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Takt und Fingerspitzengefühl:
Israel und die deutsche Sprache

[Zur Diskussion]

Von Ulrich W. Sahm

Jerusalem, 18.01.2005 - Drei von 120 israelischen Abgeordneten haben gegen die geplante Rede in deutscher Sprache des Bundespräsidenten Horst Köhler vor der Knesset Anfang Februar protestiert. Es sei ungehörig, vor dem israelischen Parlament in Deutsch zu sprechen, solange es noch Holocaustüberlebende gebe.

Die Geschichte der deutschen Sprache im Heiligen Land ist lang und widersprüchlich. In den zwanziger Jahren wollten die Gründer der ersten Universitäten Deutsch als Unterrichtssprache einführen. Hebräisch stand als Alternative zur Debatte. Am Ende siegte die im 19. Jahrhundert künstlich wiederbelebte Sprache der Bibel.

Deutsch war letztlich jene Sprache, in der die Idee eines "Judenstaates" geboren wurde. Der Wiener Journalist Theodor Herzl entwarf in deutscher Sprache seine inzwischen Wirklichkeit gewordenen Prophezeiungen unter den Titeln "Der Judenstaat" und "Altneuland". Die ersten großen Denker und Wegbereiter des Zionismus, der jüdischen Nationalbewegung, schrieben auf Deutsch, darunter Martin Buber, Gerschom Scholem und Ernst Simon.

Bis in die dreißiger Jahre befand sich das wichtigste Zentrum jüdischer Kultur und jüdischen Denkens in Berlin. Der Bruch kam mit den Nazis. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die deutsche Sprache nur noch mit Sprüchen wie "Achtung", "Appell" oder "Arbeit macht frei" assoziiert. Deutsche Juden beherrschten gleichwohl das Justizwesen, die Wissenschaften und die Kultur.

Gerschon Schocken erbte von seinem Vater Salman den Berliner Schocken-Verlag und leitete die Zeitung Haaretz. Die "Jekkes", wie deutsche Juden abschätzig genannt werden, waren berühmt dafür, auch nach Jahrzehnten kein Hebräisch zu verstehen.

In der Öffentlichkeit war das Deutsche verpönt. Deutsche Kultur wurde nur im Untergrund gepflegt. So war das größte Goethe-Institut der Welt, gemessen an der Zahl der Sprachschüler, eine Filiale des Kulturattaché an der deutschen Botschaft in Tel Aviv. In den siebziger Jahren veranstaltete die Bundesrepublik etwas zu früh eine "deutsche Kulturwoche". Günther Grass wurde von Studenten mit faulen Eiern beworfen und mied Israel seither. Bei einer Aufführung von Schillers "Räuber" in Jerusalem ketteten sich rechtsgerichtete Israelis an ihre Sitze. Die Polizei fuhr damals noch keine VW-Busse, um Verhaftete nicht in die Verlegenheit zu bringen, in einem deutschen Auto abgeführt zu werden. An der Hebräischen Universität wurden Autoren wie Heinrich Heine oder Franz Kafka ohne Eintrag im Vorlesungsregister gelehrt, während Professoren auf die Barrikaden gingen gegen die Einrichtung eines von der Volkswagenstiftung finanzierten Lehrstuhls für deutsche Geschichte. Volkswagen stand für Hitler...

Aber der Wandel in der israelischen Haltung konnte nicht mehr aufgehalten werden. Gerschon Schocken bestellte bei einem jungen deutschen Studenten an der Hebräischen Universität in Jerusalem Buchbesprechungen der neuesten deutschen Literatur. In Israel kannte man Thomas Mann, Tucholski und Hesse, nicht aber Böll, Lenz und Grass. Knapp ein Jahr nach den ersten Buchbesprechungen im Haaretz wurde Israels Buchmarkt mit Übersetzungen aus dem Deutschen überschwemmt: Der Clown, Butt, Gruppenbild mit Dame, Blechtrommel und Andere. Der Nachholbedarf war enorm.

Im Fernsehen, damals noch schwarz-weiß, wurde lange Zeit die deutsche Tonspur abgeklemmt. Willy Brandt schwieg zu hebräischen Untertiteln. Doch die Tabus brachen fast unbemerkt, je "normaler" die bis heute unnormalen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland wurden. Deutsche Filme und Theateraufführungen erregen kein Aufsehen mehr und im Fernsehen werden deutsche Tonspuren schon längst nicht mehr ausgeblendet. Aber die Empfindlichkeiten, im täglichen Leben kaum bemerkbar, sind längst nicht behoben. Nur an drei Schulen wird Deutsch gelehrt. Ein Kulturabkommen gibt es bis heute nicht. Aber es gibt noch die "Israel-Nachrichten" unter der Leitung einer 80-jährigen Chefredakteurin. Rubbellose heißen da "Lose zum Abkratzen". Jede Todesanzeige ist ein Abonnent weniger.

Als Johannes Rau vor der Knesset die erste deutsche Rede hielt, verließen einige Abgeordnete aus Protest den Plenarsaal. Dahinter stecken tiefe Emotionen. Als Deutscher muss man das respektieren. Denn kein noch so rationaler Hinweis auf Heine, Kafka oder Einstein kann über das Trauma des größten Massenmords der Geschichte hinwegtäuschen. Viele Israelis haben keine Großeltern, Tanten oder Onkels, sondern ein schwarzes Loch in ihrer privaten Vergangenheit.

Wie dünn die Eisdecke ist, bekam der Dirigent Daniel Barenboim zu spüren, als er eine Prelude von Richard Wagner in Jerusalem aufführte, dem "aggressivsten Antisemiten in der Geschichte der Kultur" (so Marcel Reich-Ranicki). Über den Skandal wurde bis nach Japan berichtet. Man muss wohl im Konzertsaal gewesen sein, um nachzuvollziehen, wie tief die noch offenen Wunden sind. Bemerkenswert schnell sind Deutschland und Israel nach dem Holocaust zu Partnern und sogar "Freunden" geworden.

Doch diese Beziehungen funktionieren nur mit viel Takt und Fingerspitzengefühl und gewiss ohne den künstlichen Versuch, einen "Schlussstrich" zu ziehen.

[Zur Diskussion]

hagalil.com 20-01-2005

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