Müntefering, Metall und Co.:
Völkischer Antikapitalismus von Links
Von Ingolf Seidel
Populismus war noch nie eine
emanzipatorische Tugend und wird nicht umsonst eher mit der Rechten in Bezug
gesetzt. Wohin Populismus führen kann, wenn sich eine Regierungspartei, die
sich zumindest historisch einmal Vorstellungen einer besseren
Gesellschaftsform verpflichtet fühlte, seiner bedient, lässt sich am
Beispiel der sog. Kapitalismusdebatte beobachten, die derzeit durch die SPD
betrieben wird.
In diesem Diskurs kommt das gesamte Dilemma
von Machtpolitik, Nationalismus, kaum oder halbverstandenen kapitalistischen
Prozessen und von Ideologieproduktion geballt vor. Zwangsläufig mündet diese
unheilige Melange in einem Antikapitalismus mit deutlich völkischen
Anklängen, sowie im antiamerikanischen und, letztlich, antisemitischen
Ressentiment.
Entgegen der landläufigen Wahrnehmung
betreibt der SPD-Chef Franz Müntefering, der verschiedene Investoren und
Kapitalfraktionen als Heuschrecken bezeichnete, keine Klassenkampf-Rhetorik.
Im Gegenteil. Wenn Robert Leicht in der Zeit vom 18. April schreibt,
Müntefering würde die "alt-marxistische Ballonmütze" aufsetzen, so mag dies
als Bonmot einen netten Effekt haben, zeugt jedoch nicht nur von der
Unkenntnis des Autors in puncto Marxismus und Ballonmützen. Viel eher findet
die Rhetorik von Müntefering, wie auch von Teilen der Gewerkschaften ihre
Begründung in einem völkischen Antikapitalismus.
Nachdem Um- und Abbau des Sozialstaats durch
die rot-grüne Bundesregierung zugunsten einer speziell deutschen Variante
wirtschaftlichen Liberalismus, droht vor allem die Sozialdemokratie ihre
angestammten Wählerschichten zu verlieren. An dieser Stelle sei allerdings
nicht vergessen, dass ein beträchtlicher Teil sozialstaatlicher
'Errungenschaften' aus dem Nationalsozialismus stammen, wie auch wesentliche
Kapitalien im postfaschistischen Deutschland auf Raubzügen, Enteignungen
jüdischen Vermögens, sowie auf Zwangsarbeit im NS beruhen. Ohne dieses
Raubgut und die Investitionen der USA, in Form von Marshallplan-Geldern, zum
Aufbau Westdeutschlands als Frontstaat im kalten Krieg, hätte es das
'Wirtschaftwunder' nie gegeben.
Oder anders gesagt: Die Deutschen waren,
sowohl im NS-Staat, als auch nach dessen Zerschlagung, Profiteure der
Vernichtung. In unterschiedlichem Maß gilt diese Aussage sowohl für die
junge BRD, wie auch für die DDR. Es ist vor allem die Bevölkerung aus der
klassischen Arbeiterschaft, welche von dem fordistischen
Gesellschaftsmodell, also (teil)staatlicher Regulierung auch der Wirtschaft
und Ankurbelung derselben über staatliche Investitionen, profitiert hatte.
Der aktuelle Umbau, für den auch die Modelle Hartz I bis IV stehen,
verprellt eben diese sozialdemokratische Wahlklientel. Um diese bei der
Stange zu halten, spielen der linke Flügel der SPD und die Gewerkschaften
die populistische Karte aus.
Wenn der Historiker und Lehrer an der
Münchner Bundeswehrhochschule Michael Wolffsohn, ansonsten selbst weit
rechts stehend, diese Karte in einen Zusammenhang mit dem Antisemitismus der
Nazis stellt, so ist ihm durchaus recht zu geben. Tendenzen zur
Personalisierung und Konkretisierung von abstrakten ökonomischen
Verhältnissen sind eine Ausdrucksform eines schon selbst fetischisierten
Bewusstseins. Dieses Bewusstsein kann sich die Moderne nur noch über
manichäische Weltbilder von Gut und Böse, Stereotypien und Banalisierungen
erklären. Abstraktionen sind ihm demzufolge ein Graus. Gerade aber der
Kapitalismus beruht auf rein abstrakten Prozessen, eben auf der
'Selbstverwertung des Werts', mit allerdings sehr konkreten Ergebnissen. Wie
das Abstrakte als bedrohlich und unbegreiflich erfahren wird, so wird es
verteufelt, ebenso wie das Konkrete vergötzt und als naturhaft betrachtet
wird. Dies findet auch seinen Niederschlag in der Aufwertung körperlicher
Arbeit, als 'schaffender Arbeit', mit gleichzeitiger Abwertung der
kapitalistischen Vermittlungsebene und all dessen, was mit dieser assoziiert
wird.
