrasen nicht glücklich, aber ich glaubte, dass wir dies mit der Zeit ändern könnten. Ich brachte eine Gesetzesvorlage mit eben diesem Inhalt ein. Der Knessetpräsident bestand darauf, dass ich das Einverständnis der Autorin einholen müsse. Also traf ich sie in einem Tel Aviver Cafe. Ich glaubte, bei ihr eine leises Zögern bemerkt zu haben, das ich erst jetzt verstehe. Schließlich erlaubte sie mir, mitzuteilen, dass sie nichts gegen diesen Gedanken habe. Über die Gesetzesvorlage wurde niemals abgestimmt, aber während all der Jahre erfreute sich das Lied "Jerusalem aus Gold" des inoffiziellen Status einer zweiten Nationalhymne und besonders als der Hymne des Sechs-Tage-Krieges.

Das ist es, was den augenblicklichen Aufruhr zu mehr als einem Skandal über ein Lied und seine Autorin macht. Das Lied "Jerusalem aus Gold" hat dasselbe Schicksal erlitten wie der Sechs-Tagekrieg (1967). Diesem Krieg gingen drei Wochen mit zunehmender, Nerven aufreibender Angst und Sorge voraus, da die meisten Israelis – vom Knessetmitglied bis zum letzten Bürger – glaubten, der Staat und seine Bewohner seien in tödlicher Gefahr. Die Armeen Ägyptens, Syriens und Jordaniens waren anscheinend bereit, Israel von drei Seiten zu überfallen und es von der Erdoberfläche zu tilgen. Aber die israelische Armee griff zuerst an, besiegte alle drei und eroberte nicht nur den Rest Palästinas, sondern auch noch die Sinaihalbinsel und die Golanhöhen.

Während des Kampfes und in den folgenden Tagen sah es wie ein klassischer Verteidigungskrieg aus. Keiner dachte an eine lang andauernde Besatzung. Es war klar, dass man uns zwingen würde, die besetzten Gebiete sehr bald wieder zu verlassen, wie es nach dem Sinai-Krieg (1956) geschah. Die Frage war, wer sollte sie wem zurückgeben: Die Regierung und die meisten Parteien dachten an Jordanien und Ägypten, während ich und diejenigen, die meine Ansicht teilten, einschließlich einiger Armeegeneräle, vorschlugen, sie dem palästinensischen Volk zu übergeben, damit es den palästinensischen Staat errichten könne. Bis das geschieht - so glaubte man - würden sie unter einer "freundlichen Besatzung" leben.

Seitdem sind 38 lange Jahre vergangen. Die Prophezeiung von Professor Yeshayahu Leibowitz, dass die Besatzung uns durch und durch korrumpieren würde und uns in ein Volk von Ausbeutern und Geheimdienstleuten macht, hat sich schrecklich bewahrheitet. Nichts ist von dem "schönen Erez Israel" geblieben außer einer klebrigen Nostalgie, deren Bannerträgerin Naomi Shemer war.

Israel ist ein Land, das auf vielen Symbolen und Mythen aufgebaut wurde. Was könnte symbolischer sein als die Zerstörung des Mythos vom Sechs-Tage-Krieg, dem nun der Kollaps des Mythos vom "Jerusalem aus Gold" folgt, dem Kriegssymbol in Liedform.

Am kommenden Mittwoch, 18.05.2005, um 23.00 Uhr im ZDF:
Uri Avnery zu Gast bei J.B.Kerner.

(Aus dem Englischen übersetzt von Ellen Rohlfs und vom Verfasser autorisiert)
uri-avnery.de / avnery-news.co.il
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Naomi Shemer:
First Lady des Israelischen Liedes
Naomi Shemer, Israels beliebteste Liederschreiberin, starb am 26. Juni 2004, erst 74-jährig, an einer schweren Krankheit. Eine Epoche war zu Ende gegangen...

Jeruschalajim schel Sahaw

hagalil.com 17-05-2005

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