Von Max Brym
Wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit
Beleidigung und Hausfriedensbruch wurde am Montag den 17.01.05 ein
40-jähriger Ingenieur vom Rosenheimer Amtsgericht zu einer Geldstrafe von
110 Tagessätzen zu 45 Euro plus Übernahme der Verfahrenskosten verurteilt.
In ihrer Urteilsbegründung hielt Richterin Katharina Honsell dem Angeklagten
zugute, dass er sich "möglicherweise als Jude in Deutschland verfolgt
fühle". Dieser Strafmilderungsgrund ist in zweierlei Hinsicht paradox: Damit
wird die Behauptung aufgestellt, dass es in Deutschland keinen
Antisemitismus gäbe und es höchstens eine "jüdische Narretei" sei, sich so
etwas laufend einzubilden.
Auch der Staatsanwalt deutete bezüglich des Angeklagten an, "er
hätte wohl einen leichten Komplex in dieser Frage". Damit hat das
Rosenheimer Amtsgericht jegliche bundesdeutsche Realität ausgeblendet. Die
steigende Zahl antisemitischer Straftaten und die Zunahme antisemitischer
Meinungen in Deutschland ist an dem Gericht in Rosenheim wohl vorbei
gegangen. Näher liegt die Vermutung, dass diese Tatsachen bewusst
ausgeblendet wurden.
Das Verfahren
Im März 2004 hatte der Angeklagte mit einem Zahnarzt einen
Streit wegen einer "Kassenärztlichen Bescheinigung" bezüglich einer
Paradontosebehandlung. Im Rahmen der ersten Auseinandersetzung zwischen
Patient und Arzt soll der Zahnarzt nach Angaben des Angeklagten gesagt
haben: "Suchen Sie sich einen anderen Arzt, sie können ja nicht mal richtig
deutsch". Daraufhin hat der Angeklagte "den Herrn Doktor einen Rassisten
genannt". Der Angeklagte erläutert weiter, hierauf folgend "schubste mich
der Kläger, was ich mir nicht einfach so gefallen ließ". Die Richterin wies
darauf hin, dass nach ihrer Meinung "der Vorwurf des Klägers, wenn er denn
so gemacht wurde, keine Beleidigung darstelle, aber die Bezeichnung Rassist
ist eine Beleidigung."
Auf der Straße viel dem Beklagten ein, dass er noch eine Kopie
der 10-Euro-Gebühr benötige und er begab sich wieder in die Arztpraxis. Dort
soll nach Aussage des Beklagten der Arzt ihm eine Kopie gemacht haben und
ihn mit dem Wort "Judenbande" beleidigt haben. Richterin Honsell bemerkte
hierzu: "Ich bin mir nicht sicher, ob die Bezeichnung "Judenbande" eine
Beleidigung darstellt." Weiter war von einem neuerlich erregten Wortwechsel
und körperlichen Auseinandersetzungen in der Praxis des Klägers die Rede.
Der Angeklagte soll dem Arzt mit einer Beschwerde bei der "Kassenärztlichen
Vereinigung" gedroht haben. Später hat der Zahnarzt den Angeklagten nochmals
in seine Praxis gebeten um wie er sagte "den Streit zu beenden". Dabei kam
es wieder zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen.
Der Arzt und seine Assistentin
Der Arzt schilderte in seiner Einlassung die Vorgänge gänzlich
anders als der Angeklagte. Der Herr Doktor meinte den Patienten nur "als
unangenehm empfunden zu haben". An rassistische Sprüche von eigener Seite
könne er sich nicht erinnern. Er gestand aber zu, dem Angeklagten empfohlen
zu haben, "sich ein anderes Land zu suchen, wenn es ihm in Deutschland nicht
gefalle." Von der Aggressivität des Angeklagten sei er überrascht gewesen,
vor allem von der Argumentation des Angeklagten: "Ihr Deutschen habt meine
Verwandten vergast". Die Angestellte des Zahnarztes bestätigte im
wesentlichen die Argumentation ihres Brötchengebers. Allerdings ergaben sich
zeitliche und räumliche Differenzen zur Aussage des Arztes. (Wer war wann
wo, wer hat wie geschlagen usw.)
Ein zweifelhaftes Urteil
Verteidiger Christian Wachter plädierte auf "Freispruch", denn
die Aussagen des Klägers und "der Zeugin der Zahnarzthelferin passen nicht
zusammen". Nach den Worten des Verteidigers seien "die Einlassungen (s)eines
Mandanten nicht widerlegt worden". Der Angeklagte sagte in seinem
Schlusswort: "Ich bilde mir den Antisemitismus nicht ein, ich halte an
meiner Darstellung fest und nebenbei bemerkt machte ich den Kläger nicht für
den Tod meiner Verwandten verantwortlich, denn er ist noch weit unter dem
80-zigstem Lebensjahr". Dennoch verurteilte das Gericht den Angeklagten
relativ hart, obwohl in Wahrheit nur Aussage gegen Aussage stand. Richterin
Honsell wertete die Widersprüchlichkeit in den Aussagen der Zeugen als
besonders "glaubwürdig".
Interessant war, dass in einer Stadt wie Rosenheim eine
Richterin Rassismus bei einem angesehenen Bürger grundsätzlich ausschloss.
Sie stellte keine grundsätzlichen Fragen in diese Richtung. Ob es Ihr wohl
entgangen ist, dass in Rosenheim schon in den achtziger Jahren die
faschistoiden Republikaner mit fast 20% ihre bundesweite Hochburg hatten? In
ihrer Urteilsbegründung erklärte sie, "auch Juden müssen sich benehmen". Wie
kommt man nur auf einen solchen Gedanken in einem normalen Strafprozess? Der
Verurteilte geht in Berufung zum Landgericht Traunstein.