Bielefelder Studie zur gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit:
Zunehmender Hass auf Schwule, Muslime, Juden, Obdachlose...
http://www.uni-bielefeld.de/ikg
"Es geht um die Aufwertung der Eigengruppe"
Wilhelm Heitmeyer sagt, dass Menschen Aversionen hegen, um
nicht selbst am gesellschaftlichen Rand zu stehen
INTERVIEW: PHILIPP GESSLER
taz: Herr Heitmeyer, schon vor etwa zehn
Jahren haben Sie Umfragen zu islamistischen Tendenzen unter jungen
muslimischen Migranten veröffentlicht - nun ist das Thema angesichts der
Diskussion um die multikulturelle Gesellschaft in aller Munde. Hätte man
früher auf Sie hören sollen?
Wilhelm Heitmeyer:
Es zahlt sich immer aus, wenn man unbeirrt Probleme frühzeitig benennt. Die
Frage ist, ob diese Gesellschaft lernfähig ist, auf Anzeichen früh zu
reagieren. Ich habe meine Zweifel, denn als ich Mitte der 80er-Jahre
Ergebnisse zu rechtsextremen Einstellungen unter Jugendlichen vorgelegt
habe, wurde das damals auch verdrängt.
Was halten Sie vom Niveau der aktuellen
Diskussion über die multikulturelle Gesellschaft?
Die Diskussion ist ziemlich schief. In den Mittelpunkt
gehört meines Erachtens eine Debatte um die Integrationsqualität dieser
Gesellschaft. Wo erfahren gesellschaftliche Gruppen Anerkennung? Denn je
größer die Desintegrationsgefahren und das Gefühl fehlender Anerkennung für
Teile der Mehrheit werden, desto schwieriger werden die Integrationschancen
für Migranten. Außerdem sollte die Toleranzdebatte aufhören, weil es eine
einseitige Angelegenheit ist. Man muss über Anerkennungsverhältnisse
debattieren, das ist ein wechselseitiger Prozess. Zudem sind die Migranten
viel zu wenig beteiligt, weder in den öffentlichen Diskursen, noch gibt es
hinreichend selbstkritische Debatten in Migrantengruppen.
Zum dritten Mal haben Sie nun Zahlen zur
"gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" vorgelegt, wonach der Hass auf
Minderheiten - egal ob Schwule, Muslime, Juden oder Obdachlose - zunimmt.
Woher kommt diese Entwicklung?
Man muss die Entwicklung differenziert sehen. Die
Ablehnung von Muslimen nimmt in der Tat zu, auch werden die rechtlichen
Fortschritte für Schwule mit zunehmenden Aversionen im Alltag begleitet. Der
klassische Rassismus, also das, was über Hautfarbe etc. artikuliert wird,
nimmt eher ab, aber die auf Konkurrenz basierende Fremdenfeindlichkeit
deutlich zu. Auffällig sind auch die steigenden Forderungen nach Entfernung
von Obdachlosen aus Fußgängerzonen.
Es gibt eine deutliche Entwicklung: Dort, wo soziale Desintegrationsgefahren
erfahren und verbunden sind mit der Wahrnehmung sozialer Spaltung, steigen
die Werte. In desintegrationsgefährdeten Gruppen wirkt die wahrgenommene
soziale Spaltung geradezu als Verstärker für menschenfeindliche Abwertungen.
Es geht dann um alles, es geht um die Aufwertung der Eigengruppe, um sich
nicht selbst am unteren Rand der Gesellschaft verorten zu müssen.
Ein Beispiel ist der Antisemitismus: Er
sickert nach Ihrer Analyse in die Gesellschaftsgruppe ein, die sich selbst
als Mitte der Gesellschaft definiert - wie kommt das? Steckt dahinter Angst?
