Raab entschuldigt sich für Witze über
Bombardierung Dresdens
oder: Was wir den Toten des Bombenkriegs schuldig sind
Von Matthias Fischer
Da ich neben meinem Computer mit Internetzugang keine
televisive Verbindung in die Ferne besitze, mit der ich etwa Shows wie das
von Stefan Raab moderierte "TV total" verfolgen könnte, stütze ich mich mit
meinen nachfolgenden Zitaten gänzlich auf einen Bericht von SPIEGEL Online
vom 3. Februar 2005. Jenem zu Folge machte der TV-Moderator in seiner
Sendung "geistlose Bemerkungen" über den Bombenangriff vom 13. und 14.
Februar 1945 auf Dresden, bei dem rund 35.000 Zivilisten ums Leben kamen.
Raabs satirische Bemerkung während der Sendung "TV total"
lauteten demnach: "Sachsen ist so beliebt, dass einmal 1.000 Engländer zu
Besuch gekommen sind." – Gemeint sind damit die Besatzungen der
Bombergeschwader, welche vor 60 Jahren die Stadt an der Elbe in Schutt und
Asche legten.
Wie SPIEGEL Online weiter berichtet, legte Sachsens
Ministerpräsident Georg Milbrandt (CDU) daraufhin schriftlichen Protest ein.
Er sehe durch Raabs Äußerungen "die Opfer der Luftangriffe auf Dresden
verhöhnt." In einem Brief an den Vorstandsvorsitzenden der ProSiebenSat.1
AG, Guillaume de Posch, habe Milbrandt laut SPIEGEL Online geschrieben:
"Kein Dresdner, kein Sachse und kein Deutscher hat für diese bodenlose
Geschmacklosigkeit Verständnis." Milbrandt habe eine Entschuldigung
gefordert, die, so die Internetausgabe des Hamburger Magazins, dann auch in
einer entsprechenden Erklärung Raabs erfolgte. Der habe darin klargestellt,
dass "es der Redaktion von "TV total" fern lag, die Opfer zu verhöhnen."
Anders habe ich den Scherz von Stefan Raab denn auch nicht
aufgefasst, und deshalb gibt es – abweichend von der Annahme des Herrn
Milbrandt, dessen Parteikollegen in der Dresdener Landtagsfraktion wohl
schon mehr als einmal gemeinsam mit den inzwischen dort vertretenen (Neo-)
Nazis abstimmten – zumindest einen Deutschen, den die Worte Raabs für einen
sarkastischen Augenblick lang zum Lächeln brachten.
Übrigens: In einem meiner ersten Gedanken, nachdem die (Neo-)
Nazis in die Landtage zu Dresden und Potsdam eingezogen waren, versicherte
ich mich gewisser Maßen geistig erst einmal wieder der Tatsache, dass Russen
und Amerikaner noch immer ihre Keller voller Atomraketen haben. – Die kämen
allerdings, wenn die Mehrheit der Menschen in Sachsen, Brandenburg und
Deutschland den Absichten und Methoden der Rechtsradikalen weiterhin
schweigend oder gar heimlich Beifall zollend Vorschub leistet, irgendwann
einmal unbemannt.
Noch bin ich jedoch guter Hoffnung, dass eine Mehrheit der
Deutschen den bundesweiten Einstieg in die Macht und die endgültige
Legitimierung rechtsradikaler Parteien zu verhindern weiß. Oder zumindest
die Exekutive unserer Republik.
Herrn Raab kenne ich im übrigen nicht persönlich, und ich kenne
auch nicht die Beweggründe, welche ihn zu seiner Pointe veranlasst haben
mögen. Dennoch unterstelle ich ihm, dass er die Opfer des Bombenkriegs nicht
einfach um des Spektakels Willen verhöhnen wollte. Woher ich solcherlei
Naivität nehme? Nun, manchmal bleibt einem nicht anderes übrig, als auf den
eigenen Bauch zu hören, und der sagt mir im vorliegenden Fall, dass man, um
die Opfer irgendwelcher Gewalt zu vehöhnen, schon ziemlich dumm sein muss.
Menschen die sich in solcher Art öffentlich bekunden, finden sich
üblicherweise in und um bestimmte Parteien am rechten Rand der Gesellschaft
geschart, besonders um solche, welche die Gräuel der Schoah und des Zweiten
Weltkriegs gerne relativieren. Diejenigen aber, welche nicht wie Herr Apfel
und Herr Wiese am rechten Rand des politischen Spektrums öffentlich werden,
sondern die vielmehr in der breiten Mitte unserer Gesellschaft angesiedelt
sind, und die dennoch mit Positionen der Rechtsradikalen sympathisieren,
drücken nach alter deutscher Manier vorerst nur hinter vorgezogenen Gardinen
ihre Daumen.
Aus welchen Beweggründen auch immer, Raab sprach öffentlich
eine – durchaus beißende – Kritik an einer immer salonfähiger werdenden
"Neuen Sorglosigkeit" aus, wie Henryk Broder sie vor kurzem nannte, indem er
den Menschen die neudeutsche Unbeschwertheit einfach in ihre Wohnzimmer
zurückreflektierte. Und Kritik an den (Neo-) Nazis, die vor kurzem noch im
Dresdener Landtag die Opfer der Nationalsozialisten verhöhnten, waren die
Worte des Herrn Raab zumindest im Ergebnis wohl allemal.
Wer also Ohren hat, der höre.
Außerdem, um wen sorgt sich Herr Milbrandt so sehr – um die
Opfer der Bombenangriffe oder um seine Klientel am rechten Rand der
sächsischen CDU und der gesamtdeutschen CDU/CSU, die ihm gänzlich in die
Arme der rechtsradikalen Parteien davonschwimmen könnten, wenn er sich nicht
inzwischen etwas angepasster an die Erwartungen dieser "patriotischen"
Klientel darstellt – etwa nach dem Motto: Was Recht ist, ist Recht...
