Jad waSchem:
Besuchermarathon zur Museums-Einweihung
Von Ulrich W. Sahm, Jerusalem
Die gewohnten Rufe des Muezzin und das Glockengeläut in
der Heiligen Stadt wurden am Dienstag durch eher ungewohnte Klänge lautstark
übertönt. Während die Menschen auf den leergefegten Straßen spazieren gehen
konnten wie am Versöhnungstag, wenn der gesamte Verkehr in Israel zum
erlahmen kommt, wetteiferten bellende, brüllende, piepsende und
ohrenbetäubend laut tutende Sirenen der blaulichtbestückten Limousinen und
Polizeifahrzeuge miteinander.
Die sonst meistbefahrenen Verkehrsadern von den Luxushotels
King David, Hilton und Inbal zur Holocaustgedenkstätte Yad Vaschem waren
ausgerechnet während der Rush Hour von schwer bewaffneten Grenzschützern
freigemacht worden, damit die Autokolonnen der 60 Staatspräsidenten,
Regierungschefs, Minister, Nobelpreisträger und anderer ausländischer Gäste
in rasendem Tempo rechtzeitig zur Einweihungsfeier gelangen könnten.
Tausende Sicherheitsleute wachten mit Bangen darüber, dass keine
Siedlerextremisten die Anfahrtsstraße nach Yad Vaschem aus Protest gegen den
Rückzug aus Gaza mit brennenden Reifen blockierten. Es gab Hinweise auf
Störmanöver, wie sie am Tag zuvor die Metropole Tel Aviv mit kilometerlangen
Staus lahm legten.
Ehe die Staatsgäste einen ersten Gang durch das neue Museum
machen durften, absolvierten Israels Spitzenpolitiker einen
Besuchermarathon. Allen ausländischen Staatspräsidenten, Regierungschefs und
Außenministern, darunter Joschka Fischer, ist ein persönliches Gespräch mit
Ministerpräsident Ariel Scharon, Außenminister Silvan Schalom oder
alternativ mit Staatspräsident Mosche Katzav zugesichert worden. "Wir baten
die Delegationen, ihren Aufenthalt in Israel auf unsere Kosten um einen Tag
zu verlängern, falls sie aus Termingründen keine Möglichkeit hatten, den
Ministerpräsidenten oder Außenminister zu treffen", sagte ein Sprecher des
Außenministeriums. "Es ist uns wichtig, den Vertretern von vierzig Ländern
unsere politischen Positionen zu erklären." Seit dem Begräbnis des
ermordeten Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin habe es kein derartiges
internationales Solidaritätsbekenntnis zum Staat Israel gegeben.
Joschka Fischer führte politische Gespräche mit
Oppositionspolitikern sowie mit Vizepremier Schimon Peres und Außenminister
Schalom. Wie der Rundfunk meldete, habe Fischer einen fast zinslosen Kredit
in Höhe einer halben Milliarde Euro versprochen, "für die Förderung von
Galiläa und der Negewwüste, um bei der Umsiedlung der Siedler des
Gazastreifens zu helfen und damit auch die Bürger Israels die Früchte des
wieder in Gang kommenden Friedensprozesses mit den Palästinensern sehen
können." Fischer berichtete Schalom von dem deutschen Beschluss, sich der
britischen Initiative anzuschließen, die libanesische Hisbollah auf die
europäische Liste der Terrororganisationen zu setzen. Die pro-syrische
Hisbollah führt Krieg gegen Israel, sie unterhält ein umfangreiches
Sozialsystem im Südlibanon, hat 12 Abgeordnete im Parlament und organisierte
dieser Tage in Beirut Massendemonstrationen gegen den Abzug syrischer
Truppen aus Libanon.
Joschka Fischer wird neben UNO-Generalsekretär Kofi Anan in
den israelischen Medien und Verlautbarungen der Regierung an prominentester
Stelle erwähnt, wenn die offiziellen Gäste zu der Eröffnungszeremonie
aufgezählt werden. So wird nicht nur der Wandel Deutschlands seit 1945
gewürdigt, sondern auch das persönliche Verdienst Fischers. Die Israelis
wissen, dass er nicht zu den so genannten "Schlussstrich-Apologeten" gehört,
sondern sich des dünnen Eises bewusst ist, auf dem Deutschland bis heute
wandelt. Auch die nächsten Generationen in Deutschland werden sich mit "den
schlimmsten Verbrechen der Menschheit, die Deutsche im Namen Deutschlands
gemacht haben", auseinandersetzen müssen. Manche Gesprächspartner Fischers,
wie Oppositionschef Josef Lapid, haben ihre Eltern und den Rest ihrer
Familien in deutschen Vernichtungslagern verloren. Junge Israelis haben ihre
Großeltern, Onkels und Tanten niemals kennen gelernt. Selbst in den
Nachbarländern Deutschlands, in Polen etwa, waren drei von vier
Außenminister, mit denen Fischer in seiner Amtszeit zusammentraf, "von den
Deutschen zur Vernichtung ausgeschrieben, einer, weil er zu den Partisanen
gehörte und drei, weil sie jüdischer Abstammung sind." Der jetzige
Außenminister Jerimek (3) wurde als Dreijähriger von Priestern versteckt.
Von seiner gesamten Familie hat keiner überlebt. Ein deutsches
Delegationsmitglied sagte dazu: "Umgekehrt war kein einziger deutscher
Kanzler oder Außenminister jemals von den Alliierten zur Vernichtung
bestimmt worden."
Heute (Mittwoch) werden die ausländischen Gäste bei einer
weiteren Zeremonie in Yad Vaschem zu Wort kommen. Fischer steht ganz oben
auf der Rednerliste.
hagalil.com
16-03-2005 |