Es sind in der Tat in hohem Maße Menschen, die sich selbst
in der politischen Mitte einordnen. Hinzu kommt die Umwegkommunikation über
die Kritik an der Politik Israels gegenüber Palästinensern, die dann in
Ressentiments einmündet. Gerade dies ist ein Problem, weil dadurch die
bisher doch recht erfolgreiche Vorurteilsrepression im öffentlichen Diskurs
erodieren könnte. Je mehr Menschen aber in der Mitte nun plötzlich
unverkrampft es ablehnen, an die Verbrechen der Nazis erinnert zu werden,
desto eher könnten Eliten verstärkt versucht sein, an solchen Stimmen
anzuknüpfen, zumal wir ein rechtspopulistisches Potenzial von zirka 25
Prozent ermittelt haben.
Mittlerweile meinen etwa zwei Drittel der
Gesellschaft, es gebe zu viele Ausländer in Deutschland, und etwa ein
Drittel will sogar die Abschiebung von Migranten, um Arbeitsplätze für
Deutsche zu sichern. Das ist eine NPD-Position. Hat die NPD also gute
Chancen, in den Bundestag einzuziehen?
Ob die NPD Chancen hat, ist schwer zu sagen, aber es gibt
sicher Probleme, je mehr solcher Positionen in der Bevölkerung geteilt
werden. Zum anderen bemüht sich die NPD, an die Alltagsprobleme anzuknüpfen,
und stellt die Zukunft der Gesellschaft in einen völkischen Kontext. Dadurch
geraten andere in große Probleme, da nicht mehr klar ist, wohin sich diese
Gesellschaft entwickelt. Wenn diese Debatten dann noch in einem homogenen
sozialen Kontext, wie in Teilen Ostdeutschlands, ablaufen, bestehen Gefahren
von Verstärkereffekten.
Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie nehmen
zu - und Ihre Daten stammen vom Sommer, also noch vor der Debatte über den
Mord an van Gogh. Sind noch schlimmere Daten zu erwarten?
Wir können dies nicht ausschließen, aber wichtiger ist die
Frage, wie stabil solche Einstellungen sind. Leider zeigen sie sich in
unseren Wiederholungsuntersuchungen als ziemlich stabil.
Was kann man generell tun, um den Hass auf
Minderheiten zu verringern? Wird er einfach immer weiter zunehmen, je weiter
sich die Gesellschaft neoliberal umformt?
Dies lässt sich nicht schnell beantworten, weil sich Teile
der Gesellschaft gegen ihre eigenen Vorurteile quasi immunisieren. Die
Sozialpsychologen unseres Instituts nennen das "Schuldumkehr". Fast 47
Prozent sagen: "Die Ausländer sind selbst schuld, wenn man was gegen sie
hat." Auf diese Weise produziert man Hass und verschiebt ihn auch noch.
Forum [Problematik
Israelkritik]
taz Nr. 7530 vom 3.12.2004, Seite 4, 178 Interview PHILIPP
GESSLER
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Kommentar zur Bielefelder Studie:
Ein Blick ins Internet genügt
Ein kurzer Blick ins "Tagessschauforum"
genügt, um zu begreifen wovon die Studie redet. Die Möglichkeit des neuen
Auschwitz ist nahe gerückt wie nie zuvor. Es wird das Ende sein. Die Welt
hat nicht verdient, ein zweites Auschwitz zu überleben...
Bielefelder Studie:
Spiegel wirft Politik Bagatellisierung von
Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit vor
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, sieht
in der Bielefelder Studie über wachsende Ausländerfeindlichkeit und
zunehmenden Antisemitismus einen "dringenden Weckruf für Politik und
Gesellschaft"...
Israelkritik und Antisemitismus:
Unter
deutschen Bedingungen
Mehr als die Hälfte aller Deutschen meinen, das Verhalten Israels
gegenüber den Palästinensern sei grundsätzlich nicht von dem der Nazis im
Dritten Reich gegenüber den Juden zu unterscheiden...
Unter den Teppich kehren:
Ist
Antisemitismus überhaupt ein Problem?
Antisemitismus ist zwar ein Problem der gesamten
Gesellschaft, wahrgenommen wird er aber noch immer am ehesten von Juden...
Studie:
"Frauen
sind rassistischer"
Sozialforscher haben ermittelt, dass Fremdenfeindlichkeit
in Deutschland seit 2002 stark gestiegen ist. Auffallend ist ein starker
Mann-Frau-Unterschied...
hagalil.com
03-12-2004 |