Extreme Rechte in Frankreich:
EU-Referendum als Sprungbrett
Von Bernhard Schmid, Paris
Alles, was rechts ist, wird wach: Im Vorfeld des
französischen Referendums über den EU-Verfassungsvertrags, das am 29. Mai 05
stattfinden wird, macht auch die nationalistische, rassistische und extreme
Rechte aller Schattierungen mobil. Einige Kräfte dieses Spektrums sehen in
der Abstimmungskampagne sogar eine Gelegenheit, ihre Organisationen zu neuem
Leben zu erwecken oder vor dem bis dahin sicheren Niedergang zu erretten.
Um Missverständnisse auszuschließen: Es ist keineswegs das nationalistische
bis rechtsextreme Spektrum allein, das sich an der Debatte um den
Verfassungsvertag beteiligt, bei der seit circa einem Monat das "Nein" klar
in Führung liegt (derzeit würden 55 Prozent den Vertragstext ablehnen). Und
die Gegenstimmen, die dazu aufrufen, bei der Abstimmung mit Nein zu
votieren, kommen zahlenmäßig mehrheitlich aus dem linken und
gewerkschaftlichen Bereich; der mit Abstand größte Gewerkschaftsverband des
Landes (die CGT) beschloss etwa am 2. Februar mit über 82prozentiger
Mehrheit, eine "Nein"-Kampagne zu führen. Deren Motive sind völlig anderer
Natur als jene der Rechtsextremen. Dennoch ist die Abstimmungskampagne auch
für letztere eine günstige Gelegenheit, erneut an das Licht der
Öffentlichkeit zu treten. Dabei versucht die extreme Rechte, dem
Referendums-Wahlkampf inhaltlich ihren eigenen Stempel zu verpassen. Denn
die Themen, an denen sie ihre Ablehnung des Verfassungsvertrags festmacht,
sind schwerpunktmäßig andere als die der sonstigen Gegner des
Verfassungsvertrags.
Die Frage des türkischen EU-Beitritts: Brennglas für Ressentiments
Vollkommen im Vordergrund steht dabei die Frage eines
zukünftigen türkischen EU-Beitritts. Diese Frage steht in Wirklichkeit
überhaupt nicht zur Abstimmung, doch lässt sie sich besonders gut
instrumentalisieren, um Ressentiments zu entfachen und zu mobilisieren.
Besonders deutlich wird dies beim Mouvement national républicain (MNR,
National-republikanische Bewegung) unter Bruno Mégret. Der MNR, der aus der
Spaltung des Front National der dominierenden rechtsextremen Partei von
1999 hervor ging und damals die Mehrzahl der Parteifunktionäre und
Intellektuellen mitnahm, ist in der Folgezeit aufgrund schlechter
Wahlergebnisse in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht. Zur Zeit versucht er,
die Aufmerksamkeit während der Abstimmungskampagne zu nutzen, um ein
Comeback einzuläuten. Am 18. März stellte Bruno Mégret bei einer
Pressekonferenz die Kampagne seiner Partei vor, die unter dem Motto: "Für
unser Europa, Nein zur Verfassung, Nein zur Türkei" steht. Der Chef des MNR
kritisierte dabei, dass die Verfassung "weder die Grenzen Europas noch seine
kulturelle Identität, die auf seinen christlichen Wurzeln beruht" festlege.
Am 8. April in Lyon vollzog Mégret jedoch eine Kehrtwende und machte
Präsident Chirac das "Angebot", dieser solle sich jetzt verbindlich auf eine
Ablehnung des türkischen EU-Beitritts festlegen und der MNR werde zur
Annahme des Verfassungsvertrags aufrufen.
Doch nicht nur die faschismusähnliche extreme Rechte, sondern auch die
Nationalkonservativen und rechtsbürgerlichen EU-Skeptiker rund um Graf
Philippe de Villiers versuchen derzeit die Debatte um den Verfassungsvertrag
weitgehend auf die "Türkei-Frage" zuzuspitzen und zu polarisieren.
