Von Ulrich W. Sahm
Mit bemerkenswerter Leichtigkeit bewältigt Bundespräsident
Horst Köhler seinen schweren Gang durch Israel. Aufrichtig war sein
Erschrecken in Jad Vaschem, wo ihm alle Schrecken der Schoah noch einmal
vorgeführt wurden. Vor einer Woche ist er ihnen in Auschwitz begegnet. Eine
Träne in den Augen überzeugt die Israelis: "Dieser Mann ist aufrichtig und
meint es ernst mit dem Gedenken an die Vergangenheit als Grundlage für die
Zukunft", hieß es am frühen Morgen im Rundfunk.
"Am bemerkenswertesten war für mich, dass Sie mich einen echten
Freund nannten", sagte Köhler bei dem feierlichen Staatsbankett im
Präsidentenpalais unter Chagall-Fenstern. "Ich danke ihnen dafür, dass Sie
die Ereignisse im Landtag von Sachsen angesprochen haben", fügte Köhler
hinzu, vom Blatt aufschauend, an seinen Gastgeber, den Staatspräsidenten
Mosche Katzav gerichtet. "Auch ich bin besorgt. Ich glaube dass unsere
Demokratie stabil ist. Aber wir müssen dagegen angehen."
Ohne jede Mühe und einfühlsam geht er auf die Worte seines
israelischen Amtskollegen vor hundert geladenen Gästen ein. Katzav redet
ohne diplomatische Schminke über die Vergangenheit. Er bringt israelische
Ängste zum Ausdruck, indem er daran erinnert, dass Deutschland vor dem
Zweiten Weltkrieg das "fortschrittlichste Land der Welt war". Ausgerechnet
von dort ging der "schlimmste Völkermord der Menschheitsgeschichte aus".
Weiter sagte Katzav: "Wir fürchten uns vor dem Antisemitismus und vor einem
falschen Verhalten der Jugend angesichts der Vergangenheit." Den
Bundespräsidenten direkt in die Verantwortung ziehend, sagte Katzav weiter
auf Hebräisch: "Wir erlauben uns zu fordern, dass in Deutschland keine
neonazistische Philosophien verkündet werden dürfen. Wir sind gewiss, dass
Deutschland es fertig bringt, damit umzugehen, mit neuen Gesetzen, mit der
Umsetzung von bestehenden Gesetzen und mit Erziehung." Kurz ging Katzav auf
die gegenwärtige Politik im Nahen Osten ein. Israel habe seit Unterzeichnung
der Osloer Verträge mit den Palästinensern mehr zivile Tote erlitten, als in
den vierzig Jahren davor. Aber Katzav ist optimistisch gestimmt: "Ich glaube
an den neuen Vorsitzenden der Autonomiebehörde."
Der in Deutschland mit einem gewissen Bangen erwartete
Höhepunkt der Israel-Reise Köhlers war die in deutscher Sprache gehaltene
Rede vor der Knesset. "Ich kaufe mir kein
deutsches Auto. Ich weiß auch warum, aber mache kein großes Aufsehen daraus.
Es ist falsch, das politische für eine Kontroverse auszubeuten", kritisierte
eine alte Dame den Wirbel, den drei Abgeordnete in Deutschland ausgelöst
hatten.
Der Knessetvorsitzende Rubi Rivlin, temperamentvoll wie immer,
begrüßte das deutsche Staatsoberhaupt mit polternden Worten. "Vor 53 Jahren,
es ist als wäre es gestern, stand ich als Jerusalemer Kind in einer
aufgeregten Menge vor der Knesset, um mit blutendem Herzen gegen das
Wiedergutmachungsabkommen zu schreien." Der Vertrag war eine herzzerreißende
historische Entscheidung, in unseren Augen eine Entweihung des Heiligen.
Vorwurfsvoll sagt er weiter: "Das neue wiedervereinigte Deutschland gleicht
schon lange nicht mehr jenem Westdeutschland, das Legitimierung und
Rehabilitierung suchte und das, gereinigt von allen Sünden, wieder in die
Völkergemeinschaft aufgenommen werden wollte."
Aus ganz Europa höre Israel schiefe und allzu bekannte Töne.
"Wieder hören wir die Schlagworte. Wieder wird attackiert, überfallen und
verbrannt". Die Sprüche kämen nicht vom Pöbel sondern vom Herzen des
Parlamentarismus. Wieder gäbe es jene Verschwörungstheorien, die Deutschland
als "Opfer" darstellen. Rivlin schloß mit den Worten: "Ausgerechnet vom
Präsidenten Deutschlands, ausgerechnet in deutscher Sprache kommt noch
klarer, noch schärfer und noch überzeugender die völlige Ablehnung des
Antisemitismus und der Schwur, gegen den Antisemitismus und die Neonazis
anzukämpfen."
Ministerpräsident Ariel Scharon hob die deutsche "humanitäre"
Hilfe hervor, vor allem im Libanon gefangene und verschollene Soldaten nach
Israel zu bringen. Oppositionschef Tommy Lapid, einer der wenigen
Holocaustüberlebenden in der Knesset, erwähnte seinen in Mauthausen
ermordeten und seine in Auschwitz "durch die Krematorien aufgestiegene"
Großmutter. "Sie würden es mir nicht verzeihen, wenn ich den Deutschen
verzeihen würde, was sie dem jüdischen Volk angetan haben."
Köhler beschrieb mit eindringlichen Worten seine jetzige Reise:
von Auschwitz über Berlin nach Israel. Für ihn war es eine persönliche Reise
in die Vergangenheit. Wie ein Arbeitsprogramm setzte er die Prioritäten für
die Zukunft. An erster Stelle kommt für ihn die Begegnung der Jugendlichen,
denn "die jungen Menschen von heute werden darüber entscheiden, welchen Weg
die deutsch-israelischen Beziehungen in der Zukunft nehmen werden". Als
nächstes setzt er sich für die Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen und
eine Vertiefung der wissenschaftlichen Kooperation ein: "Ich sehe in Israel
einen Partner, mit dem wir Werte und Interessen gemeinsam haben." Kurz
beschreibt er die schreckliche Wirklichkeit der letzten Jahre aus
israelischer Sicht: "Der Terror muss ein Ende haben. Selbstmordattentate
sind Verbrechen, für die es keine Rechtfertigung oder Entschuldigung gibt."
Köhler weiß: "Eine Lösung dieses tragischen Konflikts wird denen, die den
Mut haben, Frieden zu schließen, alles abverlangen." Den Völkern im Nahen
Osten rät er, sich an Europa ein Vorbild zu nehmen. "In diesem Nahen Osten
muss es sichere Grenzen geben. Grenzen, die durchlässig werden durch
Versöhnung."