Selten so gelacht:
Antisemitischer Werbespot
Von Markus Ströhlein
Jungle World 7 v.
16.02.2005
Werbung muss sein. Dass die audiovisuelle Animierung zum
Warenkauf auch andere Triebkräfte befördert, musste der israelische
Botschafter in Prag, Arthur Avnon, aus dem tschechischen Fernsehen erfahren.
Mountfield, ein bekanntes tschechisches Unternehmen für Gerätschaften zur
Gartenpflege, hatte sich im Rahmen einer Fernsehwerbekampagne einen
besonderen Spaß erlaubt und einen als orthodoxen Juden verkleideten Komiker
um eine Kettensäge feilschen lassen. Gierig sich die Hände reibend und im
tschechisch-jüdischen Slang der dreißiger Jahre schwadronierend, gelingt es
der Werbespotfigur, das Firmenmaskottchen übers Ohr zu hauen. Der Mann
verlässt den Baumarkt mit der Kettensäge, auf die er 80 Prozent Rabatt
erhandelt hat, wobei er die Zunge herausstreckt.
Dass der Spot zur Zeit der internationalen Gedenkfeierlichkeiten zur
Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz lief, verstörte insbesondere
tschechische Überlebende der Shoah. "In diesen Tagen, an denen wir uns der
schrecklichen Dinge erinnern, die geschehen sind, und an denen wir auf all
das Leid zurückblicken, sollten wir einsehen, dass Witze dieser Art nicht
akzeptabel sind", kommentierte der Auschwitz-Überlebende Oldrich Stransky
aus Prag den Vorgang.
Der Reklamefilm stelle jüdische Menschen auf eine Art und Weise dar, wie die
schlimmsten Antisemiten sie beschreiben würden, als geldgierig,
intervenierte Avnon Mitte Januar mit einer schriftlichen Beschwerde bei dem
Unternehmen. Johanka Lomova, Sprecherin des Prager Forums gegen
Antisemitismus, verurteilte den Spot in einer Presseerklärung, da er
vorhandene Stereotype über Juden affirmiere und legitimiere.
Der Protest war erfolgreich. Mountfield verkürzte die eigentlich bis April
vorgesehene, auf allen vier tschechischen Fernsehsendern geplante Kampagne.
Am 8. Februar lief der Spot zum letzten Mal.
In der sozialistischen Ära der Tschechoslowakei war die Ermordung der
europäischen Juden kein Teil des offiziellen Geschichtsbilds. Im
Geschichtsunterricht wurde Auschwitz als Ort der Shoah nicht explizit
erwähnt. Auch heutzutage wird das Thema im Unterricht nur ansatzweise
behandelt. Deshalb betrachtet Tomas Kraus, der Vorsitzende der Föderation
der Jüdischen Gemeinden in Tschechien, den Werbefilm eher als Produkt von
Ignoranz als von dezidiertem Antisemitismus, ohne den Vorfall verharmlosen
zu wollen, berichtet die Prague Post. Man verfüge über die Erfahrung, dass
diese Stereotype, so lustig sie für die Öffentlichkeit auch sein mögen, in
die Gaskammer führten. Die Shoah habe mit Karikaturen begonnen und mit
Auschwitz geendet, sagte Kraus. Trotzdem sei er sicher, dass es nicht die
Absicht des Unternehmens gewesen sei, Juden zu verunglimpfen.
Ob Unwissen oder falsches Bewusstsein, leugnen lässt sich der antisemitische
Gehalt des Werbespots keinesfalls. Tschechien zur Heimstatt des
Antisemitismus abzustempeln, wäre jedoch falsch. Wie Vertreter jüdischer
Verbände herausstellen, ist die Zahl der antisemitischen Delikte in
Tschechien bislang relativ gering. Im vergangenen Jahr wurden sechs Angriffe
auf Juden und neun Fälle von Schändungen jüdischer Einrichtungen bekannt, so
die Informationen des Forums gegen Antisemitismus. Im Vergleich zu
Deutschland und Frankreich leben Juden in Tschechien also sicher. Relativ
gesehen.
hagalil.com 17-02-2005 |