Bonn (ots) - Der Fernsehmoderator und
frühere stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden in
Deutschland, Michel Friedman, beklagt die „Enttabuisierung von
antisemitischem Verhalten“ in Deutschland.
In der PHOENIX-Sendung „Im Dialog“
(Ausstrahlung: Freitag, 21 Uhr) sagte er, in den vergangenen Jahrzehnten sei
die Zahl und die Aggressivität derjenigen, die Juden hassen, nicht
zurückgegangen. „Ich lebe seit 40 Jahren in Deutschland und ich glaube, dass
in diesen 40 Jahren die Situation schlechter geworden ist“, so Friedmann.
Die Gefahr, die nicht nur für die Minderheiten sondern für die gesamte
Gesellschaft aus dem Antisemitismus entstehe, werde nicht ernst genug
genommen.
„Die scheinbare Hilflosigkeit, mit der
wir uns dauernd exkulpieren, ist nur ein Ausdruck dessen, dass wir uns nicht
genug anstrengen wollen“, so der TV-Moderator. „Was wir jetzt erleben, ist
eine substanzielle Identitätskrise eines Teils unserer Gesellschaft.“ Die
öffentliche Empörung über das Verhalten der NPD in Sachsen befriedige ihn
nicht, „weil es diese öffentliche Empörung immer wieder dann gibt, wenn ein
so genannter Eklat oder eine ganz bestimmte besondere Situation entstanden
ist.“ Wenn sich jeder fünfte Mensch in einer Gesellschaft dazu bekenne,
antisemitische oder rassistische Vorurteile zu haben, so sei dies „eine
Krankheit in einer Gesellschaft, ein Krebsgeschwür, das die ganze
Gesellschaft erfassen kann“.
Über seine persönliche Situation sagte
Friedman, er wünsche sich, „nicht etwas Außerordentliches, Besonderes oder
Aufmerksamkeit Bringendes zu sein, weil ich Jude bin.“ In Deutschland sei es
aber nach wie vor nicht der Fall, dass Juden in den Alltag integriert
empfunden würden wie etwa Christen. Er habe sich „sehr gefreut“, dass seine
Frau, die TV-Moderatorin Bärbel Schäfer, zum Judentum konvertiert sei. „Aber
es war nie eine Bedingung für unsere Liebe, geschweige denn für unsere Ehe.“
Er selbst käme „nie auf die Idee, andere Menschen zu missionieren, sie zum
Konvertieren zu nötigen oder zu überzeugen.“
Auf die Frage, ob er sich als religiösen
Menschen sehe, sagte Friedman: „Ich bin, wenn Sie meinen Rabbiner fragen
würden, für ihn noch lange nicht dort angekommen, wo er gerne einen
religiösen Juden sehen würde. Aber ich bin ein Mensch, der sich mit Gott
auseinander setzt. Manchmal bin ich ihm näher, manchmal bin ich ihm sehr
weit entfernt.“