Frankreich:
Propagandadelikte und Auschwitzleugnung im Internet
Von Bernhard Schmid, Paris
Der Jahresbericht der "Nationalen Beratungskommission für
Menschenrechte" (CNCDH) über die Situation des Rassismus und Antisemitismus
in Frankreich notiert für 2004 das Anwachsen eines
"geschichtsrevisionistischen Missionarismus", der vor allem "die schulischen
und universitären Milieus" berührt habe. Dabei lässt sich vor allem an die
wiederholten Skandale an der
Universität
Lyon-III denken, wo man seitens der Hochschulverwaltung aber jetzt wohl
erstmals ernsthaft gegen die Auschwitzleugner (französisch: Negationisten)
vorzugehen beginnt, wie der fünfjährige Ausschluss des
rechtsextremen
Politikers Bruno Gollnisch vom Professorendient wegen Infragestellung
und Relativierung des Holocaust zu belegen scheint.
Ein wichtiger Vektor für die Propaganda der Auschwitzleugner
stellt ferner das Internet dar, dem die CNCDH ein eigenes Kapitel in ihrem
Bericht widmet. Nach wie vor bildet das Internet ein Medium, über das
rassistische, antisemitische und geschichtsrevisionistische Propaganda bzw.
Lügen verbreitet werden.
Dabei stellt man seitens der Antirassismus-Organisation MRAP,
deren Mitglieder Gérard Kerforn und Sylvain Tirreau Co-Autoren des
Rassismusberichts für 2004 sind, jedoch einen Formwandel fest: Die Tendenz
gehe weg von offenen Foren, in denen sich jede/r "auskotzen" und sich
virtuell in den Hass hineinsteigern kann, da die Beteiligten dort zunehmend
Angst vor Emittlungen und Strafverfolgung bekommen hätten. "Die Beteiligung
nimmt ab. Die feigen unter den Rassisten fürchten die strafrechtliche
Sanktion. Es bleibt der harte Kern. Die Internetforen verwandeln sich in
private Diskussionsplattformen, zu denen das Publikum keinen Zugang mehr
hat", mit diesen Worten wird Gérard Kerforn in der linksliberalen Pariser
Tageszeigung 'Libération' (die dem CNCDH-Bericht ihr Titelthema und vier
Seiten widmete) wiedergegeben. Sein Mitstreiter Sylvain Tirreau fügt hinzu,
die wirklichen "Profis" in Sachen Hass würden nunmehr systematisch nach
verstärkter Anonymität suchen: "Sie nehmen ein Pseudonym an und verändern
auch die elektronische Kennziffern an ihrem Computer", um ihre
Identifizierung zu erschweren. Tirreau wird ferner mit den Worten zitiert:
"Internet erlaubt denjenigen, die in kleineren Städten leben, die isoliert
sind, sich (virtuell) zu versammeln. Die Rassisten benutzen Internet allein
zu diesem Zweck." Dabei ließen die Betreffenden "sich weit mehr hinreißen,
als (sie sich) im wirklichen Leben" unter normalen Umständen trauen würden.
Der CNCDH-Jahresbericht 2004 konstatiert, dass die bekannten
Internet-"Bewegung" um "SOS Racaille" ("SOS Gesocks", eine vor allem
anti-arabische rassistische Internetplattform, die um die 10 Webpages
unterhielt) im Niedergang befindlich sei. Ursächlich dafür seien
wahrscheinlich "effiziente Strafverfolgungs-Maßnahmen" geworden. Dagegen
seien die ultrafaschistischen Aktivisten der "identitären Bewegung" (rund um
die seit 2002 verbotene Unité Radicale und ihre Nachfolgeorganisation, den
Bloc identitaire) nach wie vor massiv im Internet präsent.
Seitens derjenigen islamistischen Homepages, auf denen
deutlich antisemitische Propaganda betrieben wird oder wurde, können
ebenfalls Abschaltungen verbucht werden. So musste die in Belgien ansässige
Webpage Assabyle.com mittlerweile vom Netz gehen. Dagegen ist vor allem die
ähnlich ausgerichtete Website von "Qibla" nach wie vor aktiv.
Bei den Geschichtsrevisionisten bzw. Negationisten hat
derzeit die wohl bekannsteste Internetplattform massiven Ärger: Die bisher
in den USA auf drei Webpages beherbergte Plattform "AAARGH" (französische
Abkürzung für: Vereinigung ehemaliger Liebhaber von Holocaust- und
Kriegsgeschichten) stand im Laufe des Monats März 2005 in Frankreich im
Mittelpunkt eines Gerichtsprozess. Die US-amerikanischen Server, bei denen
die u.a. von den bekannten französischen Auschwitzleugnern Serge Thion und
Robert Faurisson genutzte AARGH-Seite untergebracht war, hatten diese nicht
(wie von ihnen gefordert worden war) vom Netz genommen. In Nordamerika
können sie nicht belangt werden, da der Schutz der Meinungsfreiheit durch
die US-Verfassung nach dort herrschendem Rechtsverständnis auch für solchen
Web-Inhalte gilt. Nunmehr waren jedoch diverse in Frankreich ansässige oder
tätige Provider wie France Télécom, T-Online und AOL angeklagt, mit dem
Ziel, sie zum "Filtern" bzw. zum Blockieren des Zugangs zu der einschlägigen
Webpage zu zwingen. Kläger waren insgesamt acht Antirassismus- und
Menschenrechtsvereinigungen. Dies ist in Frankreich seit einem neuen Gesetz
zur Regulierung des Internet vom 21. Juni 2004 rechtlich möglich.
Eine erste gerichtliche Anhörung in Paris dazu fand am 14.
März statt. Die Urteilsverkündung wurde damals auf den vorigen Freitag, 25.
März angesetzt. Momentan ist das Urteil zwar noch nirgendwo publiziert
worden. Tatsache ist aber, dass seit kurzem die Internetadresse
www.aaargh-international.com nicht mehr erreichbar ist.
Jahresbericht:
Rassismus und Antisemitismus in Frankreich
Deutliche Zunahme der Delikte, und der Beteiligung der
extremen Rechten...
Gleichgültig? Unerfahren?
Hilflos?
Antisemitismus und neue Medien
Über antisemitische Hetze in den mittlerweile
nicht mehr ganz so "neuen Medien" wurde im Laufe der letzten 10 Jahre viel
geschrieben, viel diskutiert, viel lamentiert...
hagalil.com 27-03-2005 |