Tja, Patriotismus in Deutschland – was ist das, und was ist er
besser nicht? Die Frage ist alt, sehr alt. Sie ist der Deutschen Lied,
welches zu singen schon Heinrich Heine sich gezwungen sah.
Doch zurück zu den Toten – allen voran den zivilen Toten – der
alliierten Bombenangriffe auf Dresden und Hamburg und Köln und Berlin und
...
Um sie – Greise, Frauen, Kinder – geht es doch in dieser in Deutschland
entbrannten Diskussion eigentlich, oder mit anderen Worten: Wenn hier schon
eine Diskussion losgetreten wird, und das sollte in einer Demokratie
durchaus möglich sein, dann sollte es uns zumindest um genau diese Menschen
gehen.
Da fällt mir denn auch sofort eine Anekdote aus der Endphase
des Zweiten Weltkriegs ein, welche mir von einer Deutschen erzählt wurde,
die den Krieg als Heranwachsende und junge Frau selbst miterlebt hatte.
Neunzehnjährig, war sie zur Luftwaffe eingezogen worden. Ihr
Einsatzort war der Beobachtungsposten bei Raisting südlich des Ammersees.
Aufgabe des Postens war es, die Kommandostellen des Luftschutzes und der
Flugabwehr zu alarmieren, sobald allierte Bomber sich mit Kurs auf München
näherten, das im Hinterland weitgehend ungeschützt dalag.
Solch ein Alarm sollte denn auch nicht lange auf sich warten
lassen. Am 12. Juli 1944 flogen die Alliierten schwerste Bombardements gegen
München. Als die junge Luftwaffenhelferin Erna Kalmbach wenig später in die
Stadt kam, lagen große Teile Münchens, darunter der Hauptbahnhof, in
Trümmern.
Irgendwo auf dem Gelände des Hauptbahnhofs befand sich ein
Abtritt, der auch nach dem Bombardement noch intakt war. An dessen Tür hatte
ein Mensch gekritzelt, dem offensichtlich Humor und politischer Scharfsinn
über all die Jahre des Krieges und der Diktatur nicht gänzlich abhanden
gekommen waren: "Würde Göring nicht Mayer heißen, könnt' ich hier sitzen und
weitersch..."
Reichsfeldmarschall Hermann Göring, einstmals durchaus ein
Befürworter des Terrorangriffs auf Großstädte aus der Luft, hatte einmal in
seiner üblichen großspurigen Art erklärt, er wolle lieber Mayer heißen, wenn
auch nur ein feindliches Flugzeug jemals Deutschland überfliege. Und nun war
es schon längst so weit, die Alliierten "coventrierten" eine deutsche
Großstadt nach der andern – übrigens ein Begriff, der ebenfalls aus dem
Göringschen Wortschatz stammt.
Diejenigen im Dresdener Landtag und in unserer Gesellschaft,
die so gerne vergleichen, etwa die Schoah, von deutscher Hand geplant und
exekutiert, welche Millionen unschuldige Opfer forderte, mit dem Bombenkrieg
der Alliierten gegen Deutschland und Japan, welcher mehrere Hundertausend
unschuldige Opfer kostete, mögen also auch bitte konsequent weiter
vergleichen: Die Deutschen hatten Warschau, Coventry, Minsk, Stalingrad usw.
zuerst dem Erdboden gleich gemacht – die Alliierten Hamburg, Köln, Dresden,
München und Königsberg dann. Indem der Bombenterror sich Deutschland
zuwandte, kehrte er auf das Gebiet zurück, von dem er wenige Jahre zuvor auf
Menschen verachtende Weise ausgegangen war – nicht weniger, aber auch nicht
mehr.
Die Vergleicher mögen einwerfen: Welchen militärischen Sinn
machte es, noch in den letzten Kriegsmonaten ganze Großstädte auszulöschen?
Sie müssen sich dann aber auch fragen lassen: Wozu führten die Deutschen
Krieg und Massenmord fort bis zur letzten Patrone? Warum mussten in den
letzten Monaten des Kriegs, etwa an Weihnachten 1944, noch einmal Menschen
auf die "entscheidende Kriegswende im Westen", auf "Wunderwaffen" und
"Endsieg" eingeschworen werden? Warum mussten danach Millionen von Menschen
– Zivilisten, KZ-Häftlinge, Soldaten – noch einen sinnlosen Tod sterben, bis
Deutschland und Europa am 8. Mai 1945 endgültig befreit waren? Warum war die
deutsche Generalität so feige und verbohrt, dass sie nicht früher, viel
früher, dem Treiben der Nazis ein Ende setze, indem sie in Deutschland die
Macht übernahm und die Voraussetzungen für einen Frieden mit den
Westalliierten und der Sowjetunion schuf? Die Mannschaften und Waffen dafür
hätte sie gehabt.
Es ist mir klar: Die berufsmäßigen Leugner, Vergleicher und
Verharmloser werden vernünftigen Argumenten auch in der Zukunft nicht
zugänglich sein. Warum auch? Aber ich denke, wir schulden es – unter anderen
– den Toten der Bombenangriffe, die richtigen Verhältnisse herzustellen, und
die Urheber jenes Grauens zu nennen: die Nationalsozialisten, ihre Generäle
und Wirtschaftsführer, im Namen des deutschen Volks.
Nicht ihnen, sondern vielmehr allen Opfern des
nationalsozialistischen Wahns – und damit auch den Bombentoten – gelte in
diesem Sinne unser "Requiescant in pace".
Und je mehr Deutschlands Anständige handeln, desto ruhiger werden die Opfer
ruhen.