Seinen
Widerhall findet ein so gearteter Antikapitalismus auch in der aktuellen
Ausgabe von 'Metall' dem publizistischen Organ der gleichnamigen
Industriegewerkschaft. Deren Titelblatt (rechts) und den Leitartikel mit
"Die Plünderer sind da" betitelt, illustrieren Zeichnungen von Silvan
Wegmann. Diese Zeichnungen stellen amerikanische Investoren als gierige
Fliegen, mit gerade noch menschlichem Antlitz, dar. Ihre Nasen erscheinen
als maskenhafte, krumme Verlängerungen. Als Kopfbedeckung tragen sie
Zylinder mit der Flagge der USA, eine Zigarre im Mund, sowie in den Händen
Koffer aus denen Geldscheine quellen. Das US-amerikanische Finanzkapital
erscheint so als antisemitische Karikatur; wie eine moderne Variante
völkischer und nationalsozialistischer Demagogie. In der Internetausgabe
bewegen sich diese so dargestellten 'Fliegen' zu Dutzenden auf eine Fabrik
zu, deren Schornstein am Wanken ist. Zu dieser antisemitischen Darstellung
gesellt sich der passende Text des Lehrbeauftragten und Publizisten an der
Kölner Universität Werner Rügemer. In dessen einleitenden Absatz heißt es:
"Sie haben unscheinbare Namen: Blackstone, KKR, Carlyle, Lone Star, Terra
Firma, Apax, Cinven, Investcorp, Permira. So nennen sich "Finanzinvestoren"
in New York, Houston und London. Man kennt sie kaum, aber sie haben eines
gemeinsam: viel, viel Geld. Und mit diesem Geld krempeln sie die deutsche
Wirtschaft um.. Sie kaufen Unternehmen auf, "verschlanken" sie und verkaufen
sie nach kurzer Zeit wieder oder verwandeln sie in Aktiengesellschaften –
mit hohem Gewinn."
Jüdisch konnotiertes, 'raffendes'
US-Finanzkapital, welches das ehrliche 'schaffende' deutsche Kapital
aussaugt und ruiniert. So lautet die Botschaft von Bild und Text dieser
jüngsten Ausgabe der Gewerkschaftszeitschrift. Als ließen deutsche Firmen
nur irgendeine Gelegenheit zur Steigerung des Profits aus. Und als ob nicht
erst jüngst Gerhard Schröder die arabische Halbinsel bereist hätte, Dutzende
von Wirtschaftsvertreter im Troß, um gute Geschäfte mit reaktionären und
Juden hassenden Regimes zu tätigen. Plastisch zeigt sich an diesem
antiaufklärerischen und demagogischen Exempel wie eng Antiamerikanismus und
Antisemitismus verbunden sind. Wobei hervorzuheben ist, dass wohl
Antisemitismus ohne den pathischen Hass auf die Vereinigten Staaten
existiert, dies umgekehrt jedoch nicht gilt.
Es ist symptomatisch für den Zustand
Deutschlands, wenn Regierungsparteien und die ihr nahestehenden
Gewerkschaften zu solcher Demagogie im Zeichen eines völkischen
'Antikapitalismus' greifen. Dabei ist es nebensächlich, ob Münteferings
Vergleiche wahltaktisch motiviert sein mögen oder seiner Überzeugung
entspringen.
Währenddessen nutzte Guido Westerwelle seine
Chance und denunzierte die Gewerkschaften "als die wahre Plage
Deutschlands". Schöner hätte das auch Westerwelles verhinderter suicide
bomber und Heimatverteidiger, der verstorbene Jürgen W. Möllemann, nicht
formulieren können. Deutsche Wölfe unter sich. Nur vom Antisemitismus mag
niemand etwas wissen. "Im Haus des Henkers", schrieb Detlev Claussen, "kann
es nur bei Wirklichkeitsverleugnung gemütlich sein." Entgegen der
ursprünglichen Intention Adornos wird in diesem Haus noch häufig vom Strick
zu reden sein.
hagalil.com 09-05-2005 |