Scharon und die Koalition:
Vor dem Abgrund
Ariel Sharon steht vor dem Abgrund. Noch ein kleiner, letzter Stoß und er
stürzt hinunter, direkt in die Klauen der Aasfresser, direkt in die interne
Konfrontation im Likud. Das letzte Mal befand sich Sharon an einem solchen
Abgrund, als die Barak-Regierung stürzte und Netanjahu gegen ihn kandidieren
wollte. Netanjahu verzichtete und Sharon wurde MP.
Die Ähnlichkeit ist klar. In beiden Fällen, damals und heute, verlor Sharon
die Kontrolle über die Geschehnisse auf der politischen Ebene. Damals, vor
vier Jahren, war es Netanjahu, der beschloss, nicht gegen ihn zu
kandidieren, und ohne diesen Beschluss würde Sharon heute vielleicht Schafe
züchten. Und heute, trotz aller Medienmanöver seiner Leute, liegt das
Schicksal der Regierung in der Hand von nur zwei Leuten, die
zusammengerechnet über 160 Jahre alt sind.
Ja, Ovadia Josef und Shimon Peres werden alles entscheiden: ob die Regierung
überlebt, ob es Wahlen gibt, ob der Staat Israel einen Etat erhält, ob es
eine Loslösung gibt. Nichts, was Sharon machen wird, kann diese völlige
Abhängigkeit ändern. Wenn sich die Shas bei der Abstimmung über den Etat
nicht enthält, dann wird es keinen Etat geben. Wenn Shimon Peres keine
Gründung einer Einheitsregierung mit Jahadut Ha Tora will, dann wird es
keine Regierung geben und Sharon wird Wahlen ausrufen müssen. Wahlen würden
die Loslösung verzögern, und wenn Sharon im Likud verliert, kann es sein,
dass auch die Loslösung verschwinden wird. Und dennoch, der Sturz in den
Abgrund steht noch nicht kurz bevor. Sharon verlässt sich auf die wichtigste
Naturgewalt der israelischen Politik in den letzten 20 Jahren: den heftigen
Wunsch von Shimon Peres, in der Regierung zu sitzen.
Jetzt ruft Sharon zu Verhandlungen mit der Avoda auf und plant, Jahadut Ha
Tora aufzunehmen, die Likud-Zentrale einzuberufen und die Shinui-Minister zu
entlassen. Aber all dies sind die letzten Kugeln im Lauf, grandiose
Irreführungen, hinter denen nichts als Leere steht, Leere und Erwartung.
Erwartung darauf, was die Avoda tun wird, wie die Zentrale entscheiden wird
und welche Meinung Ovadia Josef über die Reformen in den Häfen vertritt.
Es handelt sich um eine Krise, die gelöst werden kann.
Das Problem Sharons liegt darin, dass seine Partei, oder zumindest Teile
davon, nicht seiner Meinung sind, sich nicht hinter ihn stellen und vor
allem- ihn nicht verstehen. Ein gutes Beispiel dafür gab es gestern, als
Sharon in der Fraktion einen Nachruf auf Raful hielt. Er beschrieb ihn als
Mann, der den Wert der Arbeit stets vor Augen hatte: „Arbeit (auf hebräisch:
Avoda) war ein höchster Wert für ihn, schon seit seiner Kindheit.“ Die
Rebellen des Likud hörten nur das Wort „Avoda“ und begannen bereits zu
spötteln. „Er hat nichts mehr anderes im Kopf als ‚Avoda’“, sagten sie. Und
das ist der Unterschied zwischen dem ältesten MP, der jemals Israel
regierte, und den Rebellen in seiner Partei. Für sie ist „Avoda“ nur noch
der Name einer Partei.
M'ariw, p.6, Nadav Eyal,
Medienspiegel der Deutschen Botschaft Tel Aviv
hagalil.com
02-12-2004 |