2.711 Stelen und ein Zahn:
Mahnmal-Diskussion bleibt eine Beleidigung für die Opfer
Von Mark Querfurth
Bereits die Diskussionen um Planung und Bau des
"Mahnmals für die ermordeten Juden Europas" waren von Skandalen geprägt. Die
Hoffnung, dass diese mit der Fertigstellung ein Ende fänden, sind am Tag
nach der Einweihung bereits zerschlagen.
Nein, Böswilligkeit kann man Lea Rosh bei ihrem Vorschlag
nicht vorwerfen, den Backenzahn eines Holocaust-Opfers in das Mahnmal zu
inplantieren. Vielmehr scheint es der hilflose Versuch zu sein, dem in
seiner Aussage völlig beliebigen Feld aus Betonquadern nun im Nachhinein ein
Minimum an Authenzität zu geben. Peinlich und geschmacklos ist es allemal,
zumal die Sache natürlich Fragen aufwirft, deren mögliche Beantwortung
durchaus sehr delikat ausfallen könnte.
Wer soll den Backenzahn inplantieren?
Eisenmans Zahnarzt ? Ist der Backenzahn vielleicht aus Gold, dass
läge dann sozusagen im Verantwortungsbereich der Deutschen Gold- und
Silber-Scheideanstalt (Degussa). Immerhin hat man da ja seit über 60 Jahren
Erfahrung. Neben dem wenig spektakulärem - aber geruchslosen -
Graffiti-Schutz könnte so der Degussa ein etwas größeren Anteil am
"Mahnmal für die ermordeten Juden Europas" verschafft werden. Als ob der
Anteil von Degussa am Mahnmal geringzuschätzen wäre. Immerhin lieferte die
Degussa-Tochter Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (Degesch) das
eigens für die industrielle Massenvernichtung ebenfalls in einer
geruchslosen Variante produzierte "Zyklon B" und damit den eigentlichen
Anlass für den Bau des Mahnmals. Geruchslos oder nicht: Die Sache stinkt.
Im August 2001 sorgte die Plakatwerbung "Den
Holocaust hat es nie gegeben" für Irritationen. Provokativ - ja.
Würdig - nein. Naiv - allemal. Es war natürlich absehbar, dass die Kampagne
von Revisionisten dankbar aufgegriffen wird.
Mit Roshs neuerlichem Vorschlag ist ein weiterer trauriger
Höhepunkt in der Diskussion um das Mahnmal gesetzt. Und wieder einmal muss
nach dem Sinn des ganzen Projektes gefragt werden. Gerade wegen seiner
beabsichtigten Beliebigkeit in der Aussage, der Anonymität zwischen den
Stelen und der mangelnden Authenzität des Ortes muss auch die Sinnfrage
kritisch überprüft werden: Ist die Sinnfrage überhaupt sinnvoll? Egal.
Irgendwie fühlt man sich weniger an die Opfer des Holocaust als vielmehr an
Lea Rosh, Peter Eisenman und Wolfgang Thierse erinnert. Man wird den
Eindruck nicht los, sie hätten sich selbst zu Lebzeiten ein Denkmal gebaut.
Medial hervorragend inszeniert.
Die mangelnde Authenzität des Ortes an sich ist dabei
nicht das eigentliche Problem. In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in
Jerusalem beispielsweise stehen tatsächlich die Opfer im Mittelpunkt. Die
zahlreichen Dokumente geben den Menschen Namen, die Fotos ein Gesicht. Das
Berliner Holocaust-Mahnmal hingegen zeichnet sich durch das völlige Fehlen
eines gedenkstättenpädagogischen Konzeptes aus. Dieses Defizit kann auch
nicht durch einen unterirdischen und damit verborgenen Ort der Information
ausgeglichen werden.
Das Stelenfeld aus kaltem Beton legt sich wie ein
Sarkophag auf die Geschichte. Da baut man den Juden ein Denkmal, mitten in
Berlin, ein "Stachel im Fleisch" als Zeichen der Leuterung in Richtung
Ausland, typisch deutsch, nicht nur monumental, geradezu protzig - das neue
Selbstbewusstsein der Berliner Republik. Dieses sinnentlehrte und
deutungsbeliebige Werk - zwar mit Widmung - fördert eher das Vergessen denn
die Erinnerung. In diesem Kontext klingt die Schlussstrichleugnung des
Bundespräsidenten Horst Köhler in seiner
Rede vom 8. Mai 2005 geradezu wie Hohn.
Das neue Deutschland muss sich daran messen lassen, wie es
mit seiner Geschichte umgeht. Und mit den NS-Opfern und -Überlebenden. Die
Hierarchisierung der Opfergruppen zeugt schon von Respektlosigkeit: das
Mahnmal nur den ermordeten Juden Europas zu widmen, obwohl sich die
jüdischen Repräsentanten für ein Gedenken an alle NS-Opfer ausgesprochen
haben. Genauso respektlos ist der Umgang mit den Sinti und Roma. Die
Auseinandersetzungen um die Inschrift auf dem Gedenkstein dauert schon
Monate. Kulturstaatsministerin Christina Weiss hält an einer Formulierung
fest, in der das diskriminierende Wort "Zigeuner" vorkommt. Wie sieht es mit
einer zentralen Denkmal für die ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen
aus, die als erste zu Tausenden in Auschwitz vergast wurden, bereits im
Stammlager im Kellergeschoss des Todesblockes (Block 11) und in der Halle
des Krematoriums? Wo wird der ermordeten Sozialdemokraten, Kommunisten und
Christen an zentralem Ort gedacht. Wo der Wehrmachtsdeserteure und der
Opfern, die in Strafkompanien in den Tod getrieben wurden?
Was den Umgang mit den Opfern angeht, darf auch nicht
unerwähnt bleiben, dass die Bundesregierung bis heute eine Entschädigung der
ehemaligen italienischen Militärinternierten ablehnt, die zu Zwangsarbeit in
deutschen Unternehmen verpflichtet wurden. Ebenso fehlt bis jetzt eine
Anerkennung der griechischen NS-Opfer von Distomo oder Komeno.
Der Bau des Dokumentationszentrums "Topographie des
Terrors" auf dem Gelände der Gestapo-Zentrale in der ehemaligen
Prinz-Albrecht-Straße ist ein weiteres Glanzlicht deutscher
Erinnerungskultur. Ebenso die Gedenkstätte eines der frühen
nationalsozialistischen
Konzentrationslagers Schloss Lichtenburg. Während ersteres über
Jahre im bürokratischen Sumpf zu erticken drohte, fehlt es bei letzterer am
politischen Willen zum Erhalt. Nicht vergessen werden darf hier auch die
Umdeutung von NS-Gedenkstätten in Sachsen, die im Januar 2004 Opferverbände
zum Austritt aus der Landesstiftung "Sächsische Gedenkstätten" bewegte.
Die Mahnmal-Diskussion darf nicht losgelöst von den
erinnerungspolitischen Diskursen der letzten Jahre betrachtet werden,
genauso wenig wie das nun vorliegende in Beton gegossene Ergebnis. Weitere
Demütigungen der NS-Opfer werden uns dank Lea Rosh auch in Zukunft nicht
erspart bleiben. Dankbarkeit schulden wir ihr hierfür nicht.
[FORUM]
hagalil.com 12-05-2005 |