Jahrestag des Genozides:
Gespräch mit der Botschafterin der Republik
Armenien
"...Die Grenze zwischen der Türkei und
Armenien ist die letzte geschlossene Grenze in Europa.."
Interview von Ramon Schack
Ramon Schack: Ihre Exzellenz, am 24. April jährt sich der
Beginn des Genozides am armenischen Volk zum neunzigsten Mal. Die deutsche
und internationale Presse berichtet ausführlich über dieses tragische
Ereignis, während von offizieller türkischer Seite der Völkermord bis heute
geleugnet wird. Welche speziellen Hoffnungen und Erwartungen verbindet man
in Armenien mit dem internationalen Gedenken an diesem Tag?
Karine Kazinian: Zu aller erst möchte ich meinen Dank
ausdrücken, für die Anteilnahme und das starke Interesse an dem historischen
Schicksal des armenischen Volkes in der deutschen Öffentlichkeit. Mein
persönliches Ziel ist es ein öffentliches Bewusstsein zu schaffen für das
Verbrechen an meinem Volk, dem ersten und leider nicht letzten Völkermord im
20.Jahrhundert. Vor 90 Jahren waren die Armenier eine Minderheit im
Ottomanischen Reich und der Kampf dieses Volkes für die Prinzipien der
Aufklärung, für das Vermächtnis der Französischen Revolution, führte zu
dessen Untergang. Die damals verübte politische Gewalt wurde von der
Regierung der Jungtürken vorbereitet, ausgelöst und organisiert, mit der
Absicht aus dem multiethnischen und multireligiösen ottomanischen Imperium
heraus, einen ethnisch homogenen türkischen Nationalstaat zu errichten.
Einen Nationalstaat basierend auf der türkischen Ethnizität und der
türkischen Identität und vor allem auf dem Territorium in dem Armenier, bis
dahin, seit Jahrtausenden gelebt haben. Die Existenz dieses Volkes,
beziehungsweise dessen geographische Distribution, stellte also so etwas wie
ein Hindernis da bei der Errichtung dieser Pläne.
Im April vor 90 Jahren , begann die sogenannte Deportation
der Armenier aus ihren traditionellen Siedlungsgebieten. Diese Todesmärsche
wurden von Franz Werfel, in seinem Buch "Die 40 Tage des Musa Dagh",
wandernde Konzentrationslager genannt. Zwischen 1915 und 1918 wurden 1,5
Millionen Armenier ermordet und eine uralte Kultur nahezu ausgelöscht. Im
Schatten des 1. Weltkrieges gelang es der damaligen Türkei für lange Zeit,
das Ausmaß und die Dimensionen dieses Genozides zu verschleiern. Im
Bewußtsein des armenischen Volkes werden diese Ereignisse für immer
unvergessen bleiben. Angesichts des bevorstehenden Jahrestages, sowie der
internationalen Berichterstattung, hoffen wir das die Türkei auch gerade
angesichts der angestrebten EU-Mitgliedsschaft die historischen Fakten
anerkennt und das international die Ereignisse von 1915, als das anerkannt
werden was Sie darstellen. Nämlich den ersten planmäßig organisierten
Völkermord im 20. Jahrhundert.
Das Deutsche Reich, damals ein Allierter der Türkei, im
ersten Weltkrieg, hat ja auch eine nicht gerade rühmliche Rolle eingenommen.
Richtig. Gerade unter diesem Aspekt halte ich es für wichtig
festzustellen, das Nationen, die damals den Völkermord toleriert haben,
heute wenigstens nicht die Leugnung dieses Völkermordes tolerieren sollten.
In diesem Zusammenhang bin ich persönlich aber sehr zuversichtlich, das der
neunzigste Jahrestag, zu einer Neubetrachtung der Ereignisse von damals
führt. Wir sind der Bundesrepublik sehr dankbar , das es im Bundestag ,
anlässlich des Jahrestages eine offizielle Gedenkstunde geben wird.
Zwischen Armenien und der Türkei bestehen keine
Diplomatischen Beziehungen, die Grenze zwischen beiden Staaten ist
geschlossen. Welche Auswirkungen hat das Gedenken an diesen Jahrestag auf
das Verhältnis zu Ihrem Nachbarland und was erwarten Sie von der türkischen
Regierung?
Armenien und die Türkei sind geographische Nachbarn. Die
armenische Regierung räumt dem Dialog mit Ankara höchste Priorität ein. Von
der türkischen Seite wünschen wir uns eine Anerkennung der historischen
Tatsachen um dann gemeinsam voranzuschreiten, beziehungsweise
gutnachbarschaftliche Beziehungen zu entwickeln.
Die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern, von Seiten
Ankaras, ist für uns allerdings keine Vorbedingung für die Aufnahme
Diplomatischer Beziehungen mit der Türkei.
