Meinungsfreiheit in Gefahr:
Neonazis und autoritärer Staat
Von Ivo Bozic
Jungle World 50 v.
01.12.2004
Was ist schon eine Demo? Eine kollektive Meinungsäußerung,
mehr nicht. Aber immerhin das. Für viele die einzige Möglichkeit, ihre Wut
oder ihr Entsetzen etwa über das Erstarken neonazistischer Parteien zum
Ausdruck zu bringen. Nicht nur, aber in besonderem Ausmaß im Osten
Deutschlands wird dieses Grundrecht jedoch immer mehr demontiert, wenn es
gegen Nazis geht.
Antifa-Demos werden entweder komplett verboten, oder die
Route wird in unbewohnte Gegenden verlegt, oder es gibt hanebüchene
Auflagen, wie das Verbot von zu großen Transparenten. Oder die Anreise wird
durch umfangreiche Vorkontrollen behindert, oder auch ganz verhindert, oder
die Polizei entführt die Busse. Platzverweise werden massenhaft und
willkürlich ausgesprochen. Und wenn es dann doch zu einer Demo kommt, findet
sie meist in einem wandernden Polizeikessel, also gewissermaßen außerhalb
der Öffentlichkeit statt, wird bis ins letzte Detail auf Video festgehalten
und nicht selten wegen irgendwelcher Bagatellen angegriffen.
In der Nazihochburg Pirna wollte die Polizei am Samstag eine Antifa-Demo nur
losziehen lassen, wenn sich alle 1 000 schon versammelten und formierten
Teilnehmer einer individuellen Körperkontrolle unterzogen hätten. Absurd!
Darauf ließen sich die Antifaschisten zu Recht nicht ein. Wenn schon
Vorkontrolle in Pirna, dann sollen die Beamten bitte von Haus zu Haus ziehen
und die Baseballschläger einsammeln!
NPD und DVU sitzen in Landtagen und gehören nicht nur in der Sächsischen
Schweiz zum Mainstream. Doch der Aufstand der Anständigen richtet sich
diesmal nicht gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit, sondern
sorgt sich um Ruhe und Ordnung im Staat. Antifa-Demo? Das gibt doch nur
wieder Ärger! Weiter reicht das politische Bewusstsein nicht. Es trifft
nicht nur Linke und Antifas, auch Nazis werden in ihrem Demonstrationsrecht
behindert. Jedoch nicht wegen ihrer unzulässigen Ansichten, sondern weil der
aufgeschreckte Bürger und seine bewaffneten Organe den "Extremismus an den
Rändern" nicht zulassen wollen. Politik hat für sie nichts mit Inhalten zu
tun, sondern mit einem ungestörten Ablauf dessen, was sie als Alltag
hochleben lassen, weil sie sich dort halbwegs zurechtfinden. Dieser
Extremismus der Mitte ist nichts anderes als polizeistaatliches Denken.
Es ist nichts Neues, dass Demos polizeilich behindert werden, doch die
Umstände sind bedrohlich: Während sich die Autoritären und Chauvinisten in
Form der Nazis zusehends etablieren, denkt die vermeintliche Mitte der
Gesellschaft wieder autoritärer und chauvinistischer. Zwar geht sie mit
diesem autoritären Quatsch im Kopf zurzeit auch gegen Nazis vor, aber nur,
solange die auf der Straße für Unfrieden sorgen. Ansonsten stimmt man ja
darin überein, dass der Staat ein Leviathan sein muss. In Sachen Law and
Order macht der Staat einen auf dicke Hose, während er zugleich die sozialen
Sicherungssysteme zurechtstutzt. Neoliberale Krisenverwaltung des Staats
einer-, autoritäre Formierung andererseits: Uhhh, das ergibt eine ganz, ganz
üble Suppe.
Demos brauchen Öffentlichkeit. Und es muss möglich sein, anonym an ihnen
teilzunehmen, sowie man auch anonym seine Wahlstimme abgibt. Beides sind
Grundrechte. Durch örtliche Verlegung oder dauerndes Rundum-Spalier, durch
drastische Videoüberwachung und Personenkontrollen wird das Recht auf
Meinungsfreiheit drastisch eingeschränkt. Schlechte Aussichten für die
Demokratie.
hagalil.com 02-12-2004 |