Saraval-Sammlung:
Breslau erhält berühmte jüdische Handschriften zurück
Aus Wroclaw/Breslau Gabriele Lesser
"Wir packen sie gerade aus. Ganz vorsichtig und mit
Handschuhen, damit den alten Dokumenten nichts passiert", erzählt Jerzy
Kichler von der jüdischen Gemeinde in Wroclaw (Breslau) am Telefon. "Wir
sind in der Universitätsbibliothek. Hier ist die wertvolle Sammlung am
besten aufgehoben. Sie kommt in einen speziell klimatisierten Raum." Er
unterbricht kurz, um sich eine der farbenprächtigen Inkunablen aus dem 15.
Jahrhundert genauer anzusehen. "Das ist für uns ein großer Tag", sagt er mit
bewegter Stimme. "Wer hätte gedacht, dass die alte Saraval-Sammlung des
Jüdischen Theologischen Seminars je nach Breslau zurückkehren würde."
Die polnisch-jüdische Gemeinde, die nach dem Zweiten
Weltkrieg ganz bewusst das Erbe der deutsch-jüdischen Gemeinde in Breslau
übernahm, bemüht sich seit Jahren um die Rückgabe der alten Breslauer
Judaika-Sammlung. Sie galt Ende des 19. Jahrhunderts als eine der
bedeutendsten Europas. Von Breslau aus gingen Hunderte liberale Rabbiner in
alle Welt. Das Leo-Baeck-Institut in New York beruft sich bis heute auf die
Tradition des Jüdischen Theologischen Seminars in Breslau. 1938 schlossen
die Nazis die berühmte Rabbinerschule in Breslau, kurz vor Kriegsende
versteckten sie einen Teil der Bibliothek in den tschechischen Sudeten. Von
dort traf die Sammlung nach 1945 nach Prag. Bis vor wenigen Tagen wurde sie
in der Nationalbibliothek aufbewahrt.
Im letzten Jahr beschloss die tschechische Regierung, die
Sammlung an die jüdische Gemeinde in Wroclaw zu übergeben, die als Erbe des
Breslauer Jüdischen Theologischen Seminars gilt. Bei der Prager Sammlung
handelt sich nur um einen Teil der gesamten Breslauer Bibliothek, die einst
rund 20.000 Bände umfasste. Einige Kisten gelangten nach dem Krieg nach
Warschau, wo die Bücher bis heute im Jüdischen Historischen Institut
aufbewahrt werden, andere wurden nach Russland verschleppt, einige trafen
bis nach Israel und die USA.
"Ob wir je die ganze Sammlung zurückbekommen, steht in den
Sternen", sagt Kichler. "Aber wir versuchen natürlich, alle davon zu
überzeugen, dass die alte Breslauer Sammlung zurück an ihren Ursprungsort
gehört - nach Breslau, auch wenn hier heute keine deutschen Juden mehr
leben."
Die 34 hebräischen Handschriften und fünf Inkunablen, also
Druckschriften, wie sie bis ca. 1500 hergestellt wurden, bilden den
wertvollsten Teil der früheren Sammlung Leon Vita Saravals in Breslau. Sie
umspannen einen Zeitraum von sieben Jahrhunderten. Die älteste Handschrift
stammt aus dem Jahre 1285, die jüngste aus dem 19. Jahrhundert. Geschrieben
und gedruckt wurden die Dokumente in Gegenden und Orten, die heute zu
Spanien gehören, zu Algerien, der Türkei, Italien, Deutschland und Polen.
Interessant sind insbesondere die Inkunablen, die den Beginn des Buchdrucks
in hebräischen Sprache dokumentieren und die mit reichen und
farbenprächtigen Illustrationen verziert sind.
Die Saraval-Sammlung entstand ursprünglich in Triest.
Mitte des 19. Jahrhunderts kam sie nach Breslau und wurde dort von Hunderten
jüdischen Gelehrten und angehenden Rabbinern studiert. Nach dem Zweiten
Weltkrieg wurden die wertvollen Handschriften und alten Drucke in alle Welt
zerstreut. Die Prager Nationalbibliothek hütete die Sammlung nicht nur wie
ihren Augapfel, da es in ganz Tschechien keine ähnliche Sammlung gab,
sondern digitalisierte sie auch. Während die Originale nun wieder zurück in
Wroclaw (Breslau) sind, kann in Prag dennoch jeder, der die Saraval-Sammlung
gerne sehen möchte, einen Blick auf sie werfen - am Computer.
"Wir planen hier schon eine große Ausstellung", berichtet
Kichler aus der Uni-versitätsbibliothek in Wroclaw. "Anfang nächsten Jahres,
im Februar oder März, wollen wir diesen Schatz gerne der Öffentlichkeit
vorstellen. Da laden wir natür-lich auch alle ein, die sich in irgendeiner
Form mit den Jüdischen Theologischen Seminar in Breslau und der jüdischen
Gemeinde hier verbunden fühlen."
hagalil.com
15-12-2004 |