Rezension von Karl Pfeifer
Eine Gruppe junger Wiener gibt seit einiger Zeit die alternative
Zeitschrift Context XXI heraus, deren ältere Ausgaben auch im Internet zu
lesen sind. Der Schwerpunkt der soeben erschienenen Nr. 8/2004 ist
"Christentum und Islam".
Andreas Peham analysiert in "Vom Reinheitswahn zum Vernichtungswunsch"
den Zusammenhang zwischen "Christentum, Narzissmus und Antisemitismus" und
beruft sich dabei auf Freud, Horkheimer und Adorno. Peham nimmt aber
gegenüber "einem unreflektierten Antiklerikalismus, der besonders in
Österreich nicht immer mit fortschrittlichen Positionen indentisch war und
ist" die Kirchen "bei aller notwendigen Kritik" in Schutz. Wie christlicher
Antisemitismus auch bei Linken nachwirkt, verdeutlicht:
"Seit 2000 Jahren Gottesmord
Hubsi Kramar, passionierter Hitlerdarsteller und Galionsfigur des linken
"Widerstandes" gegen die FPÖVP-Regierung, sprach am 29.11. in Puls TV
anlässlich der Premiere des von ihm inszenierten "Großinquisitors" über die
politische Aktualität des Dostojewskij-Textes. Vom Folterkeller im
mittelalterlichen Spanien nach Guantanamo und Abu Ghraib: "Das findet immer
wieder statt, dass Christus gefoltert wird." Das Stück spiele "irgendwo im
Irak" und Christus erscheint Kramar als "gefangener Terrorist". Um noch
die/den Begriffstutzigste/n auf die richtige Spur zu bringen, machte Kramar,
der die islamistischen Mordbrenner im Irak mit einer Zehn-Euro-Spende an die
nationalbolschewistische Antiimperialistische Koordinations (AIK)
unterstützt, schließlich "das auserwählte Volk" für Krieg und Terror
verantwortlich."
Die in Zürich lebende Nicole Burgmeister setzt sich in "Kaum christliche
Nächstenliebe" kritisch mit der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges und
nachher auseinander. Sie wirft den Kirchen vor, sich mit wenigen löblichen
Ausnahmen wenig um das Schicksal der jüdischen Flüchtlinge aus
NS-Deutschland gekümmert zu haben. "Auch in der Schweiz war Antisemitismus
immer wieder zentrales Element christlich-konservativer Ideologien und
prägte die damalige Politik entscheidend mit", resümiert sie. "Was für die
Schweiz generell festgesellt werden kann, gilt gerade auch für
christlich-konservative Kreise. Man tat und tut sich schwer mit der
Aufarbeitung der eigenen Rolle während des Zweiten Weltkrieges. Auch die
Auseinandersetzung mit dem damals sehr stark vertretenen Antisemitismus
setzte spät ein."
Der Soziologe Christian Knoop, der derzeit über zwischenmännliche
Sexualität und Geschlechterverhältnisse im Nahen Osten forscht und der Autor
Thomas von der Osten-Sacken veröffentlichen unter "Ehre und Martyrium" ihre
Ansichten und Einsichten "Zur Psychopathologie des Islamisten". "Neben dem
Kampf, dem kollektiven Gebet und dem Ideal platonischer Männerfreundschaft
darf nichts existieren, außer dem pathologischen Hass: 'wir lieben den Tod,
Ihr liebt das Leben'." Es gilt alles zu vernichten, was die Gemeinschaft zu
zersetzen droht. "Und dies sind an erster Stelle die Juden, denn sie
befreien, in den Worten des islamistischen Vordenkers Sayyid Qutb "die
sinnlichen Begierden von ihren Beschränkungen und sie zerstören die
moralische Grundlage, auf der der reine Glaube basiert." Marxismus und
Psychoanalyse werden deshalb auch als jüdische "Erfindungen" angeprangert.
Man hofft mit den Autoren, "dass zunehmend mehr Menschen im Nahen Osten die
Verfasstheit ihrer Gesellschaften grundlegend in Frage zu stellen beginnen,
ohne sich nach dem "Delirium der Vernichtung" zu sehnen." Sollten sich aber
die arabischen Gesellschaften und ihre Männlichkeitsbilder nicht radikal
ändern, dann droht – so meine ich – diesen und der ganzen Region eine
Katastrophe.
Im Context XXI werden auch interessante Debatten geführt, so in dieser
Ausgabe über die Erklärung der deutschen Zeitschrift bahamas, die von
Heribert Schiedel als rassistisch qualifiziert wird, dem aber Alex Gruber
widerspricht.
Der seit zwanzig Jahren in Wien lebende Baghdader Ali Al-Zahid stellt die
Hypothese auf "US-Truppen verlassen den Irak" und bringt es auf den Punkt,
das wäre ein "europäischer Traum", aber ein "irakischer Alptraum".
Der Wiener Autor Gerhard Scheit setzt sich mit dem Judentum auseinander
und zwar auf den Spuren zu Freuds Der Mann Moses und die monotheistische
Religion und Arnold Schönbergs Moses und Aron.
Der in Zürich lebende Thomas Schwendener berichtet über die Angriffe der
von Christoph Blocher angeführten Schweizer Volkspartei (SVP) auf
rechtsstaatliche Institutionen.
Thomas Schmidinger beschäftigt sich mit dem vor 100 Jahren
stattgefundenen ersten deutschen Völkermord in "Deutsch-Südwestafrika" und
wie sich die deutsche Regierung bis heute erfolgreich gegen finanzielle
Entschädigungen wehrt.
Jutta Sommerbauer und Thomas Schmidinger gehen der Frage nach, wem die
Gagausen, orthodoxe BulgarInnen, die untereinander das türkische Gagausisch
sprechen, gehören. Es gibt einen Streit zwischen bulgarischen, türkischen
und gagausischen Nationalisten bezüglich der gagausischen "nationalen
Identität".
KPÖ-Mitglied Kurt Wendt berichtet über den Verkauf des EKH durch die KPÖ
und fragt, ob die KPÖ oder Teile von ihr "Teil einer sich stärker
assoziierenden Linken sein" könnte.
Rezensionen von Eva Krivanec: "Deutsche Kriegsgreuel 1914!; Johanna
Oberhuber: "Israel, Europa und der neue Antisemitismus"; Leonardo Cohen:
"Réflexions sur l'antisémitisme qui vient" und Mary Kreutzer. "Neuer
Antisemitismus" ergänzen dieses ausgezeichneten Hefts.
In Wien wurden während der letzten Jahrzehnte mehrere interessante linke
Zeitschriften eingestellt. Context XXI wird hoffentlich bestehen bleiben
können. Interessenten in Österreich können kostenlos die nächsten drei
Ausgaben erhalten. Außerhalb Österreichs kann ein kostenloses Probeheft
angefordert werden.
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