Dadurch wurde auf der Rechten ein derartiger Wirbel verursacht, dass auch
die konservative Regierungspartei UMP unter ihrem neuen Parteichef Nicolas
Sarkozy jetzt in ihrer Abstimmungskampagne explizit das Ja zum
Verfassungsvertrag mit einem Nein zur Aufnahme der Türkei verbindet. (Siehe
dazu ausführlich:
http://www.blaetter-online.de/artikel.php?pr=2012) . Dem entgegen steht
jedoch die bisher explizit geäußerte Zustimmung von Staatspräsident Jacques
Chirac (UMP) zugunsten eines Beitritts der Türkei. Die nationalistische und
extreme Rechte sucht daher dieses künstlich hochgepuschte Thema weiterhin
bis zum Gehtnichtmehr auszuweiden. In seinem Fernsehauftritt vom
Donnerstagabend, 14. April ging Präsident Chirac darum sogar ausführlich auf
dieses Thema und kam den Ressentimentträgern dabei weit entgegen: Einerseits
erklärte er, es sei "nicht das Problem, dass die Türkei ein moslemisches
Land" ist, und begründete ihre mögliche künftige Aufnahme damit, "dass
Europa bevölkerungsreicher und größer" werden müsse. Andererseits
adressierte er aber auch "den Türken" die Aufforderung: "Es liegt an Euch,
Europäer zu werden, Euch zu reformieren". Und er setzte ausdrücklich hinzu:
"Heute sind die Werte, die Lebensweise und die Funktionsweise der Türkei mit
unseren Werten unvereinbar." Dieser Hinweis auf die "Lebensweise" in dem
Land am Bosporus hat eine klar kulturelle Komponente. Und sie hat nichts mit
einer (nur zu berechtigten) Kritik an der dort noch immer verbreiteten
Folter oder den jüngsten pogromartigen Massenausschreitungen gegen Kurden
und Linke in verschiedenen Landesteilen, nachdem 12jährige in der kurdischen
Stadt Mersin eine Nationalfahne angezündet hatten, zu tun. Damit kommt
Chirac den chauvinistisch-religiösen Ressentiments weit entgegen.
Der Front National: Sozialdemagogie und Profilierung als
"Protestpartei"
Andere Akzente setzt der Front National. Im Unterschied zum
MNR, der neben der Nation auch die "europäische Zivilisation" und "regionale
Identitäten" positiv besetzt, ist der FN ideologisch weitgehend auf die
Verteidigung des klassischen Nationalstaats festgelegt. Und anders als der
MNR, der immer wieder bisher vergeblich an potenzielle Bündnispartner im
konservativen Spektrum anzuknüpfen versucht, strebt der FN eher nach einer
Profilierung als "Protestpartei". So stellt der Front National seine
Abstimmungskampagne in das Zeichen des "dreifachen Nein". Das bedeutet
erstens: "Nein zur Auflösung der Nationen", also die Ablehnung des
supranationalen Prinzips. Dann kommt natürlich: "Nein zur Türkei". Und
schließlich "Nein zu Chirac", da der Präsident das Referendum einberuft und
verdächtigt wird, es im Falle eines positiven Ausgangs zum Plebiszit
zugunsten seiner Führung umdeuten zu wollen.
Die sozialen und wirtschaftlichen Fragen, die ansonsten die
Referendumskampagne beherrschen, da die linke und gewerkschaftliche Kritik
vor allem das im Verfassungstext festgeschriebene "neoliberale
Wirtschaftsmodell" betrifft, spielen bei der extremen Rechten im allgemeinen
eine untergeordnete Rolle. Doch darf man ihre Fähigkeit, auch solche
konkreten Fragen aufzugreifen und zu seinen Gunsten zu instrumentalisieren,
nicht unterschätzen. Bislang führt der FN eine weitgehend auf einzelne
Regionen konzentrierte Kampagne, da die Partei derzeit auf nationaler Ebene
wo sich die Frage der Nachfolge Jean-Marie Le Pens stellt zerstritten
und weitgehend handlungsunfähig ist. Auf regionaler Ebene sticht dabei
bisher die Kampagne in der Krisenregion Nord-Pas de Calais, dem ehemaligen
Kohlerevier nahe der belgischen Grenze, ins Auge. Der FN hat diese von
sozialen Problemen geprägten Region seit längerem zum "Labor" für eine auch
gesellschaftliche Themen aufgreifende, demagogische Politik erkoren. Hier
führt FN-Generalsekretär Carl Lang eine Kampagne, die auch die sozialen und
ökonomischen Aspekte einzubinden versucht. So rief Carl Lang am 4. April in
der Regionalhauptstadt Lille dazu auf, eine "Stimme der sozialen Notwehr"
abzugeben gegen einen Verfassungsentwurf, der den multinationalen Konzernen
nutze und "der Arbeit, dem Mittelstand, dem Handwerk" schade.
