Populistische Augenwäscherei ersetzt sinnvolle Aktionen
gegen NS-Propaganda im Internet
Klappe zu, Affe lebt:
Die Anständigen und ihr Abstand zur Realität
Von Klaus Parker, Berlin
Voller Stolz und Selbstsicherheit rühmte sich das
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) am 12.
April 2005 anläßlich der Schließung der neonazistischen Website "Die
Kommenden". Die Presseerklärung "Staatssekretär
Ruhenstroth-Bauer hebt Engagement von jugendschutz.net hervor" steht
heute noch unverändert im Netz.
Dass der rechtsextremistische Internetauftritt bereits
Ende April, nach einer Pause von nur 2 Wochen unter der alten Adresse wieder
im Netz war, verschweigt das Ministerium bis heute - und auch das von ihm
geförderte und immer wieder in Pressemeldungen hochgelobte
"Jugendschutz-Net" scheint diese Tatsache nicht zur Kenntnis zu nehmen.
"Die Kommenden" nannte sich in den letzten Jahren der Weimarer Republik eine
Gruppe von esoterisch angehauchten Anhängern der Hitlerpartei. Sie kamen
dann auch - im Jahre 1933 im Gefolge der sogenannten Machtergreifung. Im
Wege der Gleichschaltung ging die Gruppe im allgemeinen NS-Apparat auf. Mit
dem Sieg der Alliierten über Nazi-Deutschland verloren auch "Die Kommenden"
die Grundlagen ihres Handelns und ihrer völkischen Hetze.
In dieser eindeutig nazistischen Tradition stehend begreift sich auch ein
deutschsprachiges rechtsextremistisches Internetangebot mit identischem
Namen: "Die Kommenden".
Unter diesem Markenzeichen werden auch andere neonazistische
Internetauftritte gehostet. Schlagzeilen machte z.B. ein Bereich, der
persönliche Daten politischer Gegner veröffentlichte, die es Neonazis
ermöglichen sollten, gegen diese mit Gewalt vorzugehen. Besonders ins Visier
der "Kommenden" geraten waren Mitglieder der linken Gewerkschaftsgruppe
"Labournet".
Auf Mitteilung der Organisation "Jugendschutz.net", die vom BMFSFJ aus
Geldern, die das Ministerium im Rahmen des "Aufstands der Anständigen"
verwaltet, gefördert wird, an den in Kanada ansässigen Provider der Site, es
lägen wohl Verstöße gegen die vertraglichen Nutzungsbedingungen vor,
kündigte dieser den Neonazis den Platz auf seinem Webserver. Eine
Sicherstellung der Zugangsdaten oder gar deren Zurverfügungstellung für
deutsche Strafverfolgungsbehörden erfolgte nicht.
Stattdessen bescherte man den "Kommenden" eine gratis Werbekampagne, indem
man sich großsprecherisch seiner "Erfolge" rühmte. "Ein voller Erfolg",
meinte die "Netzwelt", mit der Schließung des Webportals sei "den
Jugendschützern ein großer Coup gelungen".
Schon zwei Wochen später, war die Nazi-Site, unter entsprechender Beachtung
in einschlägigen Foren, wieder auf Sendung. Sowohl der neue Web-Hoster als
auch der Strohmann-Registrant sitzen diesmal in Rawalpindi, Parkistan. Und
zwar dicht gedrängt im Raum 20 des Hauses J-304, Noor Plaza. Dort wird man
es mit den eigenen Geschäftsbedingungen wohl nicht so genau nehmen.
Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Selbstverständlich ist
es wünschenswert und notwendig, derartige rechtsextremistische
Internet-Auftritte in ihrer Bedeutung und Propagandawirkung zurückzudrängen
und möglichst aus dem Netz zu verbannen. Populistische Schnellschüsse
erreichen aber genau das Gegenteil.
Der Erfolg versprechendste Ansatzpunkt ist hierbei die Ermittlung und
Dingfestmachung der Täter. Vorstehend gab und gibt es eine Reihe von
Ermittlungsansätzen. U.a. benutzten die "Kommenden" lange Zeit als
Kontaktadresse eine Postfachanschrift in Berlin, deren Inhaber nicht
unbekannt geblieben ist. Ferner bot gerade der sog. "Anti-Antifa"-Bereich
eine Fülle von Informationen darüber, woher die Betreiber ihre Informationen
hatten und welche Querverbindung innerhalb der einschlägigen Szene im
Bereich des Informationsaustausches bestanden.