Es ist das Schicksal unserer beider Völker, Seite an Seite zu
leben und wir sollten diese Fakten als Grundlage betrachten. Die Grenze
zwischen Armenien und der Türkei, ist die letzte geschlossene Grenze in
Europa. Wie Armenier wünschen uns sehr und setzten uns dafür ein, das sich
dieser Zustand bald zum Wohle beider Staaten, verändern wird. Ich denke die
angestrebte EU-Mitgliedschaft der Türkei, dürfte diese Entwicklung eher
beschleunigen. Ich möchte betonen, das unsere Politik und unser Gedenken an
die Ereignisse von 1915, nicht gegen die Türkei oder das türkische Volk
gerichtet sind. Vielmehr möchten wir unsere türkischen Nachbarn dazu
einladen sich, bei dem Thema Vergangenheitsbewältigung, ein Beispiel an der
Bundesrepublik Deutschland zu nehmen. Sich auch mit den dunklen und
tragischen Seiten der Geschichte zu beschäftigen, diese auch anzuerkennen
und aus Ihnen zu lernen, sollte auch zu den Stärken und Eigenschaften einer
selbstbewußten und stolzen Nation gehören.
Haben Sie den Eindruck das von offizieller türkischer
Seite versucht wird Druck auszuüben, anlässlich des Gedenken an diesen
Jahrestag, hier in der Bundesrepublik.
Ich persönlich habe als Botschafterin bisher keine Maßnahmen
dieser Art verspürt. Es gibt aber deutsche Politiker, Wissenschaftler und
Journalisten, von denen ich weiß das Sie Drohungen erhalten haben, wenn man
sich zu intensiv mit der Thematik beschäftigt oder türkische Positionen
kritisiert.
Der türkische Botschafter in Berlin hat ja versucht
Einfluß zu nehmen auf die Lehrpläne, bzw. den Unterrichtsstoff an
Brandenburger Schulen. Brandenburg war ja bisher das einzige Bundesland,
indem der Genozid als historisches Faktum erwähnt wurde. Nach der
Intervention der türkischen Botschaft, wurde dieser Schritt wieder
rückgängig gemacht. Wie beurteilen Sie diese Geschehnisse und was für
Erfahrungen haben Sie mit der Landesregierung in Potsdam diesbezüglich
gemacht?
Ich habe Ministerpräsident Platzek vor einiger Zeit getroffen
und bin Ihm sehr dankbar für sein Engagement. Auf Initiative der
Brandenburger Landesregierung wurde in den Geschichtsbüchern der Völkermord
an den Armeniern erwähnt. Nach der Wahl im vergangenen Jahr wurde dann
plötzlich das Thema aus den Lehrplänen verband. Ich hatte Ministerpräsident
Platzek verdeutlicht, das es 60 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges und
90 Jahre nach dem vollendeten Völkermord an den Armeniern, bedauerlich sei,
sich dem Druck von Außen zu beugen und diese Warnungen der Geschichte, nicht
mehr der jungen Generation, als Unterrichtsstoff zu vermitteln. Der
Ministerpräsident versprach mir darauf hin, das es im Schuljahr 2005/2006
wieder ein Hinweis auf die armenische Katastrophe, d.h. die historischen
Hintergründe die dazu führten, in den Lehrplänen geben wird.
Haben Sie eine Erklärung weshalb, die Armenische Tragödie,
jahrzehntelang international kaum im öffentlichen Bewußtsein verankert
gewesen ist, im Vergleich zu anderen Genoziden, die ein viel stärkeres
internationales Echo ausgelöst haben?
Ein wichtiger Grund liegt in der Tatsache begründet, das die
armenische Nation, jahrzehntelang unter dem Sowjetregime verschwunden war.
Während des Kalten Krieges hatten weder die UdSSR, noch das Natoland Türkei
ein Interesse sich mit der Thematik zu beschäftigen. In der Sowjetunion war
es beispielsweise nicht erwünscht ,dem Genozid zu Gedenken, gleichwohl war
er immer im Bewußtsein der Bevölkerung verankert. Erst mit dem Erreichen
unserer staatlichen Unabhängigkeit, 1992, kam das Thema zurück in die
öffentliche Debatte.
Es war und ist das Verdienst der Diaspora gewesen, die
Erinnerung an das Verbrechen , nicht dem Vergessen zu überlassen und die
Vielfalt und Lebendigkeit, der armenischen Kultur außerhalb des
Heimatlandes, zu erhalten und zu fördern. Menschen wie der französische
Sänger Charles Aznavour, die amerikanische Sängerin Cher oder der
Tennisspieler Andre Agassi, haben auf unterschiedliche Art und Weise, neben
vielen Anderen, dazu beigetragen, das Armenien nicht in Vergessenheit
geraten ist.
Frau Botschafterin, vielen Dank für dieses Gespräch.
hagalil.com 25-04-2005 |