Rassistischer Mord an Roma:
Selektives Gedenken
Zum zehnten Mal jährt sich in Österreich
ein Bombenattentat, bei dem vier Roma ums Leben kamen. Im offiziellen
Gedenkkalender 2005 findet dieser Jahrestag jedoch keinen Platz.
Von Heribert Schiedel, Wien
Jungle World 5 v.
02.02.2005
Österreich feiert im "Gedankenjahr" 2005 gleich mehrere
Jubiläen: 60 Jahre Zweite Republik, 50 Jahre Staatsvertrag und zehn Jahre
EU-Mitgliedschaft. Zwei Ereignisse, die sich heuer zum 40. beziehungsweise
zehnten Mal jähren, fanden jedoch keinen Eingang in den offiziellen
Kalender: die Ermordung des Spanienkämpfers und KZ-Überlebenden Ernst
Kirchweger am 31. März 1965 und der Sprengstoffanschlag auf österreichische
Roma am 4. Februar 1995.
In der Nacht vom 4. zum 5. Februar 1995 riss eine heimtückische Sprengfalle
am Rand der burgenländischen Kleinstadt Oberwart vier Roma – Peter Sarközi,
Josef Simon, Karl und Erwin Horwath – in den Tod. Zu diesem rassistischen
Mord bekannte sich die neonazistische Gruppe Bajuwarische Befreiungsarmee
(BBA), die bereits seit Ende 1993 das Land in Atem hielt mit
Briefbombenanschlägen gegen MigrantInnen und AktivistInnen, die sich kurz
davor gegen ein von der FPÖ gestartetes Volksbegehren für die Verschärfung
des österreichischen Migrationsregimes engagiert hatten. Wie oft in Fällen
rechtsextremistischen Terrors warteten die Behörden zwei Jahre später mit
einem Einzeltäter auf: 1997 wurde Franz Fuchs unweit seines Wohnortes in der
steirischen Grenzregion verhaftet. Nach seiner Verurteilung zu lebenslanger
Haft erhängte sich Fuchs Anfang 2000 in seiner Zelle. Niemand wollte ihm
damals ein politisches Motiv attestieren: Der damalige SPÖ-Innenminister
Schlögl beschrieb ihn als "schwer kranken Psychopathen", die Neue Kronen
Zeitung als "Sonderling" und "einsamen Wolf".
Die BBA hatte damals unter dem Motto »Wir wehren uns!« ihren
Kampf gegen eine angeblich drohende »Überfremdung« aufgenommen. Damit machte
sie sich zur terroristischen Avantgarde einer rechtsextremen Bewegung, die
ihren Bezugspunkt in der FPÖ hatte. Deren Anfang 1993 mit der Losung
"Österreich zuerst!" abgehaltenes Volksverhetzungsbegehren bezeichnete ein
später vom Verdacht einer Mitgliedschaft in der BBA freigesprochener Neonazi
als »einzige Alternative, die uns hier in diesem jüdisch-freimaurerischen
Verbrechersystem legalistisch noch offen bleibt«. Ähnlich sahen
Neonazi-Blätter das Volksbegehren als letzte Möglichkeit, sich der
"Überfremdung mit demokratischen Mitteln" zu erwehren. Nach dem Scheitern
des Volksbegehrens wegen der geringen Wahlbeteiligung – das der FPÖ zufolge
dem "linken Meinungsterror" zu verdanken war – griff die BBA dann zu anderen
Mitteln, um sich gegen die "Überfremdung" zu wehren. Die Gesamtbilanz ihres
rassistischen Terrors waren die vier oben genannten Toten und zwölf zum Teil
Schwerverletzte.
Die vier ermordeten Roma waren jedoch nicht die ersten Opfer
rechtsextremer Gewalt in Österreich. Bereits 1965, bei einer Demonstration
gegen den von der damaligen Führung der ÖVP gedeckten Nazi-Professor Taras
Borodajkewycz, kam es zu einem Angriff von Neonazis, bei dem der Kommunist
Ernst Kirchweger ermordet wurde. "Notwehrüberschreitung" nannte das damals
die nachsichtige Justiz, die von Gesinnungsgenossen des Totschlägers
durchsetzt war.