Ausblick: Vorsicht vor falschen Freunden!
Wenn sich am 29. Mai eine Mehrheit für die Ablehnung
ausspricht, dann wird das keineswegs nur an der extremen Rechten liegen.
Sehr viele "Nein"-Stimmen werden aus ganz anderen Richtungen kommen, und
dafür gibt es im übrigen ausgezeichnete gute Gründe. Beispielsweise den
Artikel I-41, der eine Militarisierung der EU vorsieht (er schreibt die
Verpflichtung der Mitgliedsstaaten fest, ihre Rüstungsausgaben zu erhöhen)
und zudem noch die Union an die NATO ankoppelt. Im wirtschaftlichen Bereich
sind die Bestimmungen des Vertragstexts (aus dem dritten Kapitel), die von
progressiver Seite angeprangert werden, Legion.
Doch umgekehrt wird die extreme Rechte versuchen, dieses Resultat als ihren
Erfolg auszugeben und auf diesem "Verdienst" aufzubauen - zu ihren eigenen
Gunsten.
Bereits im Februar 05 (als freilich noch kaum die Vorgeplänkel des
Abstimmungskampfs begonnen hatten) wurde eine Umfrage durchgeführt, in der
die Wahlbürger erklären sollten, welche politische Persönlichkeiten in ihren
Augen am besten die Ablehnung des Verfassungsvertrags verkörpern. An erster
Stelle wurde der sozialdemokratische Ex-Premierminister Laurent Fabius (23
%) genannt, der aber dicht von Jean-Marie Le Pen (21 %) gefolgt wurde. Erst
an dritter Stelle folgte der nationalkonservative Rechtskatholik Graf
Philippe de Villiers (14 %), der freilich bisher real auf der Rechten am
aktivsten gegen die EU-Verfassung gewesen ist. Dabei hatte Le Pen sich in
der Öffentlichkeit fast gar nicht zur bevorstehenden Abstimmung geäußert,
zumal er im Februar 2005 mehrere Wochen lang im Krankenhaus lag. Aber
gegebenenfalls wird er sich sicherlich ohne Zögern auch mit fremden Federn
schmücken.
Die konservative Regierung versucht im Übrigen, die Debatte in den letzten
Wochen vor der Abstimmung in einer Weise zu kanalisieren, die es quasi
erlauben soll, die nationalistisch motivierte Ablehnung von rechts zur
einzigen Opposition aufzubauen: In der 14-tägigen offiziellen
Referendumskampagne (sozusagen dem "Wahlkampf") vor dem entscheidenden
Sonntag im Mai sollen im Fernsehen jeweils vier Parteien für das "Ja" und
vier Parteien für das "Nein" zu Wort kommen. Dieselben acht politischen
Parteien werden dafür auch eine öffentliche Subvention (800.000 Euro pro
Partei) erhalten, um ihr Werbematerial für die Abstimmung zu drucken. Dabei
ist aber höchst pikant bzw. brisant, wie die Regierung sich "ihre" Gegner
der EU-Verfassung ausgewählt hat. Denn von vier Parteien, die auf diesem
Wege offiziell das "Nein" vertreten sollen, sind drei rechts bis
rechtsextrem: Der RPF ("Sammlung für Frankreich") des ehemaligen
Innenministers Charles Pasqua, der MPF ("Bewegung für Frankreich") des
rechtskatholischen Grafen und Nationalliberalen Philippe de Villiers und der
rassistische Front National (FN) von Jean-Marie Le Pen. Nur die vierte
Partei kann man als fortschrittlich bezeichnen, die französische KP.
