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Menetekel an der Wand:
Stimmung wie vor dem Rabin-Mord
Seit dem Treffen von Scharm el Scheich ist die Stimmung in Israel
angeheizt. Vor allem Siedler beschimpfen und bedrohen Politiker. Doch die
Regierung will am Gaza-Rückzug und der Gefangenenfreilassung festhalten.
"Schande!", schrien die jungen Leute, Anhänger der radikalen rassistischen
Kach-Bewegung des 1990 ermordeten rechtsextremen Rabbiners Meir Kahane. "Ihr
wollt Juden vertreiben! Ihr wollt sie aus ihren Häusern vertreiben! Schämt
Euch!" Limor Livnat war kreidebleich, als sie Anfang Februar in Tel Aviv von
einer dieser Gruppen angegriffen wurde. Normalerweise ist die israelische
Erziehungsministerin selbstbewusst und nicht so leicht einzuschüchtern. Aber
an diesem Tag wirkte sie erschrocken und verängstigt. Ihren zwei
Leibwächtern gelang es kaum, die aggressiven jungen Männer und Frauen auf
Abstand zu halten, die die Ministerin stießen und anschrien.
Seit dem Treffen zwischen dem israelischen Premier Ariel Scharon und
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas am 8. Februar 2005 gehen radikale
Israelis besonders vehement gegen die Regierungspläne vor. Auf dem Gipfel im
ägyptischen Scharm el Scheich hatten beide Seiten eine Waffenruhe
vereinbart.
Freilassungen und Jericho
Außerdem will Israel voraussichtlich am Dienstag (15.2.) laut
Regierungsangaben die ersten von mehreren hundert palästinensischen
Gefangenen entlassen. Die für Dienstag geplante Übergabe der
Sicherheitskontrolle an die Palästinenser in Jericho wurde jedoch
verschoben. Wie der israelische Armeesender berichtete, traten bei einem
Treffen von Vertretern Israels und der Palästinenser zur Klärung letzter
Einzelheiten am Montagabend Differenzen auf. Berichten zufolge geht es dabei
um die Größe des Gebiets, in dem die Kontrolle an die palästinensische
Polizei übergeben soll, sowie um die Errichtung von Straßensperren durch die
israelische Armee. Beide Seiten hatten die schrittweise Übergabe der
Kontrolle in insgesamt fünf Städten vereinbart.
Der Angriff auf Erziehungsministerin Livnat ist kein Einzelfall. Es werden
bereits Vergleiche zur Stimmung im Land vor dem Mord an Ministerpräsident
Jitzchak Rabin durch einen radikalen Israeli vor zehn Jahren gezogen. Auch
Finanzminister Benjamin Netanjahu wurde Opfer der Wut von Siedlern und ihren
Anhängern. Am Donnerstag (10.2.) wurden die Reifen seiner gepanzerten
Limousine aufgeschlitzt. Er selbst wurde wüst beschimpft.
Drohungen
Am Wochenende traf es Verkehrsminister Meir Shitritt, ebenfalls von der
konservativen Likud-Partei. Ihm drohten die Rechten, dass sie seine Familie
angreifen würden. Shitrit will sich davon jedoch nicht einschüchtern lassen:
"Ich habe keine Angst vor ihnen. Gewalt wird mich nicht einschüchtern. Aber
es muss ein rotes Warnlicht angehen. Denn vor dem Mord an Rabin war es
ähnlich. Es wurde gedroht und dann wurde gemordet. Und auch jetzt wieder
können die Worte zur Kugel werden. Wir sollten das ernst nehmen."
Auch Infrastrukturminister Benjamin Ben Eliezer erhielt einen Drohbrief, in
dem der aus dem Irak stammende Politiker als Nazi und Araberfreund
beschimpft wurde. Ben Eliezer kennt das schon. Vor zehn Jahren war er in
einer ähnlichen Situation. Damals wurde er in seinem Dienstwagen
angegriffen. Die gewalttätigen Demonstranten schüttelten den gepanzerten
Wagen so heftig, dass er fast umfiel. Nur mit knapper Not gelang es seinem
Fahrer damals, den Minister unverletzt zu retten.
In der Kabinettssitzung habe er damals gewarnt, erinnert sich Ben Eliezer:
"Ich habe gesagt, 'Freunde, dies sind die ersten Anzeichen. Von hier aus ist
es nicht mehr weit, bis der Ministerpräsident ermordet wird.' Ich nehme das
nicht auf die leichte Schulter."
Böse Erinnerungen
Eitan Haber, vor zehn Jahren Berater und enger Freund von Ministerpräsident
Rabin, erinnert sich ebenfalls an die aufgeheizte Stimmung vor dem Mord. Als
Rabin immer wieder Nazi genannt und auch tätlich von rechten Demonstranten
angegriffen wurde. "Wir haben das Menetekel an der Wand nicht sehen wollen",
sagt Haber heute.
Vor allem die Siedlerbewegung macht Stimmung gegen die Politik von
Ministerpräsident Scharon. Chagai Segal ist ein religiöser Journalist, der
selbst in einer Siedlung im Westjordanland lebt. Er wehrt sich gegen die
Vergleiche mit der Zeit vor zehn Jahren. Auf diese Weise würden die Gegner
Scharons kriminalisiert: "Ich habe das Gefühl, dass jemand diese
Randerscheinungen ausnützt, um die Demokratie so lange einzufrieren, bis der
Rückzug vorbei ist. Nicht nur die Politiker brauchen besseren Schutz, auch
die Redefreiheit braucht besseren Schutz. Denn es gibt jemanden, der
versucht uns den Mund zu stopfen, und dieser jemand sitzt im Büro des
Ministerpräsidenten."
Am Tag nach dem Gipfel von Scharm el Scheich tauchten in Tel Aviv
Schmierparolen an den Wänden auf. Darauf stand: "Rabin wartet auf Dich,
Scharon."
Bettina Marx, Tel Aviv,
http://www.dw-world.de
hagalil.com
15-02-2005 |
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