Erst der Mordanschlag gegen die Roma in Oberwart ließ jedoch
das Trugbild Österreichs als "Insel der Seligen" platzen. Um so rascher
waren Politiker mit Selbstvergewisserungen zur Hand. Der damalige
Bundespräsident Klestil etwa weigerte sich, den Anschlag als Zeichen für den
Gesamtzustand der österreichischen Politik anzunehmen: "Das sind einzelne,
vielleicht Gruppen von Kriminellen, aber das ist nicht Ausdruck der
allgemeinen Haltung der Österreicher." Wie vereinzelt der Vernichtungswunsch
tatsächlich war, zeigte sich jedoch kurz nach dem Anschlag in Wels. Als dort
beim Faschingsumzug eine Gruppe von Menschen, die als "Zigeuner" verkleidet
waren, an der Festbühne vorbeizog, scherzte der Moderator unterm Gejohle des
Mob: "Bitte jetzt keine Bomben werfen!"
Über die "allgemeine Haltung" in diesem Land gegenüber Roma
und Sinti gibt auch die Tatsache Auskunft, dass die Zeitschrift Aula, welche
die Ermittler als Stichwortgeberin für den rechtsextremen Terror
identifiziert hatten, bis Mitte der neunziger Jahre mit staatlichen Geldern
subventioniert wurde. Und die Partei, die dieses rechtsextreme Blatt als ihr
Vorfeldorgan bezeichnet, sitzt seit Februar 2000 in der Regierung. Ihr
damaliger Obmann Jörg Haider erklärte unmittelbar nach den Anschlägen die
Ermordeten zu Opfern einer Fehde im kriminellen Milieu. Später musste er
dies jedoch zurücknehmen und sich bei den Angehörigen entschuldigen.
Ähnlich waren auch die Reaktionen der FPÖ auf die Schändung
des jüdischen Friedhofes in Eisenstadt 1992, die im Zuge der Ermittlungen zu
den Morden von Oberwart aufgeklärt werden konnte: Dabei, so die FPÖ, handle
es sich um eine Tat von "Linken", die damit der Partei schaden wollten.
Tatsächlich waren es jedoch zwei freiheitliche Jungkader, die mit der
Schändung ihrem Idol Haider einen "arischen Gruß" zukommen lassen wollten.
Durch ihre staatliche Anerkennung als "Volksgruppe" wurden
Roma und Sinti 1993 zwar Kollektivrechte zuerkannt und quasi unter
"Artenschutz" gestellt. An ihrem sozialen Status am Rande der Gesellschaft
änderte sich jedoch kaum etwas. Die Roma-Siedlung am Oberwarter Ortsrand,
die heute mehr als 90 Bewohner zählt, wurde nach den Anschlägen
medienwirksam von öffentlicher Hand saniert. Erst vor einigen Wochen stellte
jedoch das Wirtschaftsministerium seine Zahlungen für ein Projekt für die
Schaffung von Arbeitsplätzen für burgenländische Roma ein. Wegen der
anhaltenden Diskriminierung waren bei der Volkszählung 2001 von den
geschätzten 20 000 österreichischen Roma und Sinti gerade mal 6 300 Personen
bereit, sich als solche zu bekennen.
Auch als NS-Opfer hatten Roma und Sinti lange Zeit um
Anerkennung zu kämpfen: Erst 1988 wurde den Menschen, die während der
Nazizeit im "Zigeunerlager" Lackenbach inhaftiert worden waren, der
Opferstatus zuerkannt. Von rund 11 000 österreichischen Roma und Sinti
überlebten gerade 1 500 die NS-Barbarei. Während sie und ihre Nachkommen
nach 1945 von der rasch neu errichteten "Gemeinschaft des Volkes"
ausgeschlossen blieben, konnten die Täter in ihr aufgenommen werden. So etwa
Tobias Portschy, der als Verfasser einer "Zigeuner-Denkschrift" am
Todesurteil für diese Menschen mitschrieb. Der stellvertretende Gauleiter im
Burgenland und SS-Offizier wurde zwar 1949 zu 15 Jahren Haft verurteilt,
1951 war er aber schon auf freiem Fuß. Danach betätigte er sich in
Organisationen wie dem Kameradschaftsbund, dem Verband der Unabhängigen und
der aus diesem hervorgegangenen FPÖ weiter. Also in der Partei, die das
"Gedankenjahr" für die Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik auf den
Regierungsbänken begeht.
Beispielhaft für den Charakter der Gedanken, die heuer
öffentlich gewälzt werden, erscheint eine Wortmeldung des
Nationalratspräsidenten Andreas Khol (ÖVP): Er ehrte die Alt-Nazis, die sich
ab 1948 im Verband der Unabhängigen sammelten. Ihnen gebührt nach
vollbrachtem Vernichtungswerk offenbar der Dank der Republik für ihre
Beteiligung am Wiederaufbau.
hagalil.com 04-02-2005 |