Einer der Letzten:
Zum Tod des italienischen Malers Zoran Music
Von Carl Wilhelm Macke
Es gibt Maler, von denen bleibt vielleicht nur ein
einziges Bild in Erinnerung. Sie hinterlassen ein umfangreiches Werk, werden
vielleicht sogar schon zu Lebzeiten mit Ausstellungen in renommierten Museen
geehrt. Kritiker widmen ihnen viel Aufmerksamkeit. Sie leiden nicht unter
öffentlicher Nicht-Beachtung. Und trotzdem fällt einem bei der Nennung ihres
Namens nur einziges Werk von ihnen ein. Das aber prägt sich tief und
unauslöschlich in unser Gedächtnis, in unser ästhetisches wie
geschichtliches Archiv ein.
Zoran Music hat 1974 eine kleine Kreidezeichnung
geschaffen. Man blickt da auf einen Kopf mit angedeuteter Rückenpartie. Der
Hals wird umschlungen von den zwei Armen einer ansonsten nicht sichtbaren
Person. Es könnte die Andeutung eines Liebespaares sein. Aber auch ein sich
in tiefer Verzweiflung umarmendes Paar ist denkbar. Alle Deutungen sind
offengelassen.
Und je länger man auf diese Zeichnung blickt, um so tiefer
wird man in sie hineingezogen. "Wir sind nicht die Letzten" hat Music diese
Zeichnung betitelt und auch das läßt verschiedene Deutungen zu. Zoran Music
war Lagerhäftling im KZ Dachau. Über seinen Aufenthalt in Hölle hat er eine
Reihe bewegender, atemberaubend hoffnungsloser Zeichnungen angefertigt.
Aber was will uns dann dieses sich umarmende Paar sagen?
"Wir sind nicht die Letzten" werden wir uns auf weitere verzweifelte
Umarmungen am Rande neuer Höllen auf Erden einstellen müssen? "Es ist
geschehen. Folglich kann es wieder geschehen", heißt es bei Primo Levi.
Hat Music mit dieser Zeichnung die Erkenntnis seines
Landsmanns Levi visualisiert? Das Bild von Zoran Music läßt uns nicht los.
So wenig wie uns das Wissen um Auschwitz, Dachau und den anderen
Konzentrationslagern losläßt.
Zoran Music, geboren 1909 in dem
habsburgisch-italienischen Grenzort Gorizia und seit vielen Jahren mal in
Paris, mal in Venedig lebend, ist in diesen Tagen im biblischen Alter in
Venedig gestorben. Vielleicht werden wir fast alles von seinem Werk
vergessen. Aber "Wir sind nicht die Letzten" läßt uns niemals in Ruhe.
hagalil.com 27-05-2005 |