Inzwischen ist es müßig, darüber Spekulationen anzustellen, ob diese
Ermittlungsansätze ausgereicht hätten, die Betreiber gerichtsfest zur
Verantwortung zu ziehen. Denn die zeitweise Sperrung hat bei den "Kommenden"
selbstverständlich zu erhöhten Vorsichtsmaßnahmen und verstärkter Tarnung
geführt.
Der einzige Effekt, den die staatlichen und halbstaatlichen anständig
Aufständigen erzielten, ist und bleibt schlicht unanständig: Man hat wieder
einmal für sich geworben und den Eindruck erweckt man habe ein Problem im
Griff. Dies kommt einer Entwarnung gleich, die anbetracht der tatsächlichen
Verhältnisse gefährlich ist.
Ohne auch nur im Ansatz dafür Sorge zu tragen, dass beim vorherigen
kanadischen Provider auswertbare Zugangsdaten zumindest gesichert wurden,
hat man die Neonazis samt ihrer Web-Seite lediglich zu einem kommoden
Stellungswechsel veranlasst. Vielleicht hat man sogar geholfen ein Modell
islamistisch-nazistischer Kooperation ins Leben zu rufen.
Obwohl dieses Ergebnis von Anfang an absehbar war, hat man sich nicht
gescheut, diese aberwitzige Propaganda-Show abzuziehen, um eine
Ernsthaftigkeit des Engagements "gegen Rechts" vorzugaukeln. "Die Kommenden"
selbst bezeichnen das Medienecho übrigens als "als schmeichelhafte
Bestätigung".
(1)
http://www.bmfsfj.de/Kategorien/Presse/pressemitteilungen,did=27318.html
Pressemitteilung,
Di 12.04.2005Internet-Portal
gewaltbereiter Neonazis geschlossen:
Staatssekretär Ruhenstroth-Bauer hebt
Engagement von jugendschutz.net hervor
Das Web-Portal "die-kommenden", eine der zentralen
Internet-Plattformen der gewaltbereiten rechtsextremen Szene, ist durch
den kanadischen Provider geschlossen worden. Die Schließung erfolgte auf
Betreiben von jugendschutz.net, einer gemeinsamen Stelle der Länder zur
Überprüfung jugendgefährdender Angebote im Internet. Das Portal
"die-kommenden" enthielt mehrere neonazistische Websites wie die der
verbotenen Fränkischen Aktionsfront.
"Die Schließung dieser Website zeigt erneut, dass rechtsextremer
Internetpropaganda auch im scheinbar sicheren Ausland die Basis entzogen
werden kann", erklärte der Staatssekretär im Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Peter Ruhenstroth-Bauer.
"jugendschutz.net leistet hier unschätzbare Arbeit."
jugendschutz.net wird seit 2002 im Rahmen von "entimon" als Teil des
Aktionsprogramms "Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus" vom
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. In
den vergangenen Jahren hat jugendschutz.net die Schließung von mehr als
500 rechtsextremen Web-Angeboten im In- und Ausland erreicht. Um auch
gegen rassistische, antisemitische und rechtsextreme Internet-Angebote
aus dem Ausland vorgehen zu können, hat jugendschutz.net vor zwei Jahren
das Internationale Netzwerk gegen Rassismus im Internet (INACH)
gegründet (www.inach.net).
INACH umfasst inzwischen Initiativen aus 13 Staaten. Durch die
internationale Koordination gelingt es zunehmend, auch
länderübergreifende Web-Angebote zu schließen.
Daneben leistet jugendschutz.net einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung
von Medienkompetenz in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus. In
den vergangenen Jahren führten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr als
100 Workshops an verschiedenen Bildungseinrichtungen durch und
erstellten medienpädagogische Broschüren, die an Schulen im gesamten
Bundesgebiet verteilt wurden.
jugendschutz.net wurde 1997 als gemeinsame Einrichtung von den
Jugendministerinnen und Jugendministern der Länder gegründet und ist an
die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) angebunden. Die Einrichtung
hat den Auftrag, jugendgefährdende Angebote im Internet zu überprüfen
und auf deren Veränderung oder Einstellung zu drängen. Ziel ist ein
vergleichbarer Jugendschutz wie in den traditionellen Medien. Weitere
Informationen gibt es im Internet unter
www.jugendschutz.net.
Dort ist auch der aktuelle Projektbericht zu finden.
Weitere Informationen finden Sie auf dieser Homepage und unter
www.entimon.de.
Anm.: Hervorhebungen
BMFSFJ |
[FORUM]
hagalil.com 16-05-2005 |