Auf der anderen Seite wird die "Ja"-Kampagne auf alle wichtigen
staatstragenden Parteien des Establishments verteilt: die konservative
Regierungspartei UMP, die christdemokratische (und mit einem Bein dem
Regierungslager angehörende) UDF, die französische Sozialdemokratie und die
Grünen. Dabei hatten in den beiden letztgenannten Parteien bei den
innerparteilichen Mitglieder-Abstimmungen jeweils bedeutende Minderheiten
(42 Prozent bei den "Sozialisten", 41 Prozent bei den Grünen) für das "Nein"
zum EU-Verfassungsvertrag votiert. Diese Minderheitsblöcke werden jedoch in
der offiziellen Abstimmungskampagne unter den Tisch fallen.
Dabei zwang nichts und niemand die Regierung zu einer solchen Aufteilung.
Jedenfalls sprechen keinerlei logische Gründe dafür. Man hätte im Prinzip
zwei unterschiedliche Kriterien festhalten können: Entweder die Frage, ob
eine Partei im nationalen Parlament (das nach dem Mehrheitswahlrecht
bestimmt wird) vertreten ist oder nicht; oder aber die Wahlergebnissen beim
letzten Urnengang, das wären die Europaparlamentswahlen, die noch dazu auch
ein "europäisches" Thema betrafen. Nach dem ersten Kriterium wäre jedenfalls
der Front National nicht dabei gewesen, denn er ist aufgrund des
Mehrheitswahlrechts seit 1993 nicht mehr in der französischen
Nationalversammlung vertreten. Im zweiteren Falle wäre zumindest der RPF
unter dem national-autoritären ehemaligen Innenminister Charles Pasqua
herausgefallen: Er erhielt bei den EP-Wahlen am 13. Juni 2004 nur 1,6
Prozent.
In Wirklichkeit hat die Raffarin-Regierung jedoch einen höchst willkürlich
erscheinenden Mix beider Kriterien angewendet, so dass sowohl der
rechtsextreme FN als auch der nationalkonservative RPF in die offizielle
Kampagne aufgenommen werden konnten. (Letztgenannte Partei ist mit 6
Abgeordneten in der Pariser Nationalversammlung vertreten die aber nicht
im Namen des RPF gewählt worden sind, sondern auf Listen der konservativen
Einheitspartei UMP, um sich erst später mit ihrem Mandat den rechten
EU-Skeptikern unter Pasqua anzuschließen. Insofern würde es nahe liegen,
diese parlamentarische Vertretung nicht als solche zu werten.)
Das Resultat des ganzen Vorgang ist jedenfalls, dass das sozial motivierte
(und nicht nationalistische) "linke Nein" zur EU-Verfassung im offiziellen
Abstimmungskampf allein durch die KP vertreten wird, die aber in einem
Drei-zu-Eins-Verhältnis durch die rechten bis rechtsextremen Vertragsgegner
übertönt werden wird. Die französische KP hat nun ihrerseits ihre Absicht
erklärt, von ihren 10 Minuten Fernsehwahlkampf immerhin 6 Minuten an andere
linke Gegner des Verfassungsvertrags - von den undogmatischen Trotzkisten
bis zur sozialdemokratischen Parteilinken - abzutreten. Dadurch soll der
Fernseh-Abstimmungskampf dann doch noch etwas pluralistischer ausfallen.
Deswegen gilt es, einerseits nicht die falsche Alternative, welche die
konservative Regierung aufbauen will ("Entweder seid Ihr für den
Verfassungsvertrag, oder Ihr müsst auf der Seite Le Pens stehen") zu
akzeptieren und sich darin einschließen zu lassen. Die Raffarin-Regierung
versucht, Le Pen als Schreckgespenst für ihre Zwecke zu instrumentalisieren
- und droht ihm dabei nochmals eine Bedeutung zu verleihen, die er in
jüngster Zeit (aufgrund seines nunmehr vorrückenden Alters und der
Zerstrittenheit in der Parteiführung über seine Nachfolge) gar nicht mehr
hatte. Andererseits darf auf keinen Fall das Risiko, das die extreme Rechte
noch immer für Demokratie und Aufklärung darstellt, sträflich unterschätzt
werden.
hagalil.com 18-04-2005 |